Ebersberg:"Manche sehen uns als Riesen-Serviceorganisation"

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Fast zehn Jahre lang war Hauptkommissar Dirk Anders Verkehrssachbearbeiter in Ebersberg, nun wechselt er zur Kripo nach Erding. (Foto: Christian Endt)

In keine andere Institution haben die Menschen so viel Vertrauen wie in die Polizei. Das hindert sie nicht, die Beamten bisweilen als Grattler oder Wegelagerer zu beschimpfen, wie Polizeihauptkommissar Dirk Anders nach zehn Jahren weiß

Interview von Barbara Mooser, Ebersberg

Keiner Institution in Deutschland bringen die Menschen so viel Vertrauen entgegen wie der Polizei, das hat eine gerade veröffentlichte Forsa-Umfrage wieder gezeigt. 88 Prozent der Befragten haben laut der Erhebung sehr großes Vertrauen in die Polizei, das sind elf Prozentpunkte mehr als noch im Vorjahr. Die SZ Ebersberg sprach darüber mit Hauptkommissar Dirk Anders. Der 48-Jährige stammt ursprünglich aus Schleswig-Holstein. Bereits seit 31 Jahren ist er bei der Polizei beschäftigt, fast zehn Jahre davon in Ebersberg als Verkehrssachbearbeiter, davor unter anderem bei der Kriminalpolizei in München. Ende April wechselt er nun zur Kripo nach Erding, wo er als stellvertretender Leiter der Abteilung zentrale Dienste tätig sein wird.

SZ: So vertrauenswürdig wie die Polizei erscheint keine andere Institution den Menschen - merken Sie das bei Ihrer Arbeit?

Dirk Anders: Bei einem Großteil der Bevölkerung merkt man das tatsächlich. Man ist uns im Großen und Ganzen wohlgesonnen, wir werden gegrüßt, man nickt uns zu. Viele wissen, dass die Polizei überall präsent ist, wenn Not am Mann ist. Manche sehen uns als riesige Serviceorganisation, die kommen auch mit ihren Allerweltssorgen zu uns.

Aha? Mit welchen?

Das geht mit leichter Rechtsberatung los, manche kommen mit ganzen Aktenordnern daher, da muss man dann erst relativ mühsam herausfinden, ob das überhaupt etwas ist, wofür wir zuständig sind. Auch bei Streitereien und Familienangelegenheiten wenden sich die Leute an uns, manchmal denkt man sich schon: Heiraten konnten sie auch allein, aber für die Trennung brauchen sie jetzt uns. Ich denke, dass wir in so vielen Bereichen als vertrauenswürdiger Ansprechpartner gesehen werden, das hat zum einen damit zu tun, dass wir immer für die Menschen da sind. Bei uns kann keiner sagen, wir gehen jetzt nicht ans Telefon oder wir sind während der Mittagspause nicht da. Andererseits aber auch damit, dass wir keine großen Handlungsspielräume haben, dass unser Handeln ganz klar durch die Gesetze definiert wird. Das ist in anderen Berufen oft anders, da ist in vielen Fällen nicht greifbar, wie Entscheidungen fallen, an welchen Regeln sich die Menschen orientieren müssen. Ich sage manchmal ganz ketzerisch: Polizei müsste in der Mitte eigentlich mit Y geschrieben werden, weil wir für alle Bereiche als zuständig gesehen werden.

Aber mit Sicherheit begegnet man Ihnen auch nicht nur nett und höflich?

Das stimmt. Es passiert auch immer wieder, dass wir beschimpft, beleidigt oder manchmal sogar angespuckt werden - vor allem, wenn das Gegenüber ein berauschendes Mittel im Körper hat. Aber es kommt auch oft genug vor, dass sich derjenige dann zwei Tage später bei uns entschuldigt. Es ist schon ein Unterschied, wenn man unsere Arbeit hier in Ebersberg und in den Gemeinden mit der in der Großstadt vergleicht. Hier ist alles nicht so anonym, wir erleben auch sehr selten eine grundlegende Ablehnung der Menschen gegenüber der Polizei. Ein gewisses Grundvertrauen ist da, würde ich sagen. In der Regel merken die Menschen, dass wir versuchen, uns in kürzester Zeit um ihre Probleme zu kümmern.

Außer, sie fühlen sich von der Polizei behindert. Ich erinnere mich, dass Sie mir von einer solchen Situation beim Ebersberger Faschingszug erzählt haben.

