SZ-Serie "Unter Druck", Folge 1:"In Bayern ist es besonders schwierig"

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Wie werde ich einheimisch? Eine Kulturwissenschaftlerin und ein Soziologe über gelungene Integration und Unterschiede, die immer bleiben werden.

Interview von Carolin Fries und Lisa Bender

Was ist eigentlich Heimat - und wie schafft man es als Zugroaster, heimisch zu werden? Die Ebersberger SZ hat die Münchner Kulturwissenschaftlerin Simone Egger gefragt, wie es klappen kann. Die 36-Jährige hat für ihr Buch "Heimat. Wie wir unseren Sehnsuchtsort immer wieder neu erfinden" viele Facetten des Heimatbegriffs in Geschichte und Gegenwart beleuchtet. Die promovierte Ethnologin arbeitet am Institut für Geschichtswissenschaften und Europäische Ethnologie an der Universität Innsbruck. Parallel dazu hat Markus Menzl Fragen zum Integrationsprozess beantwortet. Der Soziologe hat für seine Dissertation Zuzüge speziell in ländliche Regionen untersucht.

SZ: Was ist Heimat?

Simone Egger: Das kann man so genau nicht sagen. Heimat kann ein Ort sein, ein Gefühl, Familie oder Freunde meinen. Letztlich hat es immer mit Zugehörigkeit zu tun. Es ist für alle Menschen wichtig, dass sie wissen, wo sie hingehören. Das ist ein bisschen wie eine Versicherung.

Als Heimat versteht man gemeinhin den Ort des Aufwachsens. Kann es darüber hinaus andere, mehrere Heimaten geben?

Simone Egger: Man kann immer wieder eine neue Heimat finden, auch wenn das mitunter ein schwieriger und anstrengender Prozess ist. Es wäre ja fatal, wenn das nicht möglich wäre. Die Heimat unserer Kindheit ist eine besondere, weil sie nicht hinterfragt wird, selbstverständlich ist. Doch diese Heimat verlassen wir für ein Studium, einen Arbeitsplatz oder aus anderen Gründen. Dann gilt es, eine neue Heimat zu finden.

Wie schnell geht das - einheimisch werden?

Ein Blick auf die Alxsinger Kirche, den sich manch einer gerne kaufen würde. Doch so einfach ist das mit Baugrund in Bruck nicht. (Foto: Christian Endt)

Simone Egger: Das kann sehr schnell gehen. Jeder kennt das Gefühl, dass man irgendwo ankommt und sich gleich zuhause fühlt - oder aber nicht.

Warum wehren sich manche Menschen und Gemeinden denn so gegen Neubürger?

Markus Menzl: Dafür gibt es einerseits handfeste Argumente, die aus einem gewissen Konkurrenzdenken und der Angst des Verlusts von erreichten Standards resultieren. So wird in manchen Fällen ein stärkerer Zuzug kritisch betrachtet, da das zum Beispiel noch mehr Verkehr, mehr Bewerber für geringe Kitaplätze und Ähnliches bedeuten kann. Aber es gibt andererseits auch eher diffuse Ängste, die damit zusammenhängen, dass man sich selbst nicht auseinander setzen möchte mit anderen Alltagsmustern, mit unvertrauten Normen und mit zusätzlichen Ansprüchen an die Gemeinde.

Gibt es einen entscheidenden Faktor für eine gelungene Integration?

Markus Menzl: Natürlich kann man das nicht verallgemeinern, aber in den Interviews, die ich geführt habe, hat sich herauskristallisiert, dass Kinder eine Art Türöffner für die soziale Integration sind.

Ist es in Bayern leichter, eine neue Heimat zu finden als in anderen Regionen Deutschlands?

Simone Egger: Ich glaube nicht. Ich denke sogar, es ist besonders schwierig. Die hier sehr große Verbundenheit mit der Region ist zugleich ein starkes Ausschlussverfahren. In einer Großstadt trifft das vielleicht weniger zu, auf dem Dorf oder in Kleinstädten aber sind die Menschen stärker verschworen.

Macht es bei der Integration denn einen Unterschied, ob der Neubürger nun aus Sachsen, Hamburg oder anderswo her kommt?

Simone Egger: Das ist egal, das entscheidende Kriterium ist: Die Person ist nicht vom Dorf. Die sozialen Strukturen sind hier sehr eng gefasst, da muss man erst mal ganz schön kratzen, bis eine Tür aufgeht.

Wie macht man das am besten, das Kratzen?

Simone Egger: Im Dorf sind die Menschen oft in Vereinen und Verbänden organisiert. Wer von außen kommt, muss hier Interesse zeigen, das Gespräch suchen. Gibt es keinen öffentlichen Raum wie etwa einen Supermarkt, dann ist auch das schwierig.

Haben nicht auch die alteingesessenen Dorfbewohner Verantwortung, die Neuen zu integrieren?

Simone Egger: Natürlich. Teilhabe funktioniert nur wechselseitig. Wenn man kein Kennenlernen zulässt, schottet man sich ab.

