Staat und Zivilcourage:Neonazi-Gegner im Visier

Ein hartes Vorgehen gegen Neonazis fordern Politiker seit jeher. Doch in München geht der Staat mit ungewöhnlicher Schärfe gegen die Neonazi-Gegner vor. Wer sich gegen Rechtsextremismus engagiert, gerät schnell in die Fänge von Polizei und Justiz. Eine Auswahl an Fällen der vergangenen Jahre.

Bernd Kastner

Jetzt, da die rechtsterroristische Mordserie bekannt geworden ist, fordern Politiker jeder Couleur ein hartes Vorgehen gegen Neonazis. In München haben Nazi-Gegner aus dem linken Lager, aber auch aus der Mitte der Gesellschaft, immer wieder zu spüren bekommen, dass einem der Protest gegen Rechtsextreme recht viel Ärger einbringen kann. Bisweilen gehen Polizei und Justiz mit bemerkenswerter Akribie gegen bürgerliche Courage und zivilen Ungehorsam vor.

Demonstration gegen Neonazi-Aufmarsch in München, 2005

Münchner demonstrieren auf der Theresienwiese gegen Rechtsextremismus. Doch Nazi-Gegner bekommen es oft mit der Justiz zu tun.

(Foto: Robert Haas)

Verdacht alleine reicht schon

Günter W. ist 65 Jahre alt, Arzt von Beruf - und bekennender Nazi-Gegner. Seit Jahren übt er sich im zivilen Ungehorsam, was ihm einigen Ärger einbrachte. Zuletzt, weil er auf marschierende Neonazis Tomaten geworfen hatte. Die Polizei kennt W. und hat ihn in eine Datei aufgenommen mit dem Titel "linksmotivierte Straftäter". Das ist bemerkenswert, weil noch kein Verfahren gegen W. mit einer Verurteilung endete. Das aber ist für die Polizei nicht relevant: "Er muss nicht rechtskräftig verurteilt sein", heißt es. Es genüge, wenn eine Person "verdächtig" sei, das Polizeirecht gebe das her. Dieses erlaubt offenbar auch, dass von W. ein "Delikt" aus dem Jahr 1987 noch immer gespeichert ist.

Friedlicher Widerstand - Straftat

Die Wehrmachtausstellung sorgte 2002 für heftige Auseinandersetzungen: Neonazis protestierten gegen die Schau, Münchner Bürger daraufhin gegen die Neonazis. Der grüne Fraktionschef im Rathaus, Siegfried Benker, rief bei einer Pressekonferenz dazu auf, sich einem Neonazi-Aufmarsch friedlich in den Weg zu stellen. Eine Mitarbeiterin der Polizei-Pressestelle hörte mit und berichtete nach oben. Daraufhin bat die Polizei die Staatsanwaltschaft, bei Gericht einen Durchsuchungsbeschluss für die Fraktionsräume der Grünen zu bewirken. Man hoffte, dort das Original der Presseerklärung zu finden. Die Staatsanwaltschaft erfüllte die Bitte zwar nicht, erwirkte aber einen Strafbefehl gegen Benker: 60 Tagessätze wegen Aufrufs zu einer Straftat. Das Gericht sah eine Strafbarkeit des Politikers, wertete seine Intention aber immerhin als "ehrenvoll" und reduzierte die Strafe auf fünf Tagessätze.

Arrest wegen Vermummung

Peinliches Protokoll

Münchner verhindern Neonazi-Marsch, 2010

Demonstranten blockieren einen Nazi-Aufmarsch in Fürstenried. Solche Aktionen rufen ein großes Polizeiaufgebot auf den Plan.

(Foto: Stephan Rumpf)

Martin Löwenberg ist heute 86 Jahre alt, die Nationalsozialisten hatten ihn ins KZ gesperrt. Zeit seines Lebens kämpft er gegen Rechtsextremismus. 2002 etwa rief er die Münchner dazu auf, sich einem Neonazi-Aufmarsch in den Weg zu stellen. Die Demo hatte Martin Wiese angemeldet, jener Mann, der später wegen des geplanten Anschlags auf das jüdische Zentrum verurteilt wurde.

Löwenberg wurde wegen seiner Protest-Aufforderung zu 15 Tagessätzen verurteilt. "Der Angeklagte hatte für sein Verhalten weder einen rechtfertigenden Grund noch einen entschuldigenden Anlass", steht in dem 17-seitigen Urteil. Im Einsatzprotokoll der Polizei für jenen Tag finden sich bemerkenswerte Formulierungen: Da ist von "Reichsprognomnacht" die Rede, da wird aus NS-Propagandachef Goebbels ein Herr "Göppel", und die Abschrift einer Rede eines anderen Nazi-Opfers wird eingeleitet mit dem Satz: "Es folgt die Rede eines in die Kluft eines Insassen Kfz-Häftlings bekleideter Mann."

