Bauarbeiten an der B 304:Demolierte Randsteine, tote Katzen

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Weder in Kirchseeon noch in Ilching sind die Umleitungsstrecken für die Baustelle an der Bundesstraße dem Verkehr gewachsen. Die Anwohner sind inzwischen einigermaßen verzweifelt.

Von Bastian Hosan

Bleigrau hängt der Himmel über Kirchseeon, es regnet in Strömen. Wieder einmal donnert ein Laster durch die Baustelle und zieht eine Schleppe aus Regenwasser und Dreck hinter sich her, die sich langsam und siffig auf alles niederschlägt, was auch nur in der Nähe ist. Die Welt, so scheint es, versinkt in einem Grau aus Regen und Schmutz. Nur die orangefarbenen Overalls der Arbeiter bieten einen farbenfrohen Kontrast - und das Öl, das wie ein Regenbogenfilm auf den Pfützen schwimmt. Nur langsam verschwinden die Wasserspuren auf der Straße, um gleich wieder von einem weiteren Auto oder Lastwagen nachgezogen zu werden. Permanent, ohne Pause geht das so. Arbeiten auf der Baustelle: Bei diesem Wetter, so scheint es, ein Ding der Unmöglichkeit.

Tausende Fahrzeuge, auch schwere Laster, quetschen sich täglich über die Umleitungsstrecke der B 304. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

"Eigentlich sollten wir heute den Randstein erneuern", sagt Michael Huber. Er ist Polier auf der Baustelle an der B 304 in Kirchseeon. "Ich bin aber nur die Urlaubsvertretung", sagt er. Ein Polier, erklärt er, koordiniere die Arbeiter, sorge dafür, dass alles Material und Gerät dort ist, wo es gebraucht wird. Eine Anwohnerin steht bei den Arbeitern, sie unterhalten sich; die Stimmung ist gut.

Die Bewohner an der Bundesstraße selbst scheinen sich längst mit den Arbeitern und mit der Baustelle arrangiert zu haben. Huber: "Die meisten freuen sich sogar, dass hier im Augenblick nur wenige Autos fahren." Der Grund dafür ist die einseitige Sperrung. Außerdem sei der neue Radweg ein Segen für den Ort, die Notwendigkeit von Flüsterasphalt, der nun auf der stark befahrenen Straße aufgetragen wird, bezweifele ohnehin niemand.

Auch diejenigen, die an der B304 arbeiten, stören sich wenig an den Arbeiten. "Es ist ja Urlaubszeit", sagt Martina Dietl. Ihr Arbeitsplatz liegt unmittelbar an der Baustelle, der Gehweg vor dem Büro existiert momentan nicht. Stattdessen aber eine Wüste aus Schotter und Steinen. Sie steht unter dem Vordach vor dem Haus und raucht eine Pausenzigarette.

"Oft staut es sich hier durch die vielen Lastwagen auf, wenn die Bauarbeiten rum sind, wird es aber wieder schlimmer sein." Denn dann rollt der Verkehr wieder auf zwei Spuren durch den Ort - alles was von Wasserburg oder Rosenheim nach München will, quetscht sich durch das Nadelöhr Kirchseeon. Auch beim Autohändler nebenan weiß man sich zu helfen. Das beste Mittel gegen das Chaos sei mit den Arbeitern zu sprechen, sagt Benjamin Eder, der in seinem Büro sitzt und gleich auf die Straße blicken kann. "Wir wissen immer, was an der Baustelle gerade passiert", die Anlieferung von Autos könne so ganz gut geplant werden.

Es dauere halt ein bisschen, die Wagen vom Anfang der Baustelle zum Autohaus zu fahren, weil man jeden einzelnen eigenhändig dorthin bringen müsse. "Und ein Stück vom Grundstück ist uns abgekauft worden", etwa 20 Zentimeter, erklärt er. Das werde jetzt eben zum Fahrradweg. Die einen nehmen es gelassen, die anderen stehen kurz vor einem Nervenzusammenbruch: die Bewohner an den Umleitungsstraßen.

"Es ist eine Katastrophe", sagt Artur Dubets. Er, seine Frau Angelina und die beiden Kinder wohnen in einem Neubau in der Rotbuchenstraße. Aus der beschaulichen Seitenstraße ist eine stark befahrene Verkehrsader geworden. "Das Schlimmste", sagt er, "sind die Sprinter und die Laster". Die meisten kämen aus Holland, aus Wasserburg oder aus München. Die Kinder könnten seit langem nicht mehr mit ihren Rädern auf der Straße vor dem Haus fahren, geschweige denn zu Fuß dort entlang gehen.

Ein Nachbar, sagt er, habe an seinem Grundstück Randsteine verlegt, die inzwischen durch die vielen Autos und den Regen ganz im Matsch versunken sind. Die Anwohner versuchen sich selbst zu helfen - so gut es eben geht. Mit selbst gebastelten Schildern wollen sie die Autofahrer darauf aufmerksam machen, dass in der Straße Kinder spielen. Jedoch mit mäßigem Erfolg. Immer wieder verfahren sich Fahrer in der schlecht beschilderten Umfahrung, müssen zurücksetzen; hinter ihnen bildet sich ein Stau und damit ein Hupkonzert.

"Das ist in Deutschland wie in Frankreich auch: totales Chaos", sagt eine andere Anwohnerin mit französischem Akzent. Sie steht mit Regenjacke vor ihrem Haus und staunt. "Würden die Leute doch nur langsam fahren", sagt sie , bevor sie ins Haus zurückkehrt. Zuvor hat sie noch erzählt, dass sie manchmal mit den Fahrern spreche, aber nichts als Unverständnis für die Sorgen der Anwohner ernte. "Hier wohnen 30 Kinder", sagt sie und schüttelt sich den Regen von der Jacke.

Auch an anderer Stelle herrscht Frust. Denn es gibt noch eine zweite, eine weiträumigere Umfahrung der B 304. Zwischen Ilching und Riedering geht Hans Matthias mit seinen Hunden spazieren. "Im Moment geht's", sagt er lachend. Es gäbe einfach keine andere Möglichkeit, den Verkehr zu lenken. Doch die meiste Zeit sei es gar nicht möglich, mit den Hunden raus zu gehen. Die Leute würden kreuz und quer fahren, sogar über die Wiesen. Ausweichen sei unmöglich, also suche er sich die Zeiten raus, in denen wenig los ist.

Kopfschüttelnd steht eine Frau in Ilching vor ihrem Haus. "Da fährt schon wieder jemand falsch", sagt sie resignierend. Es macht jeder, was er will, selbst Wiesen und Äcker seien nicht mehr sicher vor den fremden Fahrern. Zum Glück kämen durch den kleinen Weiler keine Lastwagen, dafür sei er zu eng. Sie zeigt auf die Kurve vor ihrem Haus. Seit einiger Zeit habe sich der Verkehr zwar verbessert, die Katze sei dennoch überfahren worden, als sie zu den Nachbarn Mäuse jagen wollte. Sie habe nun Angst vor der Vollsperrung Ende August.

Es regnet, die Straßen starren vor Schmutz. Wieder rast ein Auto vorbei. Die Bauarbeiter an der Baustelle selbst nehmen das Chaos und den Regen gelassen, sie kennen das schon, es ist schließlich nicht die erste Baustelle, an der sie arbeiten. Bei Sonne steht den Arbeitern der Schweiß auf der Stirn, jetzt aber stehen sie gedrängt unter einem Vordach. Einer zieht an seiner Zigarette. Zwischen zwei Zügen an dieser und zwischen dem regennassen Lärm zweier Lastwagen sagt er: "Für heut ist Feierabend." Es ist gerade Mittag.

© SZ vom 20.08.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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