Markus Menzl: Die Neubürger müssen einen größeren Teil beitragen, sie müssen flexibler sein, ihre Erwartungen auch mal relativieren, Geduld beweisen und sich mit den bis dahin prägenden Normen aktiv auseinandersetzen. Altbürger, die ja oftmals selbst erst einige Jahre zuvor in die Gemeinde zugezogen sind, sollten sich nicht zu sehr an den Status quo klammern und offen sein und offen für gewisse Veränderungen zeigen. Und auch Gemeindevertreter können viel zur Integration beitragen, zum Beispiel über das Volumen und den Standort der neu ausgewiesenen Baugrundstücke, über spezielle Neubürgerangebote oder über Einrichtungen wie etwa Mutter-Kind-Zentren, die jungen Familien Vernetzungsangebote offerieren.

Was meinen Sie: Erleichtert es den Integrationsprozess, wenn 30 Menschen neue Reihenhäuser beziehen, oder ist es leichter, ein einzelnes Ehepaar zu integrieren?

Markus Menzl: Neubausiedlungen können zu einer Separierung führen. Ich hatte ein Beispiel einer Mutter, die mir erzählt hat, in der Klasse ihres Kindes seien 22 Kinder, 16 davon würden in der Straße in der neuen Siedlung wohnen. Durch die Ausweisung großer, baulich meist relativ homogener Neubausiedlungen kommt es zu Zuzugswellen von Haushalten in ähnlicher Lebensphase und mit vergleichbaren Alltagsmustern. Diese Homogenität erleichtert die Vernetzung innerhalb der Neubausiedlung, erschwert aber tendenziell die Integration in die Gesamtgemeinde.

Simone Egger: Ich denke, beide Formen haben Vor- und Nachteile. Die Frage ist auch, wie die Nachbarn untereinander klarkommen. Einfacher geht es sicher in kleinen Gruppen. Das Thema wird aktuell ja auch bei der Unterbringung von Flüchtlingen diskutiert. Hier kommt hinzu, dass meistens keine Arbeitserlaubnis erteilt wird, und die Leute oft nur zuhause sind. Es kommt letztlich auf die Gemeinde und die Menschen an. Wenn sich die Alteingesessenen verschließen, hat es viel mit Vorurteilen zu tun und der Frage "Kann ich es zulassen, dass jemand Neues dazukommt?"

Simone Egger hat über Heimat geschrieben. (Foto: privat)

Was kann man stadtplanerisch für integrative Maßnahmen treffen?

Markus Menzl: In den nächsten Jahren wird es in vielen Gemeinden darum gehen, die Häuser und Siedlungen der 1950er und 60er Jahre zu erneuern und für eine neue Generation von Bewohnern attraktiv zu machen. Es werden dann nicht mehr nur immer neue Siedlungen am Rand der Gemeinde entstehen, sondern der Zuzug erfolgt mitten in die Gemeinde, in Nachbarschaften, in denen Altansässige und Zugezogene gemischt leben. Das ist eine Chance, Integrationsprozesse zu erleichtern und selbstverständlicher werden zu lassen.

Welche Hürden sind dennoch kaum überwindbar?

Simone Egger: Die sozialen Unterschiede werden immer eine Rolle spielen. Ganz gleich, ob es der Sozialhilfeempfänger ist, der ins Dorf zieht oder der BMW-Manager. Der Knackpunkt aber bleibt: Sind die Bestimmer im Ort bereit, einen aufzunehmen?

Machen es Dirndl und Lederhosen einfacher dazuzugehören?

Simone Egger: Wenn Neubürger sich damit zeigen, wird das oft negativ gewertet: die Tracht sei schließlich kein Kostüm. Dabei kann man "das Bayerische" in jedem Fall als Angebot sehen. Tatsächlich war auch das Dirndl eine Erfindung, ein Kleid für die Sommerfrische. Da passt es doch wunderbar, wenn es auch die neue Nachbarin trägt. Das Kleid funktioniert wie eine freundliche Geste - die kann man doch annehmen.

Warum entscheiden sich Menschen überhaupt für den Wohnortwechsel in eine ländliche Gemeinde?

Markus Menzl: Es gibt drei verschiedene Motivbündel: Da ist zum einen die preisliche Motivation. Baugrund ist im ländlichen Raum häufig günstiger, die Bildung von Eigentum wird hier für Familien oftmals erst möglich. Ein zweiter Grund ist es, die Lebensqualität von sich und vor allem von den Kindern optimieren zu wollen, Stichworte sind "mehr Grün, mehr Freiräume, weniger städtische Hektik". Drittens beobachte ich Menschen, die einen biografischen Zirkelschluss vollziehen. Das sind Menschen, die selbst auf dem Land aufgewachsen sind, für das Studium oder Ähnliches dann für mehrere Jahre in der Stadt ziehen, und dann aber wieder zurück aufs Land möchten, um ihren Kindern ein ähnliches Wohnumfeld bieten zu können wie sie es selbst als Kind genossen haben.

© SZ vom 26.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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