Arrest wegen Vermummung

Ein damals 20-jähriger Mann aus Dachau bekam 2004 Ärger mit der Justiz. Er protestierte in Augsburg gegen einen Neonazi-Aufmarsch. Dabei zog er sich ein Halstuch vors Gesicht und eine Kapuze auf den Kopf. Er habe verhindern wollen, erklärte er, dass die Rechtsextremisten sein Foto ins Internet stellen und womöglich Gleichgesinnte dazu auffordern, bei ihm doch mal vorbeizuschauen. Polizei und Justiz werteten dies aber als Vermummung, die Strafe: eine Woche Dauerarrest, auch aufgrund seiner Vorstrafen. "Zur erzieherischen Wirkung", so die Richter, sei "ein deutliches Zuchtmittel" erforderlich.

Anklage gegen Sprayer

Es war nachts, als die Polizei 2005 in einem Münchner Vorort einen 20-Jährigen festnahm. Man verdächtigte ihn, vor einem Wohnblock, in dem ein bundesweit bekannter Rechtsextremist lebte, die Worte "NPD" und "Fuck" auf den Boden gesprüht zu haben. Für die Polizei war er auch jener, der kurz zuvor an eine Hauswand "Achtung NPD-Mann" gesprüht hatte, inklusive des Namens. Der 20-Jährige wurde in der Ettstraße eingesperrt, noch in der Nacht machte die Polizei eine "Nachschau" in der Wohnung seiner Mutter, wo er lebte, später eine Hausdurchsuchung. Computer, Handy, Telefonverzeichnisse und Schriften wurden beschlagnahmt, es wurde eine DNS-Probe des Verdächtigen genommen. Allein, weder der Hauseigentümer noch die Gemeinde, die die Schmierereien beseitigen mussten, erstatteten Anzeige. Der Oberstaatsanwalt stellte die Ermittlungen ein, kein öffentliches Interesse.

Als sich der Anwalt des Neonazis beschwerte, lehnte der Oberstaatsanwalt eine Wiederaufnahme ab. Wenig später aber wurde doch Anklage erhoben - vom selben Staatsanwalt. Offenbar hatte sich der Neonazi-Anwalt an eine obere Stelle gewandt. Er verglich die "ehrverletzende" Schmiererei mit den Methoden der Nazis, die ihre Gegner mittels Judenstern diffamiert hatten. Plötzlich bejahte der Oberstaatsanwalt "das besondere öffentliche Interesse an der Strafverfolgung". Das Amtsgericht aber stellte das Verfahren "wegen geringer Schuld" ein, die Kosten hatte der Staat zu tragen.

Angeblicher Hitler-Gruß

Angeblicher Hitler-Gruß

Mit der Justiz bekam es ein 28-jähriger Münchner zu tun, und zwar wegen "Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen". Gemeint ist der Hitler-Gruß. Allein, diesen hatte der Mann keineswegs gezeigt. Als Nazi-Gegner war er 2006 nach Mittenwald gereist, um gegen ein Treffen der Kameradschaft Gebirgstruppe zu protestieren. In seinem Rucksack hatte er Flugblätter dabei, die für eine Buchvorstellung in München warben.

Auf dem Zettel war ein Buchcover abgedruckt, das Muslime zeigt, die den Arm heben. Titel des Buches: "Feindaufklärung und Reeducation: Kritische Theorie gegen Postnazismus und Islamismus". Es war von der österreichischen Regierung gefördert worden und frei erhältlich. Der junge Münchner erhielt, weil er die Zettel verteilen wollte, einen Strafbefehl über 60 Tagessätze zu 40 Euro zugestellt. Das Amtsgericht reduzierte den Tagessatz auf zehn Euro. Anwältin Angelika Lex musste in die Revision vors Oberlandesgericht, um einen Freispruch zu erreichen.

Rechtswidriger Polizeibesuch

Als 2006 mehrere Organisationen aus dem linken Spektrum, darunter die Journalistengewerkschaft dju, im Eine-Welt-Haus über rechte Gewalt diskutierten, wollte auch die Polizei mithören. Zwei Staatsschützer schlichen sich inkognito in den Saal. Der Versammlungsleiter erkannte sie und schickte sie hinaus - woraufhin die Beamten mit Verstärkung zurückkamen. Das juristische Nachspiel war für das Polizeipräsidium ein Fiasko: Die Anzeige gegen den Versammlungsleiter endete mit einem Freispruch. Ein Verfahren wegen Ordnungswidrigkeit scheiterte ebenfalls. Und später erklärte das Verwaltungsgericht den Polizeibesuch für rechtswidrig, weil die Beamten sich hätten zu erkennen geben müssen. Und dann erstritt Anwältin Angelika Lex vor dem Verwaltungsgerichtshof sogar noch einen Entscheid, der zu einer Änderung des Bayerischen Versammlungsgesetzes führte: Die Polizei darf Versammlungen in geschlossenen Räumen nur dann besuchen, wenn sie konkrete Hinweise auf zu erwartende Straftaten hat.