Ja, da herrscht immer wieder schieres Unverständnis bei den Autofahrern, dass wir dafür die Straße sperren und sie nicht durchfahren können. Dabei ist es eigentlich jedes Jahr das Gleiche, das wird auch rechtzeitig beschildert und angekündigt. Dieses Jahr gab es so eine Situation, da war der Umzug zwar vorbei, aber die Straße noch gesperrt, weil die Kehrmaschine noch durchfahren sollte. Dass sie noch zwei, drei Minuten warten sollten, wollten einige Autofahrer aber partout nicht einsehen, einer wollte sogar um uns herum fahren. Dabei machen wir so etwas doch nicht willkürlich! Wir geben die Straße frei, sobald sie wieder befahrbar ist. Ähnlich ist es manchmal bei Verkehrskontrollen, da bezeichnet man uns auch immer wieder mal als Grattler, Wegelagerer oder sagt, dass wir auch nicht besser als Einbrecher sind. Dass Maßnahmen auf diese Weise angezweifelt werden, das wiederum gibt es in anderen Berufen nicht in dem Maße, denke ich. Wenn ein Anstreicher eine Fassade anmalt, dann geht keiner hin und sagt: Freund, du musst die Farbrolle aber anders halten... Aber die gleichen Leute, die einen an einem Tag anfeinden, erwarten an einem anderen Tag selbstverständlich von uns Hilfe. So ist das nun mal bei uns: Mal ist man der Held der Nation, am nächsten Tag der Staatsfeind Nummer eins.

Sehr viel mehr als früher kümmert sich die Polizei heute um die eigene Imagepflege und auch darum, direkt mit den Menschen in Kontakt zu treten. Ihre Kollegen in München werden momentan sehr gelobt dafür, wie sie Social Media bedienen. Wird es so etwas auch einmal hier geben - oder kann das so eine kleine Dienststelle gar nicht leisten?

Das wird kommen, meines Wissens wird das flächendeckend für ganz Bayern angestrebt. Der Bedarf an schnellen Informationen wird immer größer, ob das jetzt unbedingt gut ist, das ist die Frage. Ich persönlich nehme lieber ein gut lektoriertes Lexikon zur Hand als dass ich in Wikipedia etwas nachschaue, wo jeder etwas reinschreiben kann und Fehler oft erst nach einer Weile entdeckt werden. Aber im Alltag ist es nun mal so, dass die Menschen Sirenen hören und einen Stau sehen und dann in dem Moment wissen wollen, was los ist. Sie wollen erfahren, warum sie wieder nicht rechtzeitig in den Feierabend gekommen sind, warum sie einen wichtigen Termin verpasst haben. Stunden oder Tage später interessiert sie das nicht mehr. Deshalb ist langfristig bei uns das Ziel, dass sogar die Sachbearbeiter vor Ort entsprechende Informationen absetzen.

Ihr Beruf verändert sich generell rasant, Sie sind immer wieder mit neuen Herausforderungen konfrontiert, jetzt auch mit erhöhter Terrorgefahr. Gehen Sie inzwischen mit einem anderen Gefühl als früher in die Arbeit?

Der Mensch neigt dazu, die Dinge, die er nicht wirklich sieht, zu verdrängen. Natürlich - nach Ereignissen wie dem Amoklauf in München oder dem Anschlag in Berlin denkt man wieder etwas mehr darüber nach, die Sensibilisierung ist schon da, man ist vorbereitet. Aber es gibt auch ein Konzept für den Fall, dass in München ein Flugzeug abstürzt - dennoch rechnet man nicht jeden Tag damit. Ich gehe jedenfalls jeden Tag ganz normal zur Arbeit, ich trage auch nicht im Büro die Schutzweste, sondern dann, wenn sie sinnvoll ist. Letztes Jahr starben in Bayern über 700 Menschen bei Verkehrsunfällen, fast 80 000 wurden verletzt. Kaum einer redet davon, das akzeptieren wir so. Im Übrigen: Das Leben ist grundsätzlich gefährlich, 100-prozentige Sicherheit wird es niemals geben, auch wenn das mancher nicht wahrhaben will.

Für Sie war der Verkehr in den vergangenen zehn Jahren das Hauptthema - was hat sich geändert, was haben Sie erreicht?

Ich habe einiges miterlebt, ich habe auch einiges bewegen können, vielleicht ist es nicht der große Wurf, dass man sagt, hey, wir berichten im Bundesverkehrsanzeiger darüber, was der Anders so macht. Was man feststellen kann: Inzwischen herrscht hier ein Mords-Verkehr, die Zulassungszahlen gehen ständig nach oben. Erst im vergangenen Jahr sind wieder 2,99 Prozent mehr Fahrzeuge im Landkreis zugelassen worden, wir sind jetzt bei 110 000 Fahrzeugen. Dazu kommen noch viele andere, die durchfahren, und viele, deren Halter zwar hier wohnen, aber deren Fahrzeuge hier nicht gemeldet sind. Dennoch schaffen wir es, die Unfallzahlen in etwa auf dem gleichen Niveau zu halten, das fällt kaum auf. Da muss man sagen: Hut ab, das ist schon eine gewaltige Arbeit, die dahinter steckt - indem man beispielsweise an den Gefahrenpunkten da ist, die Geschwindigkeit oder auch den Parkraum überwacht. Wir sind für eine riesige Fläche zuständig, dennoch schaffen es die Kollegen mit ihrem Einsatz, dass der Laden läuft.

© SZ vom 19.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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