Arbeiten mit Flüchtlingen:Ausloggen unmöglich

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Judith Gitay ist seit Februar als Sozialpädagogin für Asylbewerber im Landkreis zuständig. Täglich besucht sie die Unterkünfte und hilft, wo immer es brennt.

Von Mariel Müller, Ebersberg

"Man platzt immer mitten in das Leben von Menschen hinein." Judith Gitay kommt gerade aus der Notunterkunft in Ebersberg, bis zu 50 Flüchtlinge leben dort derzeit in der Turnhalle der Realschule. Um die 50 sind es auch in Poing und 80 waren es bis vor kurzem in Vaterstetten. Gitay sieht in den Unterkünften regelmäßig nach dem Rechten. Das ist ihr Job.

Seit Februar ist die 29-jährige Sozialpädagogin mit zwei Kollegen für die 772 Asylbewerber zuständig, die in 36 Turnhallen, Containern und vormals leerstehenden Häusern im ganzen Landkreis untergebracht sind. Die junge Frau konzentriert sich dabei auf Ebersberg und Steinhöring. "Wenn man in eine Notunterkunft reingeht, nimmt man erst einmal ein buntes Stimmengewirr wahr: Arabisch, Deutsch, Englisch, Wolof, Tigrinya. Dann hört man Musik. Man wird immer begrüßt, es wird immer gegessen, getrunken, gelernt. Es ist immer was los."

Wenn sie Familien in ihren Wohnungen besuche, biete sich ein ganz normales Bild, wie bei Freunden zu Hause: Die Eltern holen den Nachwuchs von der Schule ab, kochen, die Kinder lernen. In reinen Männerunterkünften wird viel Sport getrieben, manche gehen zur Arbeit.

Arbeit ist laut Gitay ein heikles Thema. Die allermeisten Asylbewerber wollen eine, die wenigsten haben eine. Im Prinzip können sie sich nach drei Monaten eine Arbeit suchen - wenn sie eine Genehmigung bekommen und es keinen Deutschen oder anerkannten Flüchtling gibt, der sich für die selbe Stelle bewirbt.

Doch das Hauptproblem ist die Sprache: Ohne Deutschkenntnisse gibt es in den meisten Fällen keinen Job. Weil das Landratsamt keine Sprachkurse anbietet, werden solche von den ehrenamtlichen Helferkreisen organisiert. Diese sind aber hoffnungslos überfüllt. "Derzeit gibt es keine freien Plätze", weiß Gitay.

Bevor die gebürtige Thüringerin im Februar ins Landratsamt wechselte, hat sie fünf Jahre lang das Jugendzentrum in Poing geleitet. Der Kontakt zu Asylbewerbern ist neu für Gitay. Da sie aber schon mit Ausländern gearbeitet und selbst einen Migrationshintergrund hat, ist der respektvolle Umgang mit Menschen unterschiedlicher Kulturen eine Selbstverständlichkeit für sie. Die Arbeit mit Flüchtlingen klang nach einer Herausforderung, der sie sich gerne stellen wollte. "Das ist ein großes Thema. Ich dachte: Jetzt kann ich dabei sein und das mitgestalten." Wenn sie sprachlich mal nicht weiterkommt, stehen immer freiwillige Dolmetscher aus den Helferkreisen zur Verfügung, erzählt sie.

Die meisten der Flüchtlinge sind junge Männer zwischen 18 und 35 Jahren, sie kommen aus Eritrea, Syrien und Afghanistan. Aber auch Familien mit Babys und älteren Menschen zählen zu den von Gitay betreuten Flüchtlingen. Ebenso heterogen sei die soziale Herkunft: von Universitätsabsolventen bis zu Analphabeten sei alles dabei. "Es sind fast 800 Asylbewerber - da kann man das Wort Asylbewerber auch streichen und sagen: Es sind 800 Personen. Das ist einfach ein Querschnitt durch die Gesellschaft." Einen routinemäßigen Arbeitsalltag hat Judith Gitay nicht: "Normal gibt's bei uns nicht, kein Tag ist wie der andere."

Sie hilft beim Ausfüllen von Anträgen, berät bei Problemen mit der Erziehung, erkundigt sich bei Schulen und Kindergärten, ob es Platz für die Kinder der Geflüchteten gibt, interveniert bei Krisen. Diese fangen schon bei kleineren Streitereien untereinander an: "Der eine hört laut Musik, der andere möchte beten, der dritte kochen, der vierte schlafen.

Da muss man an die Bewohner appellieren und ihnen klarmachen: Ihr seid jetzt hier zusammen, ihr müsst alle an einem Strang ziehen", erklärt die Sozialpädagogin. Das Leben auf engstem Raum sei per se eine Ausnahmesituation. Präventiv zu arbeiten und sofort zu reagieren, wenn sie auf Probleme aufmerksam gemacht wird, sei der Schlüssel, um Konflikte zu vermeiden.

Die meisten Asylbewerber nähmen Interventionen gut an: "Die sind sehr kooperativ, können auch gut damit umgehen, wenn man Regeln aufstellt. Das sind erwachsene Menschen, mit denen wir ganz normal Konfliktgespräche führen." Natürlich komme es aber auch vor, dass Regeln gebrochen würden und sie Kritik einstecken muss. "Das müssen wir aushalten."

Ein großes Problem sei derzeit die Unterbringung der Asylbewerber: "Es gibt keine Plätze mehr in den dezentralen Unterkünften, wir bekommen aber jede Woche von der Regierung 21 weitere Flüchtlinge zugewiesen." Für die müsse man dann irgendwie Wohnraum beschaffen. "Wir denken da wirklich von Tag zu Tag", so Gitay. Große Unterstützung bekommen Judith Gitay und ihre Kollegen von den Helferkreisen. "Die machen wahnsinnig wichtige und gute Arbeit vor Ort. Da gibt's Unterkünfte, wo wir sehr sehr selten sind, weil's einfach gut läuft und ich sehr kooperativ mit den Ehrenamtlichen zusammenarbeiten darf."

Gitay arbeitet "bedarfs- und zukunftsorientiert", wie sie sagt. Über traumatische Erfahrungen spricht sie daher nicht viel mit den Flüchtlingen. "Da sind die Ehrenamtlichen näher dran. Und das ist auch bewusst so, teilweise. Das sind ja fast 800 Schicksale - und die alle erzählt zu bekommen, das wäre ja ..."

Trotzdem beschäftigt sie ihre Aufgabe auch nach Feierabend: "Ich arbeite mit Menschen zusammen - das geht gar nicht, dass man da abschaltet, wenn man sich ausgeloggt hat." Vor allem wünscht sie sich, dass die Flüchtlinge "die Träume und Erwartungen, die sie an ihre große Reise gestellt haben, erfüllen können. Ich glaube, es ist ganz gut, wenn man die irgendwo gespeichert hat und darauf hin arbeitet."

© SZ vom 01.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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