Ebersberg:Aus der Bahn geworfen

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Antonia Schubert und ihr Mann hatten eine Hausmeisterei. Bis er lebensbedrohlich erkrankte. Jetzt können sie sich kaum mehr seine Medikamente leisten

Von Alexandra Leuthner, Ebersberg

Vor zwei Jahren, sagt Antonia Schubert (alle Namen geändert), hätte sie sich das alles nicht vorstellen können. Damals haben sie und ihr Mann Michael noch gearbeitet, haben sich um eine Wohnanlage gekümmert, wie sie das schon in Berlin taten, wo sie sich kennen gelernt haben vor 20 Jahren. "Und wir haben uns als Hausmeister so wohl gefühlt." Ihre Wohnung war voll von kleinen Gegenständen, alles Geschenke von dankbaren Mietern. Ein altes, fast schon antikes Radio, eines dieser Geschenke, hat einen Ehrenplatz in der jetzigen Wohnung, wohin das Paar umziehen mussten, als Michael krank wurde. Es erinnert sie an die guten gemeinsamen Zeiten.

Wie schwer Michaels Herzkrankheit ist, hatten die Eheleute, die erst 2011 geheiratet haben, nicht gewusst. Bis er plötzlich umfiel. Vor zwei Jahren war das. Seither ging es mit Michael stetig bergab. Ein Krankenhausaufenthalt jagt den nächsten, mal hat sich literweise Wasser in seinem Bauch angesammelt, das notfallmäßig abgepumpt werden muss, dann spielt sein Kreislauf verrückt, 180 zu 280 Puls. Auch das lebensbedrohlich. "Ich messe jeden Abend den Blutdruck, wenn er stark steigt und er wieder so grau im Gesicht wird, dann hab ich jetzt Notfalltropfen da", sagt Antonia Schubert und weist auf ein Regal. Dort stehen nicht nur die Tropfen, sondern ein ganze Batterie an Medikamenten, die Michael Schubert einnehmen muss. Darunter viele, die keine Krankenkasse übernimmt, so wie eine spezielle Lotion, mit der seine Frau täglich die dünn wie Pergament gewordene Haut einreibt.

Klassische Herzbehandlungen fruchteten nicht. Schon 2012 hatte Michael Schubert einen Bypass gelegt bekommen, es sollte nicht der letzte bleiben. Dann, 2014, brach die Krankheit mit Macht aus, bis zum vergangenen Herbst war der 59-Jährige auf unter 60 Kilo abgemagert, um dann innerhalb weniger Monate auf über 100 Kilo zuzunehmen. "Die Ärzte können nicht sagen, woher es kommt." Eines aber wissen sie: dass Michael sterben wird. "Drei Jahre sind seine Lebenserwartung vom vergangenen Herbst an gerechnet", erzählt die 53-Jährige.

Dass sie so offen sprechen kann, liegt daran, dass Michael wieder einmal im Krankenhaus liegt. Diesmal mussten ihm all seine Zähne in einer dreistündigen Operation entfernt werden. Das ganze Gebiss war entzündet, auch eine Folge der Krankheit, die seinen Körper nach und nach zerstört, vor allem durch Giftstoffe, die nicht richtig abgebaut werden können. Inzwischen bräuchte er eine neue Leber, auch eine Niere. Aber sein Herz würde eine Transplantation wohl nicht überstehen.

