Die Altöttinger Bürgermorde:Im Hinterhof hingerichtet

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Markt Schwabener Gymnasiasten setzen ihre Ausstellungsreihe "Vergessener Widerstand" fort: Zwei von ihnen haben sich mit dem Schicksal von Hans Riehl beschäftigt.

Karin Kampwerth

Markt Schwaben Es sind Geschichten von Mut und Menschlichkeit in einem menschenverachtenden System: Zum fünften Mal haben Schüler des Franz-Marc-Gymnasiums im Rahmen der Ausstellungsreihe "Vergessener Widerstand in Markt Schwaben und Umgebung" die Schicksale von Männern und Frauen aufgespürt, die sich bedingungslos dem Naziregime entgegengestellt haben. Die SZ stellt die acht "Menschen mit Courage", so der aktuelle Titel des Projektes, in einer Serie vor. Altötting am 28. April 1945: Zwei Tage später wird Adolf Hitler sich in Berlin das Leben nehmen, weitere zwölf Tage soll es dauern, bis die Kapitulation erfolgt. Eine schicksalhafte Zeit, in der die treuesten Anhänger des Nationalsozialismus mit aller Härte gegen das Ende des Zweiten Weltkrieges aufbegehren. Eines ihrer letzten Opfer wird Hans Riehl aus Altötting. Der Lagerhausverwalter ist zur falschen Zeit am falschen Ort. Alles beginnt in der Nacht zum 28. April, als es der Freiheitsaktion Bayern (FAB) gelingt, den Sender Ismaning zu besetzen. In den frühen Morgenstunden rufen die Widerständler zur Kapitulation auf und behaupten, sie hätten die Regierungsgewalt erstritten. Der Altöttinger Landrat Josef Kehrer, der in direkter Verbindung zur FAB steht, lässt umgehend führende Nationalsozialisten verhaften und setzt sie in einer Arrestzelle des Landratsamtes fest. Bürgermeister Karl Lex entgeht seiner Verhaftung durch Selbstmord. Doch der Aufstand wird von gesinnungstreuen Nazis um Oberstleutnant Karl Kaehne niedergeschlagen, der Landrat wird in seinem Dienstzimmer erschossen. Über die Verschwörer werden in Altötting schwarze Listen angelegt. Darauf befindet sich auch der Name von Hans Riehl. Der Familienvater von vier Kindern - einer seiner Söhne ist der spätere leitende SZ-Redakteur Herbert Riehl-Heyse - hatte am Vormittag dienstlich im Landratsamt zu tun und gerät durch den Besuch in die Reihe der Verdächtigen. Wenige Stunden später wird Riehl in seiner Wohnung verhaftet. Seine Frau Karolin habe ihm zuvor geraten, sich nicht zu verstecken. "Schließlich hatte er sich ja nichts zuschulden kommen lassen", erinnert sich Riehls Tochter Hildegard vergangenes Jahr im Zeitzeugengespräch mit den Gymnasiasten Sarah Sommer und Michael Rüdiger. Noch am gleichen Tag wird Hans Riehl im Hof des Landratsamtes von einem SS-Kommando erschossen - zusammen mit Gabriel Mayer, Sigismund Scheupl, Hans Geiselberger, Adalbert Vogl, Martin Seidel, Adam Wehnert, Josef Bruckmayer und Heinrich Haug. Eineinhalb Jahre lang haben die Schüler Sarah Sommer aus Forstinning und Michael Rüdiger aus Neufinsing in Archiven, Zeitungen und im Internet die so genannten "Altöttinger Bürgermorde" erforscht. Dabei trafen sie auch Hildegard Leonhardt, die Tochter von Hans Riehl, die in Nürnberg lebt. "Das war eine ganz besondere Begegnung", erzählt Sarah Sommer. Nach und nach hätten sich die Teile des Puzzles zusammengefügt und beide sind sich einig: "Wir werden einen Namen nie wieder vergessen können: Nämlich Hans Riehl." Herbert Riehl-Heyse, 2003 im Alter von 63 Jahren verstorben, hat sich seiner Familiengeschichte auch journalistisch gewidmet. 1985 schreibt er in einem SZ-Artikel "Mord in unserer kleinen Stadt, Widerstand in den letzten Kriegstagen - das Beispiel Altötting" über die Mahnkapelle, die zur Erinnerung an die Ermordeten errichtet worden ist: "So wird das wohl gewesen sein - unsere kleine Stadt ist natürlich keine fromme Insel in der freiheitlichen Bundesrepublik. Wahr ist aber auch, dass die Stadt Altötting ihren Mitbürgern an jener Stelle eine Mahnkapelle errichtet hat, an der sie vor 40 Jahren ermordet worden sind; wahr ist, dass dort jedes Jahr ein Gedächtnisgottesdienst abgehalten wird, dass man eben nicht von Amts wegen beschlossen hat, zu vergessen, was vor 40 Jahren bei uns möglich war. Es wäre schon viel, wenn man das von allen deutschen Städten behaupten könnte." Die Ausstellung ist noch bis zu den Osterferien während der Unterrichtszeiten im Franz-Marc-Gymnasium zu sehen.

© SZ vom 11.02.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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