Besuch aus Äthiopien in Vaterstetten:Wanderer zwischen zwei Welten

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Prinz Asfa-Wossen Asserate ist der Großneffe Haile Selassies und Buchautor. In Vaterstetten liest er aus seinem Buch.

Von Jessica Morof, Vaterstetten

Asfa-Wossen Asserate ist ein Mann der alten Schule. Den Anzug trägt er mit Weste und passendem Einstecktuch; die Damen begrüßt er mit Handkuss und galanten Worten. Ein Prinz eben. Dennoch: Von Unnahbarkeit, wie man sie vom Großneffen eines Kaisers erwarten würde, keine Spur. Vielmehr grinst der kleine Mann mit dem runden Gesicht immer wieder lausbubenhaft ins Publikum, während er aus seinem Buch "Der letzte Kaiser von Afrika" vorliest. Mit viel Herzlichkeit geht der 62-Jährige auf seine Zuhörer ein, die der Einladung des Partnerschaftsvereins mit Alem Katema ins "Offenen Haus der Arbeiterwohlfahrt" gefolgt sind.

"Wenn wir heute Abend in Afrika wären, hätte ich es sehr leicht mit der Begrüßung", beginnt Prinz Asserate seine Lesung. Der Satz "all protocols observed" würde ausreichen. "Doch da wir in Bayern sind, einem Land, das bekannt ist für seine protokollarische Exquisitheit, will ich es natürlich richtig tun", feixt er und begrüßt sodann alle anwesenden Ehrengäste namentlich und ausführlich.

Das Buch zeigt den unnahbaren Kaiser auch als Familienmenschen

Vom Landrat und Bürgermeister über die Mitglieder des Vaterstettener Vereins bis hin zu Prinz Christoph und Prinzessin Gudila von Bayern. Denn Asserate kennt beide Kulturen und Gepflogenheiten sehr gut. "Ich bin und werde immer ein Wanderer zwischen zwei Welten sein", sagt er, der als Student aus Äthiopien nach Deutschland kam, seit mehr als 40 Jahren hier wohnt und die deutsche Staatsbürgerschaft besitzt. "Und das ist gut so."

In seinem Buch befasst sich der Unternehmensberater und Autor mit seinem Großonkel Haile Selassie, dem letzten Kaiser von Abessinien - der heutigen Volksrepublik Äthiopien -, und bedeutenden Staatsmann des 20. Jahrhunderts. Mithilfe von Kindheitserinnerungen und persönlichen Eindrücken von Staatsbesuchen versucht Asserate den Lesern - und an diesem Abend den Zuhörern - ein detailliertes Bild des langjährigen Regenten zu vermitteln. "Es war nicht leicht zu begreifen", erklärt Asserate: "Er war Teil der Familie aber gleichzeitig unnahbar."

Der Autor zeichnet das Bild eines mächtigen Mannes, der seinen Großneffen nach einer Operation im Krankenhaus besucht, die Kinder in der Chrysler-Stretchlimousine mitfahren lässt und sie an den Geschenken von anderen Staatsmännern teilhaben lässt. An eine faszinierende Kuckucksuhr zum Beispiel kann sich Asserate noch heute gut erinnern. Auch von der Spendenbereitschaft des Kaisers berichtet sein Großneffe. Wie "ein Konsul im alten Rom" habe Haile Selassie Almosen an die Bettler verteilt, wenn er durch die Stadt kutschiert wurde. Doch trotz allem blieb immer eine Distanz zwischen dem Kind und dem Herrscher.

Seine eigenen Ansichten über den Großonkel hält er zurück

Seine Lesung gestaltet Asserate - nicht allein durch die anschaulichen Erinnerungen - unterhaltsam. Auch die Art und Weise des Vortrags bringt das Publikum zum Lachen, Raunen und Staunen. Eine getragene, herrische Stimme leiht er dem Kaiser in einem Disput mit seinem Großneffen, nachdem der sich vor der Übersetzung kritischer Flugblätter drücken möchte: "Haben wir dich nach Deutschland geschickt, dass du nicht einmal das für uns tun kannst?", liest Asserate vor und wirft anschließend seine freche Antwort von damals ins Vaterstettener Publikum: "Majestät, ich bitte um Vergebung; nicht Sie - mein Vater hat mich nach Deutschland geschickt." Und erntet dafür Gekicher.

Dass es durchaus auch Kritik am Kaiser gab und gibt, verschweigt Asserate weder in seinem Buch noch in der Lesung. Allerdings überlässt er die kritischen Worte anderen, die Haile Selassie als "despotischen Herrscher" und "verliebt in den Pomp" bezeichnen. Seine eigenen Ansichten über den Großonkel hält er durchwegs zurück.

In der anschließenden Diskussion sowie in Einzelgesprächen lässt er hingegen Kritik an der Politik in Deutschland wie auch in Afrika erkennen: Ausbildung und Arbeitsmarktchancen ließen in einigen afrikanischen Ländern zu wünschen übrig - und auch die Toleranz gegenüber dem Glauben. "Wie wir mit Religiosität umgehen, wird eine entscheidende Rolle im 21. Jahrhundert spielen", da ist sich Asserate sicher. Und sagt - ganz der Nachfahre eines großen Staatsmannes: "Lassen Sie uns deshalb mehr über unsere Gemeinsamkeiten sprechen, als über die Dinge, die uns trennen."

© SZ vom 13.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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