Ebersberg:Riskante Ausnahmen

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In Steinhöring standen erst in der vergangenen Wochen Straßen und Felder unter Wasser. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Neue Bauten in Überschwemmungsgebieten sind verboten, das Landratsamt erhält trotzdem immer wieder Anfragen

Von Anja Blum, Ebersberg

Der Mensch breitet sich immer mehr aus. Baut Straßen, Häuser, Gewerbeflächen, gerade im florierenden Münchner Umland. Doch auch das Wasser braucht Raum, manchmal sogar sehr viel Raum. Dann kommen sich Mensch und Natur in die Quere. Dann brechen Dämme, laufen Becken voll, das Wasser breitet sich gnadenlos aus - ohne Rücksicht auf irgendein menschliches Werk. "Es kann und wird immer ein Hochwasser geben, das höher ist als alle Schutzbauten", lautet die Warnung der Abteilung Wasserrecht am Ebersberger Landratsamt.

Deswegen dürfe Hochwasserschutz nicht dazu dienen, weitere gefährdete Gebiete zu bebauen, heißt es weiter. Zumal es die wirksamste Maßnahme zur Begrenzung von Schäden sei, auf eine Bebauung von Überschwemmungsgebieten und Abflussbereichen zu verzichten, so der Wunsch der Fachbehörde. Je weniger Häuser, Straßen und andere versiegelte Flächen in der Nähe von Gewässern, desto besser. Doch, man ahnt es schon: Das mag der Mensch nicht so gerne einsehen. Der Siedlungsdruck im Landkreis ist derart hoch, dass immer wieder Anfragen zur Bebauung von Überschwemmungsgebieten gestellt werden. Eine solche ist aus fachlicher Sicht zwar grundsätzlich nicht erwünscht, in Ausnahmefällen aber möglich. Zuständig für Genehmigungen ist die Abteilung Wasserrecht am Landratsamt, nicht die einzelne Gemeinde, Grundlage ist das bundesweit geltende Wasserhaushaltsgesetz.

Überschwemmungsgebiete sind von Amts wegen festgesetzte Flächen, die bei Hochwasser "überschwemmt oder durchflossen" werden. Die Bemessungsgrundlage ist ein "hundertjährlicher Abfluss" (HQ 100): Darunter versteht man den Pegel eines Gewässers, der an einem Standort im Durchschnitt alle hundert Jahre einmal überschritten wird. Doch da es sich dabei eben um einen Mittelwert handelt, kann ein solcher Abfluss in hundert Jahren auch mehrmals auftreten.

Acht offizielle Überschwemmungsgebiete gibt es derzeit im Landkreis: Sie liegen am Hennigbach in Markt Schwaben, an Attel, Urtel, Wieshamer Bach und Seeoner Bach in Grafing, an der Attel in Aßling, Emmering und Tuntenhausen, an der Ebrach in Steinhöring und Ebersberg, an der Moosach in Bruck, Baiern und Aßling, an der Moosach und am Doblbach in Moosach sowie an Glonn und Kupferbach in Glonn und Baiern. Manche sind schon lange registriert, andere erst vor kurzem in die Liste aufgenommen worden. "Die Markt Schwabener Festsetzung zum Beispiel stammt aus den 90er Jahren, die Steinhöringer ist gerade ein paar Tage alt", erklärt Christine Huber, Leiterin des Sachgebiets Wasserrecht am Landratsamt. Das liege daran, dass die Wasserwirtschaftsämter die Überschwemmungsgebiete nach ihrem Gefährdungspotenzial ermittelten - und sich momentan verstärkt um bereits bebaute Bereiche kümmerten.

Solche gibt es zum Beispiel in Markt Schwaben, Grafing oder Glonn. Und zwar deshalb, weil die Gesetzeslage früher eine andere war. "Da hat sich sehr viel verändert", sagt Huber, "heute hat eine Festsetzung als Überschwemmungsgebiet viel mehr rechtliche Konsequenzen." Erst seit 2010 sei es zum Beispiel verboten, auf gefährdeten Flächen neue Baugebiete auszuweisen. "Damit hat man auf die vielen Überschwemmungen reagiert", so die Sachgebietsleiterin. Will eine Gemeinde trotzdem ein Überschwemmungsgebiet überplanen, gibt es dafür hohe Hürden. So muss die Kommune zum Beispiel nachweisen, dass keine anderen Möglichkeiten der Siedlungsentwicklung bestehen oder geschaffen werden können. "Und daran scheitert so ein Vorhaben im Landkreis in der Regel schon", so Huber. Das bedeutet: Bauen in hochwassergefährdeter Lage kann man nur, wenn bereits Baurecht besteht.

Allerdings auch dann nicht einfach so. Grundsätzlich ist es verboten, in Überschwemmungsgebieten "bauliche Anlagen zu errichten oder zu erweitern". Ausnahmen sind mit hohen Auflagen verbunden: Neue Bauten dürfen die Hochwasserrückhaltung nicht oder nur unwesentlich beeinträchtigen, außerdem muss der Verlust von Rückhalteraum ausgeglichen werden. "Das geschieht in der Regel dadurch, dass Erdreich abgetragen wird", erklärt Huber. Auch der Wasserstand und der Abfluss bei Hochwasser dürfen nicht nachteilig verändert werden. Auch muss das Gebäude "hochwasserangepasst ausgeführt" sein. "Kein Keller oder entsprechende Abdichtungen, höher gelegte Türen, gegen Rückstau gesicherte Abflussleitungen - da gibt es ein ganzes Bündel an Maßnahmen", so Huber.

Konsequenz all dieser Einschränkungen ist, dass bei Bauvorhaben in Überschwemmungsgebieten jeweils eine Einzelfallprüfung durch das Landratsamt notwendig ist. Gibt Hubers Abteilung grünes Licht, darf gebaut werden. Anschließend ist noch eine Abnahme durch einen Sachverständigen vonnöten. Sollte es später trotzdem zu Hochwasserschäden an dem Gebäude kommen, liegt die Haftung freilich beim Bauherrn. "Wir können nur prüfen, ob die gesetzlichen Vorgaben eingehalten werden", erklärt Huber. Das Risiko - das müsse allerdings jeder selbst einschätzen.

© SZ vom 13.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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