Benefizkonzert:Klangsammler für den guten Zweck

Lesezeit: 2 min

Quadro Nuevo begeistert mehr als 300 Besucher im Alten Speicher beim ersten Ebersberger Benefizkonzert zugunsten des Spendenhilfswerks der "Süddeutschen Zeitung"

Von Rita Baedeker, Ebersberg

Der "singende Hirtenstab" ist eine wirklich praktische Erfindung. Die aus der Kontrabass-Klarinette dringenden Geräusche, halb Traktorgebrummel, halb Alphorn, taugen nicht bloß als Weck- und Warnruf. Das Instrument, so erklärt Andreas Hinterseher dem Publikum, besitze außerdem einen Stachel gegen Bären, diene als Tränke und Kinnstütze. Aber was das Beste ist: Man kann damit auch Musik machen. Na ja, vielleicht nicht "man", aber auf jeden Fall ein Ensemble wie Quadro Nuevo. Am Donnerstag konnten etwa 350 Besucher im Alten Speicher beim ersten Benefizkonzert zugunsten des Adventskalenders für gute Werke der Süddeutschen Zeitung im Landkreis Ebersberg erleben, zu welchen Klangzaubereien die virtuosen Musiker fähig sind.

Karin Kampwerth, Redaktionsleiterin der SZ Ebersberg, zeigt sich überwältigt von der Zahl der Besucher. Diese lassen sich schon eine Stunde vor Beginn im Saal bei Involtini, Schwammerl auf Polenta oder Lachsröllchen nieder. In ihrer Begrüßungsrede erinnert Kampwerth daran, dass es nicht nur in Afrika und Nahost, sondern auch im Landkreis Menschen gebe, denen es "nicht so gut geht wie uns heute Abend", Menschen, deren Schicksal häufig übersehen werde. Umso erfreulicher sei der bürgerschaftliche Gemeinsinn derjenigen, die Jahr für Jahr helfen, die Not ein Stück weit zu lindern, darunter Kinder, Rentner, Firmen. Und so geht auch der Erlös dieses Konzerts komplett an den Adventskalender, alle Verwaltungskosten trägt der Süddeutsche Verlag.

"Quadro Nuevo", die schon im vergangenen Sommer beim Kulturfeuer-Festival in Ebersberg spielten, haben an diesem Abend nicht nur zahlreiche Instrumente, von Harfe bis Saxofon, von Bandoneon bis Xylofon, sondern auch Glanzstücke von ihrer Klangreise durch die Kulturen mitgebracht. "Die Botschaft", die Mulo Francel auf seinem Hirtenstab zur Melodie des Weihnachtsliedes "Kommet ihr Hirten" in die Welt trötet, passt eben so gut zum Thema des Abends wie die Komposition "Canzone della Strada". Die Straße als Metapher für das lärmende Weltgetriebe mit seinen Leidenschaften und Nöten, seinen Menschen und Märkten, Liedern und Geschichten ist Quelle und Fundgrube für das musikalische Schaffen von Quadro Nuevo.

Sogar Gewürze wie der scharf-süße Paprika finden klangliche Würdigung. Vor wenigen Wochen erst atmeten die Vier in Buenos Aires die von Schmerz, Liebesgeflüster, Wein und Sehnsucht geschwängerte Luft der Tangoclubs ein. Einige Kostproben der neuen CD "Tango" stellen sie im Alten Speicher vor. Der listigen Aufforderung Francels, wer sich jetzt aufraffe und tanze, bekomme eine CD geschenkt, folgt allerdings keiner der Zuschauer. Die Tanzstunden sind halt schon etwas länger her.

Manchmal führt das Lied der Straße auch in die Vergangenheit - und zum Leidensweg des polnischen Juden Hirsh Glik, der im Alter von 22 Jahren von den Nazis ermordet wurde. Francels traurig-zarte Bearbeitung des Lieds "Shtil die Nakht is oysgesternt" ("still, die Nacht ist voller Sterne") erzählt die Geschichte der Widerstandskämpferin Vitka Kempner aus dem litauischen Ghetto Wilna.

Ob Weihnachtslied, Tango oder die mäandernde Melodie einer Tanzweise aus dem türkischen Antiochia: Die Musiker von Quadro Nuevo sind Klangsammler und -schöpfer zugleich. Mulo Francel, spielt auf Klarinette und Saxofon Tonfolgen im freien Fall, kein Mensch weiß, woher er den Atem nimmt. Wären Schlangen im Alten Speicher gewesen, sie wären am Ende alle high gewesen. Auch Evelyn Huber lässt auf ihrer Harfe Hörkonventionen hinter sich, wenn sie die Saiten mal feenhaft, mal perkussiv klingen lässt. D.D. Lowka hat seinen Bass auch nicht bloß zum Brummen, er nutzt ihn als Schlagzeug und Singstimme.

Andreas Hinterseher, der sein Bandoneon wie eine schmückende Girlande vor den Bauch hält, hat ihn schon verinnerlicht, diesen herb-süßen wehmütigen Tangoton, der sofort unter die Haut geht. Das Quartett verabschiedet sich mit zwei Hits von Astor Piazolla, steigert sich noch einmal in einen leidenschaftlichen Klangrausch, bevor die letzte Zugabe "Es wird scho glei dumpa!" in Richtung Advent weist. Dann wird er gebraucht, der Hirtenstab. Das Publikum spendet tosenden, dankbaren Applaus.

© SZ vom 15.11.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: