Zahl der Einbürgerungen nimmt deutlich zu:Neue deutsche Welle

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Immer mehr im Landkreis Dachau lebende Ausländer wollen Bürger der Bundesrepublik werden. Erstmals lädt Landrat Stefan Löwl 176 Zuwanderer aus 43 Herkunftsländern zu einem festlichen Empfang ein

Von Benjamin Emonts, Dachau

Das Büro von Jürgen Reinwald gehört gewiss zu den schöneren im Dachauer Landratsamt. Die exquisiten Möbel aus dem Ende des 19. Jahrhunderts zierten einst das Arbeitszimmer von Altlandrat Hansjörg Christmann (CSU). Eine Glaskugel in einem Wurzelholz auf dem Schreibtisch ermöglicht vielleicht einen Blick in die Zukunft. Und eine große Deutschland-Flagge am vergoldeten Ständer gibt zu verstehen, dass es hier um Staatsangelegenheiten geht. Denn hier im Erdgeschoss, Zimmer 29 des Landratsamts, verleiht Jürgen Reinwald die deutsche Staatsangehörigkeit. Und das kommt in letzter Zeit immer häufiger vor.

Immer mehr im Landkreis Dachau lebende Ausländer wollen Deutsche werden. Waren es vor zehn Jahren noch 135 Personen, so stieg die Zahl im vergangenen Jahr auf 250 an. Im ersten Halbjahr 2017 sind es bereits 132 Personen, weshalb Einwanderungsexperte Jürgen Reinwald überzeugt ist: "Dieser Trend wird noch weiter nach oben führen." Denn Deutschland, so sagt seine Mitarbeiterin Kerstin Füchsel, biete in unruhigen Zeiten im Vergleich zu weiten Teilen der Welt ein vergleichsweise sicheres Lebensumfeld.

Im Büro von Jürgen Reinwald im Dachauer Landratsamt wird die deutsche Staatsbürgerschaft verliehen. Die Möbel standen einst noch im Arbeitszimmer von Altlandrat Hansjörg Christmann. Die Flagge wurde erst vor Kurzem aus dem Kreistag im Obergeschoss stibitzt. (Foto: Toni Heigl)

Die persönlichen Gründe, weshalb immer mehr Menschen die deutsche Staatsbürgerschaft annehmen, sind sehr unterschiedlich. Einen starken Schub hat es gegeben, seitdem Bürger aus fast allen EU-Ländern zwei Staatsangehörigkeiten annehmen dürfen. Ausschlaggebend sind aber vor allem politische Ereignisse und Entwicklungen, wie momentan am Beispiel Großbritanniens sichtbar wird. Seit im vergangenen Jahr der "Brexit", der Ausstieg Großbritanniens aus der Europäischen Union beschlossen worden ist, haben zehn Briten aus dem Landkreis Dachau zwischen Juli 2016 und Ende Mai 2017 die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten. "Vordem Brexit war es vielleicht gar keiner oder höchstens einer", sagt Reinwald.

Viele Briten sorgen sich um ihre Reisefreiheit, weil die uneingeschränkte Ein- und Ausreise von EU-Bürgern nach Großbritannien 2019 enden soll. Sie sind zutiefst enttäuscht. Die aus Sheffield stammende Dachauerin Susan Lauterwasser, 69, war geradezu entsetzt, als sich die Mehrheit ihrer Landsleute im Juni 2016 für den EU-Austritt aussprach. Sie habe die Entscheidung nicht einfach so hinnehmen können, sie fühle sich als Europäerin.

Noch am Tag des Referendums beschloss sie deshalb nach 43 Jahren, die sie im Landkreis Dachau verbracht hat, die deutsche Staatsbürgerschaft anzunehmen. Sie suchte einige Unterlagen zusammen, absolvierte eine Sprachprüfung und legte erfolgreich den Einbürgerungstest ab. Drei Wochen später, nachdem alles beim Landratsamt eingereicht war, verlieh Reinwald ihr am 4. Mai 2017 die Einbürgerungsurkunde. "Das war wirklich ein großes Ereignis für mich, eine Deutsche zu werden. Der Mann war sehr nett und hat sich noch entschuldigt, dass es keine Feier gibt", erinnert sich Lauterwasser.

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(Foto: Toni Heigl)

Die gebürtige Engländerin Susan Lauterwasser (69) hat nach dem Brexit die deutsche Staatsbürgerschaft beantragt.

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(Foto: Toni Heigl)

Die 45-jährige Venezolanerin Ana Maria Potes de Spannraft führte die Liebe nach Deutschland.

Die fehlende Feier bekam Lauterwasser dann übrigens doch. Landrat Stefan Löwl (CSU) war ein freundlich gemeinter Händedruck vor dem Ambiente altmodischer Möbel offensichtlich nicht würdig genug für die Einbürgerung. Als erster Landrat im Landkreis Dachau veranstaltete er im Juni deshalb einen feierlichen Empfang für alle Landkreisbürger, die zwischen Juli 2016 und Ende Mai 2017 die deutsche Staatsgehörigkeit angenommen haben. Insgesamt waren es in diesem Zeitraum 176 Personen aus 43 Herkunftsländern, darunter Exoten wie Sri Lanka, Honduras oder Vietnam. Die meisten Eingebürgerten stammen aber aus der Türkei (22), gefolgt von Rumänien (16), Serbien (13), Griechenland (11) und Großbritannien (10). Der Landrat und einige Bürgermeister sangen mit den Eingebürgerten fröhlich die Bayern- und die Deutschlandhymne.

Mit dabei war auch eine Frau mit dem klangvollen Namen Ana Maria Potes de Spannraft. Die gebürtige Venezolanerin kam vor zwölf Jahren das erste Mal nach Deutschland, erst nach Frankfurt, dann nach München. Auf dem Oktoberfest verliebte sie sich in einen Mann aus Dachau. Ihre Besuche häuften sich, bis sie schließlich in den Landkreis zog. Im Dezember 2012 heirateten sie und wohnen seither in Günding. "Ich fühle mich hier zu Hause", sagt sie. "Mein Leben hier mit meinem Mann ist supertoll. Ich werde für immer hier bleiben. Deshalb wollte ich auch die Staatsbürgerschaft annehmen."

Susan Lauterwasser, die bei der Caritas den Treffpunkt 50+ geleitet hat und schon vielen Senioren Englischsprechen beigebracht hat, steht bald vor der Entscheidung, ob sie neben der deutschen die britische Staatsbürgerschaft behalten will. "Den Pass zu verlängern, ist viel schwieriger als hier eingebürgert zu werden", sagt sie und lacht.

© SZ vom 01.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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