Ebersberg:Eine WG, eine Partei und viele Straftaten

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Auch wenn sie im Landkreis so gut wie nie offen in Erscheinung treten: Selbst hier leben und organisieren sich Neonazis

Von Max Nahrhaft und Anselm Schindler, Ebersberg

Der Überfall auf einen Ebersberger Dönerladen, bei dem eine Gruppe junger Rechtsradikaler mit Stöcken und Hämmern auf die afghanischen Mitarbeiter des Imbisses losgegangen war, hat sich bei vielen Ebersbergern ins Gedächtnis eingebrannt. Nach der Attacke tauchte die Frage auf, ob es im Landkreis aktive Neonazi-Strukturen gibt. Das ist schwer zu beantworten, denn die Rechtsradikalen sind längst nicht mehr alle als solche erkennbar, sie arbeiten unter Deckmänteln und oft im Verborgenen. Doch die Spuren ihrer Arbeit tauchen auch im Landkreis immer wieder auf, rassistische Flugblätter hier, rechte Parolen dort.

Im Münchner Aida-Archiv stapeln sich Bücher und Aktenordner bis unter die Decke. Seit den 80er Jahren sammeln die Mitarbeiter des Archivs Informationen zu rechten Umtrieben in der Region. Auf den Tischen liegen dicke Aktenordner, auf einem steht in schwarzen Lettern "Ebersberg". Aida sammelt nicht nur offizielle Daten über rechte Strukturen, sondern recherchiert auch immer wieder Interna - oder legt rechtsradikale Strukturen offen. Und die gibt es auch im Landkreis.

Die Nazi-WG

In einem unscheinbaren Wohnhaus in der Nähe der Esso-Tankstelle in Markt Schwaben wohnten bis zum Sommer 2014 drei Neonazis, die in der 2014 verbotenen Kameradschaft "Freies Netz Süd" (FNS) aktiv waren. Es handelte sich um den verurteilten Rechtsterroristen Karl-Heinz Statzberger, seine damalige Freundin Claudia M. und Pierre P. Auch das FNS selbst war bis zu seinem Verbot im Sommer 2014 im Landkreis aktiv und machte unter anderem durch Flugblatt-Aktionen auf sich aufmerksam. "Für das FNS war Markt Schwaben damals der wichtigste Rückzugsort", sagt Felix Benneckenstein, der bis 2011 selbst in der Neonazi-Organisation aktiv war, dann aber aus der Szene ausstieg.

Neben der WG hätten auch noch andere Rechtsradikale im Ort gelebt, "insgesamt waren das sechs Leute aus der Führungsetage des FNS", so Benneckenstein. Die WG war der Dreh- und Angelpunkt des Netzwerks in Oberbayern. Im Ort selbst und im Landkreis hätten sie sich aber bewusst zurückgehalten, "die wollten hier nicht auffallen, haben aber viel Basisarbeit gemacht, gerade bei der Mobilisierung der lokalen Glatzen-Szene". Im Juli 2013 wurde die WG von der Polizei durchsucht, die dort Hitler-Bilder, Knüppel, Pistolen und Stielhandgranaten fand.

Wie viele der einstigen FNS-Mitglieder heute noch in Markt Schwaben leben, ist nicht bekannt. Doch es gibt Hinweise darauf, dass in der Gemeinde immer noch Rechtsradikale aktiv sind: In den vergangenen Monaten tauchten immer wieder rassistische Holz-Schilder auf. Ein ehemaliges Forstinninger Gemeinderatsmitglied bestätigt, dass erst Anfang Januar an der Verbindungsstraße zwischen Markt Schwaben und Pliening rot-weiße Warnschilder mit dem Schriftzug "Islamisierung tötet" und "No Nafris" aufgestellt wurden. Die kürzlich gegründete Organisation "Der Schild" bekannte sich dazu, wer hinter der Organisation steht, ist allerdings unklar.

Eine neue Partei

Aus dem "Freien Netz Süd" ging in den Monaten nach dessen Verbot 2014 die Neonazipartei "III. Weg" hervor. Statzberger, der in der Zwischenzeit nach München umgezogen war, fungiert für die Partei als "Stützpunktleiter" für den Bereich Oberbayern. 2005 wurde er verurteilt, weil er zusammen mit anderen Neonazis einen Sprengstoffanschlag auf die Grundsteinlegung des Jüdischen Zentrums München geplant hatte. Die beiden ehemaligen Mitbewohner von Statzberger waren laut der Münchner Antifaschistischen Dokumentationsstelle (Aida) ebenfalls in den Strukturen des "III. Weg" aktiv.

