Ebersberg:Der Kern der Hartschale

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Der Essener Kabarettist Jochen Malmsheimer bei einem früheren Bühnenabend in Ebersberg. (Foto: Christian Endt)

Jochen Malmsheimers Auftritt im Alten Speicher

Von Korbinian Eisenberger, Ebersberg

Es kann zum Gelingen eines Abends beitragen, wenn der Protagonist sich selbst auf die Schippe nimmt. "Hätte der Herr gewollt, dass ich fliege, hätte er mich deutlich leichter angelegt", sagte der Mann mit der wuchtigen Statur, dem eindrucksvollen Bart und der markigen Stimme. Es geht hier ums Reisen, eine Betätigung, die man hinterfragen kann, vor allem wenn man dafür ein furchterregendes Flugzeug braucht. Die Zauneidechse kann bei Bedrohung ihren Schwanz abwerfen, erklärte der Mann auf der Bühne. "Ich aber nicht." Johlen im Saal.

Jochen Malmsheimer hat am Freitagabend den Saal gefüllt, der Alte Speicher in Ebersberg war ausverkauft. Sein Ruf eilt dem Essener offenbar voraus, die meisten der 470 Ebersberger an den Tischen dürften gewusst haben, was auf sie zukommt: Ein Kabarettist, der in der Szene zu einer Galionsfigur des Sprachspiels geworden ist. Aber auch einer, der seinem Publikum einiges abverlangt.

Malmsheimer beherrscht wie kein Zweiter die Kunst, Banalitäten des Alltags in eine gestelzte Hochsprache zu verpacken. "Ich zwänge meine Körperlichkeit in eine Hartschale", sagt er, ehe er "eine Vorfahrerin hochbarocker Konstruktion" entdeckt. Er hockt sich also auf einen engen Flugzeugsitz, und vor ihm sitzt eine ältere Frau, die Schmuck trägt. Übersetzt man Malmsheimer in Umgangssprache, ist das gar nicht mehr so lustig. In den Worten des Kabarettisten entfaltet die Trivialität des Alltags aber eine Wucht, die bei seinem Publikum gnadenlos einschlägt. Und so können sich im Alten Speicher manche kaum halten, als er sagt: "Bei Benutzung eines Busses droht die Anwesenheit einer Gruppe."

Es gibt Kabarettisten, die in einfachen Worten große Themen besprechen. Und es gibt Jochen Malmsheimer, der es genau andersrum macht. In seinem aktuellen Programm - mit gewohnt verschraubten Titel - "Dogensuppe Herzogin - ein Austopf mit Einlage" zieht er seit 2016 eine Sprache durch, die in ihrem verschachtelten Nominalstil schwer bekömmlich sein kann. Wer einen Malmsheimer-Abend genießen will, sollte also in ausgeruhtem Zustand hingehen. Offenbar war das Ebersberger Publikum entsprechend informiert, so konzentriert wie sie sich Alten Speicher begeistern ließen. Malmsheimer kommentierte das so: "Sie sollen nicht jedes Mal klatschen, wenn Sie was verstanden haben."

Und doch weiß der 56-Jährige auch inhaltlich zu überzeugen - nicht in allen Teilen des Programmes, aber in seiner Gesamtheit. Malmsheimer knöpft sich die weit verbreitete Dummheit vor und sucht nach den Gründen dafür. "Ist Walküre die Fußpflege bei riesigen Meerestieren" - (dieser vergleichsweise eher simple Kalauer kommt zu Recht blendend an) -, stellt er in den Raum. Mit dieser Frage ist er am Kern seiner Botschaft angelangt. Inhaltliches Leitmotiv des Abends ist Malmsheimers Kritik an einer kapitalistischen Gesellschaft, die zunehmend durch mangelnde Bildung besticht. Klar, wo der Begriff sich aus dem englischen Wort für Rechnung (Bill) und einer deutschen Kurzform von Dünger (Dung) zusammensetzt.

Malmsheimer kommt mit seinem Holzfällerhemd daher wie ein Verkäufer vom Langwieder Hagebaumarkt, der einem eine stumpfe Stihl-Motorsäge andrehen will. Stattdessen verdreht Malmsheimer stilsicher Sätze und Worte, und zwar mit einem Tempo, dass man teilweise kaum hinterher kommt. Das ist wiederum schade, denn die Beobachtungen des Rheinländers sind so rein und präzise, dass man mitunter ins Staunen gerät. Ob hinter all dem ein brillantes, fast schon philosophisches Plädoyer für Vernunft und Aufklärung steckt? Vielleicht kommt zu diesem Schluss nur, wer ein Linguistik-Diplom besitzt. Vielleicht reicht dafür aber auch weniger akademische Vorbildung. "Man merkt, dass Ebersberg keine Universitätsstadt ist", frotzelte Malmsheimer noch. Und sie verabschiedeten ihn trotzdem mit donnerndem Applaus.

© SZ vom 05.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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