Fürstenrieder Nachspiel

Als am 8. Mai 2010 Hunderte Nazi-Gegner einen rechtsextremen Marsch in Fürstenried stoppten, wurde dies als Sieg der Demokratie gefeiert. Es hatte ein friedliches Bürgerfest gegeben, und die Polizei wurde für ihr sensibles Vorgehen gelobt. Monate später aber erhielten einige Protestierer Strafbefehle, während die Mehrheit unbehelligt blieb. Die Staatsanwaltschaft begründet die Ungleichbehandlung damit, dass es zwei Blockaden gegeben habe, eine legale und eine illegale, und dass es für die Justiz einen "Verfolgungszwang" gebe.

Juristisch zur Rechenschaft gezogen wurden nur jene Blockierer, die auf einem kurzen Polizeivideo zu erkennen sind. In einem ersten Urteil hat das Amtsgericht einen Nazi-Gegner freigesprochen, weil die Polizei die Blockade gar nicht aufzulösen versucht habe. Die Staatsanwaltschaft ging in Berufung. Ein zweiter Nazi-Gegner wurde inzwischen laut Anwalt Marco Noli rechtskräftig freigesprochen. Weitere Verfahren laufen noch.

Aida - angeblich linksextrem

Bespitzelt

Dass der Verfassungsschutz mit V-Leuten arbeitet, ist bekannt; die Spitzel in der rechten Szene sind ins Gerede gekommen, weil an ihnen das NPD-Verbot scheiterte und man sich nun fragt, warum sie nichts von der Mordserie mitbekamen. Dass der Geheimdienst auch in der Linken seine V-Leute hat, ist nicht verwunderlich. Eher überraschend aber ist, was ein vermeintlich linker Aktivist an seine Auftraggeber gemeldet hat.

Zum Beispiel, was Hans-Peter Dürr 2004 bei einer Friedenskonferenz in der Kreuzkirche sagte. Dürr ist Münchner Ehrenbürger und Träger des Alternativen Nobelpreises. Ganz speziell interessierte sich der V-Mann aber für das "Bündnis gegen Krieg und Rassismus". Als die linken Aktivisten eine Demo gegen das Versammlungsgesetz vorbereiteten, war auch der Spitzel dabei. Anschließend meldete er, wer demnächst als Redner auftreten sollte, unter anderem Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Margarete Bause und Klaus Hahnzog - also Bundesjustizministerin, Grünen-Chefin im Landtag sowie ehemaliger Münchner Bürgermeister und Verfassungsrichter. Der Verfassungsschutz beeilte sich anschließend zu versichern, dass Erkenntnisse über demokratische Politiker selbstverständlich in den Schredder kämen.

Aida - angeblich linksextrem

Die wohl bekannteste Auseinandersetzung zwischen Nazi-Gegnern und der Staatsmacht dreht sich um Aida. Das Antifaschistische Informationsarchiv gilt seit drei Jahren im Verfassungsschutzbericht als linksextremistisch. Das steht im Gegensatz zur Anerkennung, die Aida auch aus der bürgerlichen Mitte erhält. Das Landesamt für Verfassungsschutz tut sich schwer, vor Gericht mit seinem Vorwurf zu bestehen: Aus dem Bericht für 2008 musste Aida ganz gestrichen werden, man hatte den kleinen Verein ohne jede Begründung als demokratiefeindlich bezeichnet.

In den zwei folgenden Berichten darf laut erstinstanzlichem Beschluss nicht mehr erwähnt werden, dass Aida angeblich maßgeblich von Linksextremisten geprägt werde. Das Landesamt lieferte teils merkwürdige Begründungen. So hieß es als Beleg für den Extremismus des Aida-Vorsitzenden, dass er zu 600 Mark Strafe verurteilt worden war. Das war vor 25 Jahren, nach Protesten am Bauzaun in Wackersdorf.

Aktuell stützt das Landesamt seine Linksextremismus-These vor allem auf Links, die von der Internetseite Aidas zu extremistischen Gruppen führen. In der letzten Gerichtsverhandlung im Mai aber kam zutage, dass es zu einer dieser verlinkten Gruppen einen handschriftlichen Aktenvermerk gibt: "Nicht extremistisch." Der Vertreter des Freistaats in der Sitzung war überrascht und meinte, das könne er jetzt auch nicht erklären. Vor ein paar Jahren hatte sich schon mal der Verfassungsschutz bei Aida gemeldet: der des Freistaates Sachsen. Der Geheimdienst interessierte sich für die Aida-Broschüre "Sprengstoff in München". Diese dokumentiert die Umtriebe jener Gruppe um Martin Wiese, die 2003 den Anschlag auf die Synagogen-Baustelle plante. Die sächsischen Verfassungsschützer bestellten die Dokumentation, ganz offiziell gegen Rechnung.

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