Weichs:Goethe, mein Held

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Der 25-Jährige lebt fern seiner Familie in den Container in Weichs. Als Fremder fällt er kaum auf, höchstens durch den perfekt angewandten Genitiv. (Foto: Toni Heigl)

Der Krieg hat den Syrer Mounir Alrefai heimatlos gemacht. Aber auch in das Land seiner Träume verschlagen.

Von Anna-Sophia Lang, Weichs

Goethe ist der Beste, da gibt es für Mounir Alrefai keinen Zweifel. Er hat sich durch "Faust" gequält, Seite für Seite, bis zum Ende. Es sei schwer gewesen, sagt der 25-Jährige und lacht bei der Erinnerung, aber es habe sich gelohnt. Auch Schiller und Hesse hat er gelesen, zahllose Referate gehalten. Ein Prozedere, das deutsche Schüler nur zu gut kennen. Generationen haben sich mit den "Räubern", "Michael Kohlhaas" oder dem "Besuch der alten Dame" herum geschlagen. Für Alrefai waren die Namen ein Tor in eine unbekannte Welt. Die ihn so anzog, dass er beschloss, sie zu studieren. Obwohl er sich selbst damit keine leichte Aufgabe stellte. Alrefai ist Syrer. Mit 18 ging er nach Damaskus, um Germanistik zu studieren. Dann kam der Bürgerkrieg. Jahr für Jahr kostete er mehr Menschen das Leben, wurde brutaler und zerstörte immer größere Teile des Landes. Mounir Alrefai, der Germanist, musste fliehen. In das Land, das er bis dahin nur aus den Sätzen von Schiller, Hesse und Goethe kannte.

Deutsch, sagt er, habe ihn einfach interessiert. Die Sprache, die Kultur. "Englisch sprechen zwar alle, aber Deutsch ist viel interessanter." Und dann die weltbekannten Schriftsteller, da war alles klar. Nur 40 Kommilitonen hatte Alrefai. "In Syrien ist Deutsch noch eine neue Sprache." Auch Geschichte stand auf dem Stundenplan. Welche Rolle die Stadt Dachau gespielt hat, wusste er nicht. Das Areal des ehemaligen Konzentrationslagers mit den Wachtürmen hat er zwar bemerkt. Dass es eine Gedenkstätte ist, die man besichtigen kann, ist ihm aber neu. "Vielleicht mache ich das mal." Alrefai hätte nie ahnen können, dass er eines Tages auf diese Weise nach Deutschland kommen würde, das Land seiner geliebten Schriftsteller.

"In Syrien musst du kämpfen. Entweder mit oder gegen die Regierung."

Jetzt lebt er in einem engen Container in Weichs, rundherum grüne Wiesen und Felder bis zum Horizont. Der Weg nach Dachau und München ist weit, Weichs hat keine eigene S-Bahn-Station. Man kann nicht viel tun hier. Aber zumindest gibt es keinen Krieg. "Man sucht nach Sicherheit, nach Frieden." Wäre Alrefai geblieben, hätte er zu den Waffen greifen müssen. "In Syrien musst du kämpfen. Entweder mit oder gegen die Regierung." Die Eltern sind mit den acht Schwestern und zwei Brüdern aus der Heimatstadt Daraa im Südwesten nach Damaskus gezogen. Alrefai hat regelmäßig Kontakt zu ihnen. Sorgen macht er sich trotzdem.

Umso mehr stürzt er sich in die Arbeit. Jeden Tag fährt er zum Deutschkurs an die Hochschule München, damit er sich bald an der Universität bewerben kann. Den Kurs bezahlt er aus eigener Tasche, genau wie das Monatsticket. Beides reißt ein großes Loch in sein Budget. Etwa 330 Euro bekommen Asylsuchende nach dem Gesetz pro Monat. Alrefai sorgt sich deshalb. Aber er ist zielstrebig. Seinen Bachelor an der Universität Damaskus hat er abgeschlossen, danach hat er drei Jahre lang als Deutschlehrer an der Uni und an privaten Instituten gearbeitet. Er will einen Master machen, wieder Deutsch als Fremdsprache unterrichten, am liebsten an der Uni. "Vielleicht kann ich sogar einen Doktor machen." Dafür ist er bereit, viel zu investieren. Wenn sein Deutschkurs um 15 Uhr zu Ende ist, geht er in die Bibliothek: Weiterbüffeln. Und um Leute kennenzulernen, die ihm dabei helfen.

Gute Chancen auf Asyl

Es ist Donnerstagnachmittag, Alrefai ist gerade aus München gekommen. Der andere Syrer, mit dem er sich das Zimmer teilt, ist eben von einem Nachmittagsschlaf aufgewacht. Beschämt grinsend schleicht er sich aus dem Raum. Etwas später kommt er wieder und bringt Kaffee. "Wie heißt das nochmal, Cappuccino?", fragt Alrefai. Es ist eines der wenigen Worte, die er sich einfach nicht merken kann. "Eine WG? Ah, eine Wohngemeinschaft." Wäre er am vergangenen Dienstag zum Deutsch-Abitur angetreten, er hätte bestimmt gut abgeschnitten. Er jongliert mit Konjunktiven und dekliniert Fälle korrekter durch als mancher Abiturient: "Ich bin wegen des Krieges geflohen", sagt er. Auf dem Tisch stapeln sich Grammatikbücher. Barbara Long aus dem Helferkreis hat sie ihm geschenkt, damit er auch daheim weiter lernen kann. Alrefai ist dankbar für ihre Unterstützung. Doch auch er ist den Ehrenamtlichen und dem Landratsamt eine große Hilfe. Er dolmetscht bei Behördengängen, Arztbesuchen und hilft beim Sprachunterricht. "Für Flüchtlinge ist Deutsch sehr schwer zu lernen. Aber ohne geht es nicht."

Am Montag hatte er sein Gespräch beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Alrefai hat gute Chancen, Asyl zu bekommen. Die Anerkennungsquote für Syrer lag 2016 bei 98,7 Prozent. Wenn alles glatt läuft, will er bald halbtags in einem Café arbeiten. Lange Tage hätte er dann vor sich. Morgens Sprachkurs, nachmittags arbeiten, abends zurück nach Weichs. Nicht gerade entspannt. Alrefai ist das egal. Er will es schaffen im Land von Hesse, Schiller und Goethe.

© SZ vom 07.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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