Dienstschluss:Alles in Ordnung

Wilfried Blume-Beyerle auf dem Oktoberfest, 2011

Als Kreisverwaltungsreferent war Wilfried Blume-Beyerle auch dafür verantwortlich, dass auf der Wiesn die Regeln eingehalten werden.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Wilfried Blume-Beyerle war länger KVR-Chef als Kohl Kanzler. In den vergangenen 18 Jahren hat er seine Behörde auf Toleranz und Service getrimmt - und zum liberalen Klima der Stadt beigetragen

Von Dominik Hutter

Man könnte das durchaus als Affront empfinden. Wäre der Redner nicht Wilfried Blume-Beyerle, der mit Augenzwinkern und subtilem Humor ins Mikrofon spricht: Wie sinnvoll es doch gewesen sei, dass sowohl Christian Ude als auch Dieter Reiter in Ordnungsfragen stets dem Profi freie Hand gelassen hätten. Also ihm, dem Kreisverwaltungsreferenten Blume-Beyerle selbst. Es folgt eine Anekdote aus alter Zeit, garniert mit einem Blick in die Reihen der Grünen: "Herr Krause, Sie erinnern sich". Dominik Krause ist 25 Jahre alt, der Jüngste im Stadtrat. Als der nun scheidende Kreisverwaltungsreferent seine Amtsgeschäfte übernahm, war er noch in der Grundschule. Es ist ein Witz ganz nach dem Geschmack des Mannes, den alle im Rathaus "Blub" nennen.

Die Abschiedsrede im Kreisverwaltungsausschuss ist einer der aktuell sehr vielen Termine, die dem Behördenchef aus der Ruppertstraße sichtlich schwer fallen. Viel schwerer, als er selbst es erwartet hat. Es geht um den Abschied von Freunden, Kollegen und politischen Weggefährten. Von einer Position, die der 67-jährige Jurist als berufliches Lebensziel, als Traumjob bezeichnet. Blume-Beyerle geht. Nach 18 Jahren kann man das getrost als Ende einer Ära bezeichnen. "Blub" war länger im Amt als Helmut Kohl und fast so lange wie Christian Ude.

Dienstschluss: Heikler waren Kriseneinsätze, etwa bei der Räumung des Flüchtlingscamps am Sendlinger Tor im Jahr 2014 (zusammen mit OB Dieter Reiter).

Heikler waren Kriseneinsätze, etwa bei der Räumung des Flüchtlingscamps am Sendlinger Tor im Jahr 2014 (zusammen mit OB Dieter Reiter).

(Foto: Robert Haas)

1998 hatte jeder Abeilungsleiter eine Schusswaffe in der Schublade

Beinahe wären es sogar 23 Jahre geworden. 1993 war Blume-Beyerle seinem Lieblingsreferat schon ganz nah. Dann aber teilte ihm der damalige zweite Bürgermeister Ude mit: OB Georg Kronawitter will, dass Hans-Peter Uhl im Amt bleibt. Blume-Beyerle, einst Büroleiter Kronawitters und danach Leiter des Direktoriums, wurde mit dem Personalreferat abgefunden. Seine Stunde schlug erst 1998. Da übernahm der für seine liberale Haltung geschätzte Parteilose eine Behörde, der die beiden Ordnungs-Hardliner Peter Gauweiler und Hans-Peter Uhl ihren Stempel aufgedrückt hatten. Und die er erst einmal entwaffnen musste. Damals hatte jeder Abteilungsleiter eine Schusswaffe in der Schreibtischschublade. Das erschien Blume-Beyerle riskanter als der komplette Verzicht auf das ohnehin nie benötigte Instrument der Selbstverteidigung. Die Klage eines überzeugten Waffenträgers nahm er in Kauf.

Das nervige Chaos in den Fluren des Bürgerbüros überschattet heute die Revolution, die der verheiratete Vater zweier Kinder seiner Behörde verordnete. Aus einem obrigkeitsstaatlichen Amt wurde ein Dienstleister für den Bürger. Servicedesks wurden eingerichtet, damit niemand umsonst anstehen musste. Die einst so muffigen Räume bekamen einen freundlicheren Anstrich. "Das habe nicht ich erfunden", räumt Blume-Beyerle ein. Damals hatte längst das Gros der deutschen Behörden damit begonnen, sich am Dienstleistungscharakter der Wirtschaft zu orientieren. Nur das Münchner KVR eben nicht.

Wilfried Blume-Beyerle, Chef des Kreisverwaltunsreferats

In seiner ersten Amtszeit wurde das Gebäude an der Ruppertstraße umgebaut und saniert.

(Foto: Stephan Rumpf)

In zahllosen Gesprächen, Veranstaltungen und auch Einzelfallentscheidungen bemühte sich der neue Referent, ein liberales und weltoffenes Klima in der Ruppertstraße zu installieren. Das galt ganz speziell auch für das Ausländeramt, dem damals der Ruf des "administrativen Rassismus" anhaftete, wie SPD-Leute im Rathaus noch heute bemängeln. Blume-Beyerle trimmte seine insgesamt mehr als 3000 Mitarbeiter auf Kooperation und Toleranz. In der Riesen-Behörde, die neben dem klassischen Ausweisbereich für zahlreiche kommunale wie auch staatliche Aufgaben zuständig ist, sollte nun eher ermöglicht als verhindert werden.

Als nach der Jahrtausendwende bayernweit die Sperrzeit für Gaststätten fiel, nutzte München seinen Ermessensspielraum voll aus. Zugunsten eines großstädtischen Nachtlebens. Allerdings immer unter strikter Einhaltung der Gesetze. Wer gehofft hatte, der liberale Jurist nähme es im Detail nicht immer so genau, wurde eines Besseren belehrt.

Nazi-Aufmärsche, Körperwelten: Das KVR wollte verhindern, Gerichte setzten durch

Natürlich gab es auch Niederlagen in den 18 Jahren. Diejenige, die Blume-Beyerle noch immer am meisten wurmt, ist das Verbot der Ausstellung "Körperwelten", das 2003 vom Gericht kassiert wurde. Der Plastinator Gunther von Hagens durfte seine Leichen im Olympia-Radstadion ausstellen, obwohl Blume-Beyerle mit immenser Leidenschaft an die Würde der Toten erinnert hatte. "Das war die wichtigste und traurigste Entscheidung", so der Referent. Auch beim Kampf gegen Rechts ging vieles schief vor Gerichten, die den Nazi-Aufmarsch Heldengedenktag ermöglichten, rechtsradikale Proteste gegen die Eröffnung des NS-Dokumentationszentrums zuließen und immer wieder pro Pegida-Demos entschieden. Das Kreisverwaltungsreferat hatte all das verhindern wollen.

Es gibt Stimmen im Rathaus, die sich eine noch entschiedenere Haltung gewünscht hätten. Lieber ein Zeichen setzen und dann einen Prozess verlieren, als einfach nachzugeben, lautet deren Credo. Blume-Beyerle ist das eher fremd. Er hat kein gutes Gefühl, wenn eine Ordnungsbehörde sehenden Auges eine Entscheidung trifft, die vor Gericht keinen Bestand hat. Aktuell probiert er einen neuen juristischen Kniff aus, um die Gerichte doch noch zu überzeugen: Eine Abwägung der Grundrechte von Dauer-Demonstranten mit denen der betroffenen und genervten Geschäftsleute und Anwohner.

249 Millionen Euro

beträgt der Etat des Münchner Kreisverwaltungsreferats für 2016. Das reicht für Platz vier im Konzert der "Stadtministerien". In der Ordnungsbehörde, die neben der Zentrale an der Ruppertstraße fünf Bürgerbüros in den Stadtvierteln sowie diverse Fach-Dependancen betreibt, arbeiten rund 3800 Leute.

Ein Problem, das Blume-Beyerle an seinen Nachfolger Thomas Böhle übergibt, sind die stundenlangen Wartezeiten im Bürgerbüro. Probleme mit der IT, Personalmangel und eine stetig steigende Bevölkerungszahl - diese Melange hat zur Folge, dass viele der früheren Erfolge im Bürgerservice nicht mehr zu spüren sind.

Blume-Beyerle arbeitet seit 40 Jahren im öffentlichen Dienst, am 30. Juni ist sein letzter Arbeitstag. Rathaus, Verwaltung, Kommunalpolitik - dieser Bereich ist sein Steckenpferd, seit er als Jurastudent zum Zuhören in Gemeinderatssitzungen kam. Warum alles so früh aufs KVR hinauslief? Es gebe eine seriöse und eine ehrliche Antwort, sagt er. Die seriöse: Als Jurist hat man das Bedürfnis, das friedliche Zusammenleben der Menschen zu regeln. Ehrlich ist aber auch: Es ist einfach spannend. Der Kreisverwaltungsreferent kramt eine Ausweiskarte hervor. "KVR" steht darauf, und der Satz, der als Türöffner bei allen Gelegenheiten dient: Der Inhaber verfüge über ein "umfassendes Betretungs-, Überprüfungs- und Anordnungsrecht". Diese Klausel ist selten, sie ermöglicht es, "überall seine Nase reinzustecken", so Blume-Beyerle. Hinter die Kulissen zu gucken.

Im Juli soll dann das ruhigere Leben beginnen. Weg aus der Verantwortung, allenfalls noch ehrenamtliche Arbeit kann sich Blume-Beyerle vorstellen. Er will Segeln lernen. Und Klavier spielen.

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