Ebersberg:Der große Irrtum

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Ökumeneabend thematisiert Ständetrennung in der Kirche

Von Thorsten Rienth

GrafingGeht es nach dem Vaterstettener Dogmatik-Professor Peter Neuner, dann beginnt der vielleicht größte Irrtum der Kirchengeschichte mit dem Ende des dritten Jahrhunderts. Schleichend erhält er Einzug, irgendwann ist die Trennung auch in der Kirchenrechtsinterpretation vollzogen. Oben der Kleriker. Unten der "Laie". Das, obwohl sich der Unterschied an keiner Stelle im Neuen Testament begründen lasse, argumentiert der Professor. "Abschied von der Ständekirche", nannte er sein neues Buch, das er am Mittwoch beim Ökumeneabend vorgestellt hat. Der Untertitel: "Plädoyer für eine Theologie des Gottesvolkes".

Selbiges begann er ausgerechnet mit einem Aufsatz von Joseph Ratzinger, jemand, der nicht gerade als Kritiker einer Ständekirche bekannt wurde. Alle Christen seien Brüder und Schwestern, fasste Neuner den Essay "Die christliche Brüderlichkeit" zusammen. Das bedeute nicht weniger, als die Aufhebung aller Grenzen zwischen den Gläubigen. Es ist ein Eckpfeiler in Neuners These, dass der Abschied von der Ständekirche eigentlich gar kein Abschied sei, sondern eine Rückbesinnung.

Sätze wie dieser lassen es erahnen: Neuner ist ein ziemlich progressiver Dogmatiker. Einst hatte er den Lehrstuhl für Dogmatik an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Münchner LMU inne. Dort gehörte er zu denjenigen, der die Titel seiner Seminare nicht nur selbst festlegte, sondern sich auch von den Studierenden leiten ließ. Aus einem dieser Seminare war vor über 20 Jahren das Buch "Der Laie und das Gottesvolk" entstanden. Nun schlug Neuner dem Herder-Verlag eine Überarbeitung vor. Die Lektoren sagten zu. Daraus wurde "Abschied von der Ständekirche - Plädoyer für eine Theologie des Gottesvolkes".

Doch warum kam es weder im Verlauf der Jahrhunderte zu Neuners angesprochenen Rückbesinnung, noch in den vergangenen Jahrzehnten, als Kirchenrecht auch unter Gläubigen immer kritischer hinterfragt wurde? Wie so oft seien die Gründe vielschichtig, sagte Neuner. "Je mächtiger die Kirche über die Jahrhunderte wurde, desto mächtiger wurde auch der Klerus." Wer gebe schon freiwillig eine über Jahrhunderte gewachsene Machtposition ab?

Gut möglich, dass auch die landläufig irreführende Besetzung des Begriffs "Laien" eine Rolle gespielt habe. Von wegen Nichtfachmann - "Laie leitet sich von 'laós' ab, Volk", stellte Neuner klar. Das mache die Trennung zwischen Klerikern und Laien per se falsch. "Es gibt ein Volk. Das Volk der Christen. Deshalb verbietet es sich, den Begriff zu verwenden, um in der Kirche Stände zu definieren." Stattdessen bezeichne der Begriff lediglich die "Glaubenden und Getauften im Gegensatz zu den Nicht-Getauften und Nicht-Glaubenden".

Die Trennung zementiere die Kirche auch, weil sie den "Laien" keine Mitsprache etwa bei der Wahl der Bischöfe einräume, meldete sich jemand. Auch das sei schon einmal anders gewesen, entgegnete Neuner und verwies auf eine zentrale Quelle des Urchristentums, nämlich den etwa 100 nach Christus verfassten Ersten Clemensbrief: "Niemand kann Amtsträger werden ohne die Zustimmung der Gemeinde", heißt es darin.

© SZ vom 28.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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