Ebersberg:Nachhilfe auf vier Pfoten

Lesezeit: 3 min

An zwei Tagen in der Woche bekommt die Seerosenschule in Poing tierischen Besuch, wenn Christine Kawollek ihre Mischlingshündin Stella mitnimmt. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

An der Seerosenschule in Poing begleitet Stella die Kinder durch den Tag. Mit der Mischlingshündin kann man nicht nur kuscheln. Manchem Schüler gelingt es auch, sich so besser zu konzentrieren.

Von Daniela Weichselgartner, Poing

Mit einem "Hallo Stella" vergraben die Kinder ihre Hände im weichen Fell des Hundes. Sie begrüßen die Mischlingshündin aus Bordercollie und irischem Schäferhund mit ausgiebigen Streicheleinheiten und sichtlicher Freude im Gesicht, während für ihre Lehrerin Frau Kawollek nur ein kurzer Handschlag abfällt.

Christine Kawollek bringt zweimal die Woche die neunjährige Stella mit in die Seerosenschule in Poing. Als Schulhündin ist sie während des normalen Unterrichts der dritten Klasse anwesend und sorgt für eine angenehme Lernatmosphäre. Die Kinder im Alter von neun bis elf Jahren sind glücklich über ihre tierische Mitschülerin. Am Tag zuvor war Stella nicht wie gewöhnlich in der Schule, weil ein Ausflug auf dem Programm stand. Prompt erzählt ein Junge: "Ich habe sie schon vermisst."

Bevor der Unterricht beginnt, ist heute noch Zeit für Spiele. Zwei Schüler sitzen auf dem Boden, vor ihnen ein Brettspiel. Zuerst schaut Stella mit einem Blick, als würde sie gerne mitspielen, den beiden zu. Als eine sechs fällt, wird sie sogleich als Glücksbringerin bezeichnet. Die Rolle als Glückshund scheint ihr aber bald langweilig zu werden, weshalb sie einmal quer über das Spielbrett läuft und die Figuren zur Seite wischt.

Stella hat zwei Einsätze pro Woche

Die beiden Kinder nehmen die Zerstörung gelassen und bauen die Häuser und Figuren kommentarlos wieder auf. "Stella wird alles verziehen. Hätte ein Mitschüler dasselbe getan, wäre die Situation eine große Aufregung gewesen," kommentiert Klassenlehrerin Frau Kawollek. In der Pause werden sogar extra Türme aus Holzklötzchen gebaut, um den Hund dann zum Umschmeißen zu animieren. Kein Wunder also, dass Stella nach dem Unterricht häufig völlig geschafft ist, weshalb sie auch nur zweimal die Woche mit in die Schule darf.

Die Idee, Stella als Schulhund einzusetzen, entstand, nachdem Christine Kawollek einige Artikel über das Thema gelesen hatte. Sie dachte sich: "Wenn nicht Stella mit ihrem ausgeglichenen Charakter geeignet ist, welcher Hund dann?" Bevor die Hündin aber mit in die Schule durfte, musste sie in einer Ausbildung ihre Eignung unter Beweis stellen. In zahlreichen Situationen, die anderen Hunden möglicherweise Stress bereiten, muss sie Ruhe bewahren. Dazu zählt auch der Fall, dass das Herrchen angegriffen wird. "Bei mir könnte man folglich bedenkenlos einbrechen," lacht die Besitzerin. Des Weiteren müssen natürlich die Grundkommandos absolut sicher befolgt werden.

Häufig sagt man, dass sich Hund und Herrchen ähneln. Auch bei Christine Kawollek und ihrer Stella kann man diese Eigenschaft beobachten. Die Pädagogin spricht mit ruhiger Stimme und wird auch dann nicht ungeduldig, wenn die Kinder sich beim ungeliebten Aufräumen etwas mehr Zeit lassen. Und auch die Hündin scheint sich durch kaum etwas aus der Fassung bringen zu lassen. Egal ob neben ihr mit einem lauten Krachen ein Turm aus Holzbausteinen in sich zusammen fällt oder ein Kind den Hund ein bisschen zur Seite schubst, Stella trottet weiterhin gemächlich durchs Klassenzimmer.

Das muss auch so sein, denn ein Schulhund darf auf keinen Fall schreckhaft oder gar reizbar sein. Stella hingegen scheint die Gelassenheit in Person, beziehungsweise im Tier zu sein. Und wenn es ihr einmal doch zu laut wird, verlässt sie einfach das Klassenzimmer, dessen Tür immer offen steht.

Da die Kinder ihre tierische Mitschülerin gerne bei sich haben, hat das auch einen positiven Effekt auf eine angenehme Atmosphäre im Klassenzimmer, erklärt die Lehrerin. Die Kinder senken selbstständig ihre Lautstärke, um den Hund wieder zu sich zu locken.

"Stella ist eine große Bereicherung für den Schulalltag" freut sich Christine Kawollek. Ein Schuljahr lang begleitet ihre Hündin die Klasse nun schon und seitdem sei die Stimmung der Kinder viel ausgeglichener, zieht die Hundebesitzerin erfreut Bilanz. Die Befürchtung, die Kinder ließen sich zu sehr ablenken, hat sich nicht bewahrheitet. Auch wenn in den ersten Tagen Stella noch der Mittelpunkt der Aufmerksamkeit war, hat sich im Gegenteil die Konzentrationsfähigkeit vieler Schüler verbessert.

Knabberstangen aus Kinderhänden

Ein Junge verschwindet zum Rechnen mit Stella auf den Gang. Dort arbeitet er mit dem Hund an seiner Seite an einem Arbeitsauftrag. In einer Hand den Stift, die andere tief ins Fell vergraben, scheint er sich besser auf die Matheaufgaben fokussieren zu können als ohne tierischen Beistand. Auch die anderen Kinder im Klassenzimmer fragen: "Frau Kawollek, darf Stella auch mit mir rechnen?" Jetzt ist aber noch der Mitschüler an der Reihe, doch sobald Stella wieder durch die Gänge streift, strecken sich alle Hände nach ihrem kuscheligen Fell aus.

Die Jungen und Mädchen nahmen an einem Sicherheitstraining teil, bei dem sie wichtige Regeln im Umgang mit Hunden erlernten. Unter anderem machen die Drittklässler Stella mit der flachen Hand und einem eindeutigen "Nein" klar, dass das Pausenbrot ihnen allein gehört. Der Hund macht daraufhin auch keine Anstalten, einen Bissen abzubekommen, obwohl Stella verfressen sei, so ihr Frauchen. Im Gegenzug bekommt Stella die für sie bestimmten Knabberstangen, welche sie vorsichtig von der Kinderhand frisst.

Auch den Gast, der nach der Pause das Klassenzimmer verlässt, begleitet Stella ein Stückchen durch den Schulflur - um sich mit treuem Blick zum Abschied noch eine Streicheleinheit abzuholen.

© SZ vom 27.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: