Zukunft MD:Heimat für Arbeiter

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Das Betriebsmuseum der ehemaligen Dachauer Papierfabrik könnte der Kern eines oberbayerischen Museums für Industriegeschichte werden. Eine Ausstellung in der Sparkasse gibt einen Ausblick

Von Viktoria Großmann, Dachau

Warum heißt das Gebäude an der Konrad-Adenauer-Straße eigentlich Kalanderhalle und nicht Kalenderhalle? Was ist ein Kalander? Ein Kalander ist, vereinfacht gesagt, eine Papierbügelmaschine. Josef Baur weiß so etwas, er hat früher in der MD-Papierfabrik gearbeitet, seit der Schließung verwaltet er das Gelände. Er gehört außerdem zu einer Gruppe Ehemaliger, die seither das herrenlos gewordene Papiermuseum betreuen und sich für dessen Bestehen einsetzen.

Nun gibt es einen Erfolg. Der Bezirk Oberbayern will die Ausstellung übernehmen und in ein "Arbeiter- und Industriemuseum" für ganz Oberbayern integrieren. Das kleine gelbe Haus aus dem Jahr 1862, das einmal eine Dampfhalle war, würde dafür nicht ausreichen. Das nebenstehende und heute noch betriebene Wasserkraftwerk könnte ausgebaut werden. Doch auch Papierhalle oder Kalanderhalle kämen als Standort in Frage. Für Josef Baur ist vor allem wichtig, dass die privat betreute Sammlung in gute Hände kommt: "Man muss das in Hände legen, die von Museum etwas verstehen", sagt er.

In den vergangenen Jahren haben sich neben den Ehemaligen besonders auch die Dachauer Gästeführer um das Museum verdient gemacht, indem sie es nicht in Vergessenheit geraten ließen. Regelmäßig führt Brigitte Fiedler Einheimische und Touristen durch das Museum, das nur auf Nachfrage geöffnet wird. Fiedler hat auch an der Ausstellung "Aufbruch in neue Zeiten" mitgearbeitet, die bis 4. August in der Dachauer Sparkasse zu sehen ist. Sie gibt einen Ausblick auf das nun angestoßene Industriemuseum. Bereits seit einigen Jahren tourt der Bezirk mit dieser Ausstellung durch Oberbayern. So machte sie in Ismaning und Rosenheim Station, in Kolbermoor mit seiner früheren Baumwollspinnerei und dem Tonwerk oder in Benediktbeuren mit seiner Ski-Fabrik. Jeder Ort, jede Region fügt der Ausstellung etwas hinzu. Typisch Dachau ist dabei nicht nur die Papierfabrik. Typisch Dachau sind auch die Hörhammer-Brauerei, die Malzfabrik oder Adele Spitzeder mit ihrer betrügerischen "Dachauer Bank". So entsteht bereits jetzt nach und nach eine Sammlung über die "Arbeitswelten in Oberbayern von 1830 bis in die Moderne", wie der Untertitel der Ausstellung lautet.

Es ist ein echtes Langzeitprojekt: zugrunde liegt ein Beschluss des Bezirkstages von 2006. Nun glaubt Bezirkstagspräsident Josef Mederer (CSU), in Dachau den idealen Standort gefunden zu haben. Dass Mederer aus Altomünster stammt und der Bezirksheimatpfleger Norbert Göttler, der das Museumsprojekt mit vorantreibt, gebürtiger Dachauer ist, dürfte der Standortwahl zugutekommen. Jedoch sind Mederer und Göttler zu professionell, um sich nur von Heimatgefühlen leiten zu lassen.

Sie wollen ein Museum am authentischen Ort, möglichst zentral gelegen soll es sein. Ein Areal wie das MD-Gelände, auf dem mitten in einer Stadt ein neues Viertel entsteht, dürfte im weiten Umkreis einmalig sein. Mederer und Göttler sehen die Chance, das Viertel mitzugestalten. Wie das Papiermuseum der Nukleus für ein späteres Arbeiter- und Industriemuseum sein kann, so kann wiederum dieses, sagt Göttler, Nukleus eines neuen Viertels sein. Als Vorbild nennt er etwa das Arbeitsweltmuseum im oberösterreichischen Steyr, das in einer ehemaligen Waffenfabrik untergebracht und um das herum ein lebendiges Viertel entstanden sei.

"Was wir nicht wollen, ist ein zweites Deutsches Museum", sagt Mederer. Kein Technikmuseum soll entstehen, sondern eines, das Sozial-, Wirtschafts- und Arbeitsgeschichte vermittelt. Zugleich aber dynamisch erfahrbar ist, wie Göttler hinzufügt. Auch dafür eignen sich die Exponate aus dem Papiermuseum geradezu vorbildlich. Göttler stellt sich vor, dass Besucher selbst Papier schöpfen oder eine Druckmaschine ausprobieren können. "Es soll etwas Lebendiges sein." Diesen Ansatz unterstützt auch Annegret Braun, die zusammen mit Gästeführerin Brigitte Fiedler den Dachauer Teil der Ausstellung in der Sparkasse gestaltet hat. Großen Wert hat sie dabei auf Stücke gelegt, die auch die Atmosphäre einer Epoche spürbar werden lassen. Karikaturen, Faksimiles und Fotografien machen den historischen Hintergrund nachvollziehbar.

Im Papiermuseum sind nicht nur einige alte Geräte, sondern selbst ihre Namen sehenswert: Schaltfehlerschutzgerät. Dampftopf-Turbinenanlage. Kugelsitzventil. Die Industrie bringt ihre eigene Sprache hervor. Lange Begriffe, die sich aus bekannten Wörtern zu völlig Unverständlichem zusammenfügen. Josef Baur beherrscht diese Sprache. Er war für den Konzern der Dachauer Papierfabrik jahrelang in der Elektroplanung an verschiedenen Standorten tätig. Der Holländer etwa zerkleinert den Rohstoff für die Papiermasse, der Kollergang zermahlt ihn zu Papierbrühe. Einige der alten Geräte könnte man zu Vorführungszwecken sicher wieder zum Laufen bringen, glaubt er.

Die Modelle von Kollergängen und Holländern, die Rechenmaschinen, Schälböcke und Schöpfrahmen stehen gedrängt auf zwei Etagen. Es gäbe noch viel mehr auszustellen, doch der Platz fehlt und auch die Möglichkeiten, die Dinge ordentlich zu pflegen. Ein Teil wurde deshalb schon dem Stadtarchiv übergeben. Im Obergeschoss des gelben Häuschens sind Exemplare von Neckermann- und Schöpflin-Katalogen, vom Simplicissimus, der Zeitschrift Jugend und der Schweizer Illustrierten zu sehen - allesamt ebenso Vergangenheit wie die Firma, die das Papier dafür lieferte.

Am 3. Dezember 1987 ist das Betriebsmuseum eröffnet worden. Als die Fabrik 20 Jahre später selbst Geschichte wurde, entschlossen sich einige Ehemalige, das Museum auf eigene Faust zu erhalten. Die Stadt beschied schon 2012, dass sie als Träger nicht infrage komme. Die Aussage der Thementische war jedoch eindeutig: Papiermuseum erhalten. Am besten mit einem Museumscafé obendrein. Auf das Angebot des Bezirks müssen nun sowohl der Landkreis als auch die Stadt eingehen. Die Idee ist, gemeinsam einen Trägerverbund zu gründen.

"Es geht nur mit Unterstützung der öffentlichen Hand", sagt Baur. Ein Förderverein allein könne die Betreuung des Museums nicht leisten. Die Ehrenamtlichen, die sich um das kleine Papiermuseum kümmern, werden älter. "Und es kommen keine Jüngeren nach."

© SZ vom 25.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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