Abgesehen von der ständigen Sorge vor der nächsten Attacke, sitzen die Schuberts jetzt auch finanziell in der Klemme. Nachdem sie die Hausmeisterstelle hatten aufgeben müssen und umgezogen waren, hatte Antonia begonnen, in einer Bäckerei zu arbeiten. Von drei Uhr in der Früh bis um sieben Uhr, um halb zwei musste sie aufstehen, um rechtzeitig am Arbeitsplatz zu sein. Anschließend fuhr sie zum Haus einer Familie, um dort, als gelernte Hauswirtschafterin, den Haushalt zu schmeißen, bis 12 Uhr mittags. Doch nach ein paar Monaten ließ Michaels Zustand nicht mehr zu, dass sie ihrer Arbeit nachging, zu oft fehlte sie im Geschäft. Sie musste aufhören. Michael rutschte derweil in die Frührente, mit 980 Euro im Monat, wovon die Miete den größten Teil verschlingt. Weil Antonia Schubert auch nichts mehr verdiente, kaum Reserven aus ihrer vorherigen Arbeit da waren, konnten sie die Miete bald nicht mehr komplett zahlen, der Vermieter drohte mit Kündigung. Dann stand der Gerichtsvollzieher vor der Tür. "Und das alles, während es Michael immer schlechter ging. Ich hab ihm das gar nicht erzählen wollen." 4500 Euro schuldet das Paar dem Vermieter, inzwischen aber hat ein Gericht entschieden, dass sie die Schulden in Raten abstottern können. Auch der Verlust der Wohnung ist fürs Erste abgewendet. "Aber, dass wir hier raus müssen, ist klar." Zu der kleinen Wohnung führen mehre Treppen hoch. An guten Tagen, erzählt Antonia Schubert, schaffe es ihr Mann, mit dem Rollator irgendwie nach unten zu kommen, wenigstens ein paar Schritte bis zum Einkaufen. "Sonst dreht er ja durch, wenn er immer nur hier herum liegt." Aber oft machten die Beine nicht mit. "Sicherheitshalber habe ich den Rollstuhl immer dabei, wenn es nicht mehr geht." Noch schlimmer sei der Rückweg, der Weg über die Treppen nach oben. Er klammere sich ans Geländer, sie schiebe von hinten nach, erzählt sie.

Antonia Schubert ist ein resolute, lebhafte Frau mit einem lockigen Pferdeschwanz, der vor ein paar Jahren noch dunkel war. Vier Kinder hat sie, acht Enkel, die aber alle in der Nähe ihres Geburtsorts in einem anderen Bundesland leben. Dass sie Kraft hat, ist keine Frage. Und dass sie sich um ihren Mann kümmern wird, so lange es geht, auch nicht. "In guten wie in schlechten Zeiten, heißt es. Das ist vielleicht altmodisch, aber das bin ich ihm schuldig. Jetzt sind eben die schlechten", sagt sie. Doch als sie von dem alten Sofa aufsteht, auf dem ihr Mann auch schläft, wenn er nicht gerade in der Klinik ist, um ein Foto von ihm zu holen, da entsteht ein Augenblick der Stille. Mit dem Hochzeitsfoto in der Hand kommt sie zurück. Ein stattlicher, dunkelhaariger Mann ist darauf zu sehen. Sie war auf der Flucht vor ihrem ersten Mann, der sie und ihre Kinder geschlagen hatte, da hat sie Michael getroffen. "Er hat mich gerettet." Sie setzt sich wieder, schaut das Kopfkissen an, das neben ihr liegt, als spräche sie zu ihm "Doch das jetzt, das hat mich wirklich aus der Bahn geworfen."

Aber auch der Verlust des Arbeitsplatzes schmerze sie sehr, "ich habe immer gearbeitet, jetzt zum Amt zu gehen, weil ich Geld brauche, das schaffe ich kaum". Und weil die Medikamente so teuer sind, gehe ihr regelmäßig in der letzten Woche des Monats das Geld aus. "Ich muss in der Apotheke immer anschreiben lassen." Und dann die Unsicherheit, was die nächste Zukunft bringt. Mit großer Gewissheit werde ihr Mann über kurz oder lang zu einem vollständigen Pflegefall, den sie allein gar nicht mehr versorgen könne. Aber wann das der Fall sei, sei ungewiss. Würden sie vielleicht doch vorher noch gemeinsam in eine andere Wohnung umziehen können oder müssen? Abgesehen davon, dass eine günstige Erdgeschosswohnung wohl eh nicht zu bekommen ist.

Das Schlimmste aber, sagt sie, "ist die Angst. Ich habe solche Angst habe, dass ihm hier zu Hause was passiert, dass er hier stirbt. Da wüsste ich nicht, was ich machen soll."

© SZ vom 23.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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