Im März vergangenen Jahres verteilten Aktivisten der Nazipartei rassistische Flugblätter in der Umgebung einer Asylbewerberunterkunft in Poing. "Wir wissen, dass Personen vom ' III. Weg' im Landkreis wohnen", sagte Gerhard Karl von der Staatsschutzabteilung der Erdinger Kriminalpolizei nach der Flugblattaktion. Ein Mitarbeiter vom Aida-Archiv bestätigt das und vermutet, dass zumindest in Pliening und Poing Aktivisten der rechtsradikalen Kaderpartei leben.

Poing im Fokus

Im Juli 2015 wendeten sich zwei Poinger an die Gemeinde, weil sie in ihrer Nachbarschaft ein Treffen von vermeintlichen Rechtsradikalen beobachtet hatten. Die Personen trugen szenetypische Kleidung, auch "Sieg Heil!"-Rufe seien zu hören gewesen, wie die beiden der Gemeindeverwaltung berichteten. Es war wohl nicht das erste Treffen von Rechtsradikalen in der Gemeinde. Bis mindestens 2011 haben sich die Mitglieder des FNS jahrelang im Jolly Rogers, einer Poinger Kneipe, getroffen, deren damalige Betreiberin mit Statzberger befreundet war. "Dort haben regelmäßig Kameradschaftstreffen stattgefunden, aber auch vor Demonstrationen oder bloß zum Saufen sind die Rechten zusammengekommen", so ein Mitarbeiter von Aida. 15 bis 20 Neonazis seien dort ein und aus gegangen.

Wie schnell aus Worten physische Gewalt werden kann, zeigt in Poing auch ein konkreter Fall: 2005 wurden zwei junge Männer gefasst, die einen Brandanschlag auf einen Pizzawagen in Pliening verübt hatten. Die beiden traten unter dem Namen "Nationale Jugend Poing" auf.

Geschmierte Parolen

In Poing, wie auch in anderen Landkreisgemeinden, kam es in den vergangenen Monaten und Jahren immer wieder zu großflächigen rechtsradikalen Schmierereien. In Grafing malten 2015 unbekannte Täter wenige Tage nach dem Holocaust-Gedenktag ein stilisiertes Konzentrationslager an eine Glaswand, daneben hinterließen sie rechtsradikale Symbole. Bereits 2011 waren überall im Grafinger Gymnasium rassistische Schmierereien aufgetaucht, Schüler demonstrierten daraufhin gegen Rechts. Wenige Tage später ging eine Bombendrohung ein, die Polizei ging von rechtsradikalen Motiven aus, die Schule wurde evakuiert.

Erst vor wenigen Monaten waren wieder ausländerfeindliche Aufkleber in Ebersberg und Grafing aufgetaucht, auch Schriftzüge mit Siegrunen und rechten Kampfbegriffen wurden in Zorneding und Vaterstetten hinterlassen. Eine Mitarbeiterin der regionalen Beratungsstelle gegen Rechtsextremismus für Oberbayern und Schwaben bestätigte auch eine Hakenkreuz-Schmiererei in Grafing, die dort im Januar aufgetaucht war.

Völkische Jugendkultur

Neben dem "III. Weg" sind weitere Organisationen im Landkreis aktiv, die weniger offen rassistisch auftreten, aber ebenso dem rechtsradikalen Spektrum zugeordnet werden. Etwa die "Identitäre Bewegung" (IB). Im Oktober 2016 verbanden Aktivisten der IB die Augen der Skulptur des Schriftstellers Joseph von Eichendorff am Ebersberger Aussichtsturm und klebten ein Pappschild mit der Aufschrift "Blind in den Untergang?" darunter. Auf der Facebook-Seite der IB fand ein Foto der Aktion schnell Verbreitung. Arndt N., eine der Schlüsselfiguren der "Identitären Bewegung" in Bayern, stammt aus dem Süden des Landkreises. Er ging auf ein Gymnasium im Landkreis, wo er bis zum Ende seiner Schulzeit in 2014 für die Schülerzeitung schrieb, bevor er zum Studieren nach München zog. Der Direktor des Gymnasiums gab auf Nachfrage an, ihm sei kein "rechtsradikaler ehemaliger Schüler bekannt". Heute tritt Arndt N. offen für die "IB" in München auf und ist in der rechten Burschenschaft Danubia aktiv.

Die IB wird seit Anfang vergangenen Jahres vom bayerischen Verfassungsschutz beobachtet. Die Behörde sieht personelle Überschneidungen mit neonazistischen Organisationen und beschreibt das Weltbild der IB als biologistisch und völkisch geprägt.

© SZ vom 04.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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