Ebersberg:Barrierefreiheit im Kopf

Lesezeit: 2 min

Obwohl es Angebote für Menschen mit Behinderung im Landkreis gibt, bleibt viel zu tun

Von Annalena Ehrlicher, Ebersberg

"Jetzt vor Weihnachten ist es einfach der Wahnsinn mit den Anfragen und Hilfsbedarf", sagt Gerhard Schönauer, Leiter des Ambulanten Dienstes für Menschen mit Behinderung von der Arbeiterwohlfahrt (Awo) Markt Schwaben. "Wir haben den Eindruck, dass das jedes Jahr mehr wird", fügt er hinzu. Besonders deutlich spürt er den steigenden Bedarf im Rahmen des Familienentlastenden Dienstes, einem Angebot sozialer Einrichtungen wie der Awo, das beispielsweise Freizeitaktivitäten für Menschen mit Behinderung anbietet. Das ist auch für deren Familien enorm wichtig. Den Grund für die steigende Nachfrage sieht Schönauer unter anderem in den veränderten Familienstrukturen. Während es vor einigen Jahrzehnten noch weitestgehend normal gewesen sei, dass es "noch eine Oma oder irgendeinen Verwandten im Nachbardorf" gab, wechseln die Menschen heute häufiger den Wohnort.

Für die Betroffenen sei es dann wichtig, ein neues Umfeld aufzubauen - und häufig müssen gerade Alleinerziehende deshalb auf soziale Einrichtungen zurückgreifen. "Wir suchen ständig nach Ausweichmöglichkeiten, an die man die Familien weiterverweisen kann", erzählt der Sozialarbeiter. Doch gerade im Süden des Landkreises sei es teilweise sehr schwierig, den Bedarf beispielsweise über Nachbarschaftshilfe abzudecken.

Für das Angebot an Freizeitaktivitäten - vor allem im Landkreissüden - zeichnet sich unter anderem die Offene Behindertenarbeit des Bayerischen Roten Kreuzes verantwortlich. Simone Hendrischke sagt: "Unser Angebot ist dem der Awo in vielerlei Hinsicht sehr ähnlich: Wir helfen bei Antragstellungen, vermitteln weiter, wenn wir nicht konkret selbst was machen können und bieten viele Freizeitaktivitäten an." Mit der Behindertenbeauftragten der Stadt Ebersberg ist die OBA ebenfalls in stetigem Kontakt. "Wir sind für die Leute häufig die erste Anlaufstelle und wissen dann auch, an wen man sich wenden kann oder muss", sagt ihr Kollege Fabian Kraemer.

Grundsätzlich kann jeder an den Unternehmungen teilnehmen - allein im vergangen Jahr gab es etwa 180 Aktionen, die von Hendrischke und Kraemer organisiert und von den zirka 100 Freiwilligen der Einrichtung veranstaltet wurden. Für viele der Teilnehmer ist die OBA Verein und Freundeskreis in einem: "Wir bieten ja vor allem die Möglichkeit, dass Menschen mit Behinderung überhaupt Freizeitangebote wahrnehmen können, das ist ja alleine häufig nicht möglich und macht auch einfach mehr Spaß in der Gruppe", weiß Kraemer.

Ein großes Thema - für alle Einrichtungen für Menschen mit Behinderung im Landkreis - ist die Barrierefreiheit. Beim von der OBA organisierten Aktionstag im Mai dieses Jahres hatten Interessierte die Gelegenheit, zu sehen wie weit man in der Kreisstadt damit schon ist. "Die Ebersberger waren so mittelzufrieden mit ihrer Stadt", erinnert sich Kraemer: Die Bereitschaft in der Land- und Landkreispolitik sei da, dennoch bleibe immer viel zu tun. "Bisher habe ich aber noch keine Ablehnung gespürt", so seine Kollegin.

Die Fortschritte bei der Barrierefreiheit für körperlich behinderte Menschen nimmt auch Barbara Portenlänger-Braunisch von Soziale Dienste Psychiatrie in Vaterstetten zur Kenntnis. "Aber grundsätzlich würde ich mir wünschen, dass auch Menschen mit psychischen und seelischen Krankheiten mehr berücksichtigt würden", sagt sie. Auch das neue Bundesteilhabegesetz, das im Dezember verabschiedet werden soll und von Sozialverbänden äußerst skeptisch gesehen wird, sei stärker auf körperliche als auf seelische Behinderungen ausgelegt.

"Barrierefreiheit im Kopf bräuchten wir", so die Einrichtungsleitung. Nach wie vor würden psychisch kranke Menschen stigmatisiert. Ein Beispiel dafür sei, dass seelische Leiden öffentlich nach wie vor kaum thematisiert würden. "Das ändert sich nur ganz langsam - inzwischen stehen immerhin manchmal bekannte Persönlichkeiten öffentlich zu ihren Depressionen", sagt sie. Den Grund für diese Unterscheidung sieht sie darin, dass viele Menschen psychischen Krankheiten hilfloser gegenüber stünden. "Um körperlich Behinderten zu helfen, kann man Rampen und Aufzüge bauen", so Portenlänger-Braunisch, "in unserem Fall hilft nur eines: den Menschen nicht alleine lassen, sondern vermitteln, dass er ein Teil von uns ist."

© SZ vom 10.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: