Ebersberg:Chronist mit Stift und Pinsel

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Schau-Fenster: Eine Galerie auf Zeit mit Arbeiten des 1954 gestorbenen Kunstmalers Josef Brendle, der seine Kindheit in Ebersberg verbrachte, hat Kuratorin Antje Berberich in der Bahnhofstraße 16 eröffnet. Zweiter Bürgermeister Toni Ried und Mitarbeiter Michael Schwarz bewundern ein Aquarell. (Foto: Christian Endt, Fotografie & Lic)

In einem leer stehenden Laden in der Ebersberger Bahnhofstraße präsentiert die Stadt eine stattliche Sammlung von Gemälden und Skizzen des Malers Josef Brendle.

Von Rita Baedeker, Ebersberg

In gewisser Weise war die Bildende Kunst im Geschäftsraum des Ladens in der Ebersberger Bahnhofstraße 16 schon heimisch, bevor Ebersbergs Stadtarchivarin Antje Berberich hier eine Galerie eröffnete. Konnte man sich hier bis vor einiger Zeit Tattoos stechen lassen, so ist jetzt, zumindest für zwei Monate, eine Sammlung von Werken aus dem rund 80 Gemälde und 24 Zeichnungen und Skizzen umfassenden Nachlass des Ebersberger Malers Josef Brendle zu sehen.

Da die Fläche klein ist, kann man die Mehrzahl der Exponate durchs Schaufenster betrachten. Dazu gehören klein- und großformatige Ölbilder und Aquarelle, alpine Landschaften, Porträts von Familienangehörigen und Förderern Brendles wie dem seines geliebten Onkels Veri und dem des Ebersberger Arztes Theodor Floßmann; sogar ein Skizzenbuch des Malers ist noch da. Berberich hat die kleinen Zeichnungen und Naturstudien kopiert und vergrößert, so dass man sie ansehen kann, ohne das empfindliche Buch mit den teilweise verwischten Originalen in die Hand zu nehmen. Auch eine Farbpalette des Malers, seine Fototasche mit Fotoapparat sind ausgestellt. Antje Berberich hat mittlerweile weitere Nachkommen Brendles in Wien und Kirchseeon aufgespürt. "Die Sammlung wird noch wachsen", sagt sie.

Viele bekannte Ebersberger seiner Zeit hat Brendle auf Leinwand verewigt, etwa den Arzt und Wohltäter Theodor Floßmann. (Foto: EBE)

Josef Brendle wurde am 1. März 1888 als Sohn eines Wanderhandwerkers geboren. Sein Förderer und Vormund war jedoch sein Onkel, Franz Xaver Weber Junior, liebevoll "Veri" genannt. Weber war in Ebersberg eine bedeutende Persönlichkeit, war Schneidermeister, Kirchenmusiker, Gemeinderat, Vorstand zahlreicher Vereine und stellvertretender Bürgermeister. Er kümmerte sich um die künstlerische Entwicklung seines Neffen, nachdem die Mutter nach der Geburt ihres zweiten Sohnes, der nur drei Monate alt wurde, gestorben und sein Vater auf Nimmerwiedersehen verschwunden war. Josef Brendle wuchs zwar bei der Großmutter mütterlicherseits auf, doch ein geistiges Zuhause fand der Waisenjunge beim Onkel in der "Weberburg" am Hang, heute die Eberhardstraße 12. Dort lernte der kleine Josef schneidern, Geige und Klavier spielen.

Welch liebevolles Verhältnis Brendle mit seinem Onkel lebenslang verband, kann man Briefen entnehmen, die der junge Maler ihm aus dem Ersten Weltkrieg geschrieben hat: "Wochen sind nun seitdem vergangen, da ich das letzte Mal in der Heimat weilte. Nur wenige Tage waren es, die ich bei euch zubringen durfte - und doch haben diese wenigen so mächtig auf mein Gemüt gewirkt, dass sie eine Erinnerung in mir zurückgelassen, die mich alle Tage, ja stündlich, wieder dorthin zurückführt. Man erlebt all das Schöne tausendmal wieder. . . "

Für sein Kunstschaffen war aber wohl von Anfang an vor allem der Einfluss von Onkel Veris Bruder Wilhelm, einem Dekorations- und Kirchenmaler, ausschlaggebend. So trat der verwaiste Bub seinen Lebensweg umgeben von guten Geistern oder, wie man heute sagen würde, positiven Bezugspersonen an, die den Verlust der Eltern wettzumachen versuchten.

Als er zwölf Jahre alt war, organisierte sein Onkel Unterricht bei dem Ebersberger Kunstmaler Alois Kolb. Mit 16 durfte "Seppi" die Königliche Kunstgewerbeschule in München besuchen. Von 1907 an lernte er an der Königlichen Akademie der Bildenden Künste. Und weil er da ebenfalls glänzte, erhielt er eine Förderung vom Prinzregenten persönlich - 50 Mark pro Monat aus der Privatschatulle.

Ein nicht ganz ernst gemeintes Selbstportraits Josef Brendles, mit dem Titel "Seppi von der Fünften". (Foto: oh)

Als Soldat im Ersten Weltkrieg fand er Gelegenheit zu zeichnen, unter anderem fertigte er farbige Vorlagen für Postkarten. In der Ausstellung zu sehen ist zum Beispiel ein Selbstporträt des Malers als Soldat mit Zigarre, fast eine Karikatur: "Seppi von der Fünften!" Während seiner Zeit auf dem Balkan malte er ein rumänisches Bauernpaar. Die Porträts belegen einen sensiblen Umgang mit Licht, in dem sich der Gemütszustand Brendles spiegelt. Er schuf komplexe Charakterstudien und verzichtete, etwa bei dem Porträt der Grafinger Kastenwirtin Anna Wagner, auf Beiwerk. Der Hintergrund ist dunkel, von Kleidung und Frisur sieht man fast nichts, umso präsenter wirkt das ernste Antlitz der Frau.

Nach dem Zweiten Weltkrieg ging Brendle nach Freilassing, er heiratete, gründete eine Familie und widmete sich wieder der Malerei. Das Gemälde der Schmiedewerkstatt gehört zu den größten der Sammlung. Brendle unternahm gerne Bergtouren, machte Naturstudien, bestimmte mit wissenschaftlichen Methoden Baumarten, malte Almhütten und die majestätische Alpenlandschaft.

1944 musste er erneut in den Krieg, kehrte aber 1945 unversehrt zurück und setzte seine künstlerische Arbeit nahtlos fort. Die seit 1952 nach Reisen in die Dolomiten entstandenen Arbeiten spiegeln durch ihre heiteren Farben die wiedergewonnene Seelenruhe des Malers. Am 1. Januar 1954 ist Josef Brendle 65-jährig gestorben. Sein Grab ist in Freilassing.

Von Mitte Dezember an wird die Galerie in der Bahnhofstraße 16 in Ebersberg voraussichtlich zwei Monate lang stundenweise wochentags und an jedem Wochenende geöffnet sein.

© SZ vom 27.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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