Ebersberg:Ahnenforschung im Netz

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Alexandra Rudhart (li.) und Nikolai Donitzky (re.) von Ancestry sowie die Archivleiter Bernhard Schäfer aus Grafing und Antje Berberich aus Ebersberg. (Foto: Christian Endt)

Ein Unternehmen digitalisiert die Bestände von kommunalen Archiven für eine öffentliche Plattform. Grafing und Ebersberg sind dabei

Von Rita Baedeker, Ebersberg

Mit einem Schwarz-Weiß-Foto des Großvaters, von dem man nur wusste, dass er irgendwann irgendwo in den Weiten der Vereinigten Staaten verschollen ist, fing alles an. Nikolai Donitzky von "ancestry.com Deutschland" erzählt anschaulich von der Gründung einer Firma, die seit 2006 hierzulande nach und nach Stadt- und Gemeindearchive digitalisiert und Privatpersonen, die Ahnenforschung betreiben wollen, eine Plattform für die Suche im Netz anbietet. Die Muttergesellschaft Ancestry.com Operations Inc. hat ihren Sitz in den USA. 1983 wurde das Unternehmen, für das weltweit mehr als 2000 Mitarbeiter tätig sind, gegründet

Nach der Erfassung einiger großer Archive wie zum Beispiel desjenigen des Innenministeriums in Berlin, des Deutschen Auswandererhauses in Bremerhaven oder der Abteilung Kriegsarchiv im Bayerischen Hauptstaatsarchiv in München, sollen nun kommunale Archive folgen. "Die kleinen und mittleren Sammlungen sollen fairerweise gleich behandelt werden", sagt Donitzky. Schließlich seien sie genauso bedeutsam wie die großen Archive.

Das erste Projekt war Mühldorf am Inn, nun wurden auch die Personenstandsregister, also Geburts-, Heirats- und Sterbeurkunden, aus den Stadtarchiven Grafing und Ebersberg erfasst. In Ebersberg kommen noch die von Stadtarchivarin Antje Berberich gesammelten Zensurbücher von Volks- und Sonntagsschule dazu. Diese Bücher bieten die einmalige Chance zu überprüfen, ob die von der Familie gepriesene Deutschnote von Oma, die Bemerkung zum verbesserungswürdigen "Betragen" von Opa Wahrheit sind - oder Dichtung. Wer sich bei Ancestry, anmeldet, kann weltweit auf 16 Milliarden historischer Dokumente und Bilder zugreifen. Allein in Deutschland sind es etwa 220 Millionen Schriftstücke und Fotos. Auch Passagierlisten, Volkszählungen, Kirchenbücher, Verlustlisten, Todesanzeigen, Militärakten, Telefonbücher, Zeitungen, Urkunden zu Ein- und Auswanderung - und andere historische Dokumente sind nun im Netz aktenkundig.

Für die Erfassung der Daten gelten klare Regeln. Es sind im Netz nur Personen auffindbar, deren Tod mindestens 30 Jahre, deren Geburt mindestens 110 Jahre und deren Heirat mindestens 80 Jahre zurückliegt. "Sind diese Fristen noch nicht abgelaufen, dann wandern die Angaben auch nicht ins Netz", sagt Donitzky. Denn die Datenbank soll keine Einladung sein, im Leben anderer, etwa missliebiger Angehöriger, herumzuschnüffeln. "Es dürfen keine Personen zu finden sein, die noch am Leben sind." Ein Datenmissbrauch soll damit ausgeschlossen werden.

Bis 1876 haben hierzulande die Pfarreien Buch geführt über Geburt, Leben und Tod. Von da an übernahm der Staat in Form der Standesämter diese Aufgabe, erklärt Bernhard Schäfer, Leiter des Grafinger Stadtarchivs. Aufgrund einer Gesetzesänderung 2009 wanderten die in den Standesämtern bewahrten Dokumente jedoch in die Archive, wo die rechtliche Situation eine andere ist. "Während Akten im Archiv öffentlich zugänglich sind, ist eine Einsicht im Standesamt nur bei begründetem Interesse möglich", sagt Schäfer. Vor sieben Jahren öffnete sich so für Genealogen ein weites Forschungsfeld.

Ancestry arbeitet mit den Archiven und Bibliotheken zusammen, digitalisiert die Unterlagen, erstellt Indexe und richtet Datenbanken mit Suchfunktionen ein. Die Archive bekommen von jeder Datei eine digitale Kopie. Sie behalten die Rechte an den Original-Schriftstücken und gewähren Ancestry lediglich ein zeitlich befristetes Nutzungsrecht, das "Janus-Projekt" genannt wird. Janus, sagt Schäfer, "war der Gott der Archive". Seine doppelköpfige Natur steht hier sinnbildlich für die beiden nebeneinander bestehenden Ebenen - analoge Vergangenheit und digitale Zukunft. Vorteil der Digitalisierung: Die empfindlichen Akten werden geschont, sagt Berberich. Und für die Archive ist der Dienst obendrein kostenlos.

Wer etwas über seine Ahnen, über Familiengeheimnisse, unbekannte Vorfahren in Australien oder den Urgroßvater, der königlicher Förster war, herausfinden möchte, muss allerdings eine Gebühr bezahlen: Für den weltweiten Dienst mit dem etwas albernen Namen "Deluxe" sind das 19,99 Euro pro Monat, für Deutschland ("Premium") 9,99 Euro monatlich. Der Tarif wird jeweils für ein halbes Jahr abgeschlossen. Ein Europa-Paket ist in Planung. Auch Monatspauschalen gibt es.

Um einen Stammbaum zusammenzustellen, gibt man einfach den Namen ein und los geht's. Immer wenn man eine heiße Spur entdeckt, das heißt zu einer bestimmten Person Informationen existieren, wird dies mit einem passenden Symbol, einem grünen Blatt, angezeigt. Urkunden erscheinen auf dem Bildschirm in Originalversion, die für viele unlesbare Sütterlinschrift ist transkribiert, eventuelle Lesefehler können vom Nutzer korrigiert werden. Auch eine Übersicht über die Bestände eines Archivs kann abgerufen werden. Und Kontakte der Forscher untereinander sind ebenfalls möglich. In diesen Foren kann man sich natürlich auch über noch lebende Verwandte austauschen oder nach solchen fahnden.

Die Möglichkeiten, etwas über die Vergangenheit zu erfahren, scheinen unendlich. Jene Frau, die, wie Donitzky erzählt, etwas über ihren Urgroßvater wissen wollte, aber von ihrem Vater keinerlei Antworten erhielt, fand ihn schließlich in einem alten Adressbuch. Und die im Dunkeln liegende Geschichte des Bauernhofs, der einst in Familienbesitz war, bevor durch einen Zwist der Ahnen das Erbe an die Kirche fiel, kann nun vielleicht doch geklärt werden. "Es ist zwar auch Aufgabe der Archive, bei Erbsachen aktiv zu werden", sagt Schäfer. Aber dies geschehe im Auftrag eines Gerichts. Die Suchmaschine ersetze keine Behörde. Sie bringt aber alle Voraussetzungen mit, sich zu einer zeitintensiven Freizeitbeschäftigung zu entwickeln.

Die Startseite lautet www.ancestry.de, ein kostenloser Test und eine 14-tägige kostenlose Probemitgliedschaft sind möglich. Diese Gratis-Mitgliedschaft geht in eine kostenpflichtige über, wenn man nicht mindestens zwei Tage vor Ablauf kündigt.

© SZ vom 19.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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