Vierkirchen:Digitale Synapsen

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Wie das Software-Unternehmen Micronova aus Vierkirchen das deutsche Gesundheitssystem verbessern, die Ärzte miteinander vernetzen und zugleich die Daten der Patienten schützen möchte

Von Gregor Schiegl, Vierkirchen

Vivian ist fünf Jahre alt und kommt aus Vierkirchen. Sie weiß viel über Krankheiten, Patienten und Therapien. Vivian ist kommunikativ, aber verantwortungsbewusst, Datenschutz ist ihr wichtig. In der Software-Schmiede Micronova in Vierkirchen sind sie sehr stolz auf sie. Vivian ist ihr Baby, auch wenn es nicht aus Fleisch und Blut ist, sondern aus Bits and Bytes. Jüngst war auch die bayerische Gesundheitsministerin Melanie Huml (CSU) zu Besuch in Vierkirchen und hat sich bei einem Expertengespräch über Vivian schlau gemacht. Die smarte Fünfjährige - so ist jedenfalls die Hoffnung - könnte das deutsche Gesundheitssystem in vielen Punkten nachhaltig verbessern.

Vivian ist ein Akronym für "Virtuelle Vernetzung im Arztnetz". Das System ermöglicht den digitalen Austausch von Befunden, Diagnosen und Labordaten zwischen Arztpraxen, Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen. Die Gesundheitsministerin nutzte den Besuch in Vierkirchen auch gleich zu der Ankündigung, "die Digitalisierung und Vernetzung in der Versorgung zum Wohle der Patienten voranzutreiben". Die Vorteile: Unnötige Mehrfachuntersuchungen lassen sich vermeiden, Arzneimittel besser aufeinander abstimmen. "Davon profitieren nicht nur die Ärzte und Einrichtungen, sondern auch die Patienten", sagt Dietmar Dunkel, Bereichsleiter der relativ neuen Micronova-Sparte E-Health. Besonders groß dürfte der Nutzen für Leute sein, die unter mehreren Krankheiten leiden und oft selbst nicht mehr überblicken, was wann untersucht wurde und was sie jetzt wann genau wogegen einnehmen.

Deutschland hat ein komplexes Gesundheitswesen

Als Laie wundert man sich, dass die Vernetzung im Gesundheitsbereich so etwas grandios Neues, Bahnbrechendes sein soll in einer Zeit, in der schon fast alles mit allem kommuniziert: Handys mit der Zentralheizung, Waschmaschinen mit Fernsehern und Autos mit anderen Autos. Tatsächlich gibt es in anderen Ländern solche digitalen Gesundheitsnetze wie Vivian schon, etwa in Österreich. "Aber das deutsche Gesundheitswesen ist wesentlich komplexer und vielschichtiger", sagt Daniel Jozic, Leiter des Vertriebs bei Micronova. "Die Informationen müssen adäquat und strukturiert von A nach B kommen."

Das klingt nach einer simplen Aufgabe. Ist es aber nicht. In deutschen Praxen sind mehr als 170 verschiedene Patientenverwaltungssysteme im Einsatz. Eine echte Vernetzung funktioniert nur mit einer Schnittstelle, die mit allen Systemen kompatibel ist. Daran haben sich die Mitbewerber von Micronova bislang die Zähne ausgebissen, wenn man den Entwicklern aus Vierkirchen glaubt. Aber Vivian kommt mit allen Systemen klar. Das war den IT-Experten wichtig, denn auch Ärzte sind Gewohnheitsmenschen. "Für die Akzeptanz entscheidend ist, dass sie ihre Systeme zur Patientenverwaltung nicht wechseln müssen", sagt Vertriebsleiter Jozic. Technische Lösungen taugen nur, wenn sie praxistauglich sind.

"Wir sind ein Innovationsmotor"

Micronova hat eigens eine Ärztin eingestellt, um Vivian entsprechend zu gestalten. "Wir wollen auch nicht stehen bleiben, wir sind ein Innovationsmotor", sagt Daniel Jozic. "Vivian wird mit dem Input der Ärzte in der täglichen Praxis weiterentwickelt." Vivian lernt und reift, und dabei geht es nicht nur um die Optimierung einer Software-Lösung. Die Entwickler von Micronova sind überzeugt, dass ihr Produkt zahlreiche Menschenleben retten könnte. Jährlich sterben in Deutschland fast 60 000 Patienten an Medikamenten, die sie nicht vertragen. Oft sind gefährliche Wechselwirkungen der Grund. "Es ist paradox, dass wir im EDV-Zeitalter sind und Lösungen haben, das zu reduzieren, es aber bislang vermeintlich immer an den Schnittstellen haperte", sagt Daniel Jozic.

Die neue Welt der Digitalisierung weckt aber nicht nur Hoffnungen, sondern rührt auch an tief sitzenden Ängsten. Was geschieht mit den sensiblen Patientendaten? Wer sieht sie? Wer garantiert, dass es zu keinem Datenmissbrauch kommt? Wer, dass das System nicht gehackt, die Daten geklaut und sonst wo verscherbelt werden? Die Sicherheit war immer der wunde Punkt in der Vision von der Vernetzung.

E-Health als drittes Standbein

Glaubt man den Entwicklern von Micronova, haben sie auch dieses fundamentale Problem zufriedenstellend lösen können: Vivian gibt nur Daten an Praxen weiter, wenn der Patient dem Transfer ausdrücklich zugestimmt hat. Gespeichert sind die Informationen beim behandelnden Arzt und nicht in einer Cloud. "Die Daten werden von Punkt zu Punkt übertragen", sagt Daniel Jozic. Micronova hat sich durch das Unabhängige Landeszentrum für Datenschutz in Schleswig-Holstein (ULD) zertifizieren lassen, dass Vivian den hohen Sicherheitsanforderungen des Datenschutzes auch tatsächlich genügt.

Die Sparte E-Health ist relativ neu in dem mittelständischen Unternehmen mit 160 Mitarbeitern, das Geschäftsführer Josef W. Karl 1987 gegründet hat. Micronova testet Elektronik für große Autokonzerne, außerdem liefert sie Lösungen für das Management von Mobilfunknetzen. Vor einigen Jahren kam die Sparte E-Health hinzu, als drittes Standbein. Der Bereich Gesundheit und Pflege wächst, die Menschen in Deutschland werden immer älter. E-Health ist ein Wachstumsmarkt.

Die Geldgeber für Vivian sind in erster Linie Fachverbände, Ärzte und Krankenkassen wie die AOK Baden-Württemberg. Sie treibt die digitale Vernetzung mit Hochdruck voran. Deswegen gibt es auch schon umfangreiche Ärztenetze bei den Nachbarn im Südwesten und in Nordrhein-Westfalen. In Bayern gibt es nur in Rosenheim ein lokales Netzwerk mit 30 Ärzten. Fragt man Dietmar Dunkel, den Chef der Micronova-Abteilung, warum Vivian ausgerechnet in seinem Herkunftsland Bayern noch so hinterherhinkt, schnauft er tief durch. "Man muss die richtigen Player haben", sagt er. Sprich: Krankenkassen, Ärzte und Verbände müssen mitziehen.

Mehr Details gibt es auch auf der Firmenseite im Netz unter www.micronova.de.

© SZ vom 06.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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