Vierkirchen:Die Notärztchen

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Beim Erste-Hilfe-Kurs "Trau dich" des Roten Kreuzes lernen die Kinder der Villa Kunterbunt, wie man Verletzten richtig hilft

Von Benjamin Emonts, Vierkirchen

Der fünfjährige Andreas trägt ein großes Pflaster über dem Bauchnabel. Seine Spielgefährten haben Verbände um ihre Hände, Pflaster mit Indianern und Clowns haften auf ihrer Stirn, den Fingern oder den Wangen. Was ist nur vorgefallen in der Villa Kunterbunt, dem Vierkirchner BRK-Kindergarten? Womöglich ein Stubentiger, der über sie hergefallen ist und sie verletzt hat? Entwarnung!

Die Vier- bis Siebenjährigen sind fröhlich und wohlauf, sie absolvieren soeben den ersten Erste-Hilfe-Kurs ihres jungen Lebens. Sie lernen, wie wichtig es ist zu helfen, wenn sich ein Mitmensch verletzt hat. Dafür üben sie - das lässt sich unschwer erkennen - wie Pflaster aufgeklebt, Verbände angelegt oder Notrufe abgesetzt werden.

Die Kinder erfahren, wie man Wunden versorgt, Nasenbluten behandelt und den Notruf wählt

Der Rummel im Kindergarten in der Indersdorfer Straße ist groß am Freitagvormittag. Ein Mann mit struppigen Haaren hält den Kindern ein Mikrofon vor die Nase und stellt neugierig Fragen. Eine riesige Kamera wirft helles Scheinwerferlicht auf die aufgeregten Gesichter. Radio, Fernsehen und Lokalzeitungen sind an diesem Vormittag nach Vierkirchen gekommen, um über das sogenannte "Trau-Dich"-Programm des Bayerischen Jugendrotkreuzes zu berichten.

Die sechsjährige Slendy legt Isabell fachmännisch einen Verband an. (Foto: Niels P. Joergensen)

Unter dem Motto "Keiner ist zu klein, um Helfer zu sein" lernen die Kindergartenkinder spielerisch die wichtigsten Grundbegriffe der Ersten Hilfe. In sieben Lektionen erfahren sie, wie man Wunden versorgt, Quetschungen und Nasenbluten behandelt und den Notruf wählt. Ausgearbeitet wurde das Programm von einer fünfköpfigen, praxiserfahrenen Arbeitsgruppe des BRK.

Es soll die Sozialkompetenz und das Selbstvertrauen der Kinder stärken, Ängste abbauen und Zivilcourage unterstützen. Kindergarten- und Kindertagesstätten können ab sofort daran teilnehmen.

"Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr", sagt Bernhard Seidenath, Vorsitzender des BRK-Kreisverbands Dachau. Soll heißen: "Die Kinder können nicht früh genug damit anfangen zu helfen und anderen unter die Arme zu greifen." In ihrem Stuhlkreis sitzen nun auch die Handpuppen Solfi und Rino, zwei flauschige Spielkameraden, die an Bert und seinen Gefährten Ernie aus der "Sesamstraße" erinnern.

Emilie Rückert vom Jugendrotkreuz zeigt den Kindern bunte Bilder, um zu erzählen, was Solfi und Rino widerfahren ist. Die beiden waren im Wald bei Vierkirchen unterwegs, gut gelaunt tobten sie und wollten mit Pfeil und Bogen nach "Schlangen, Werwölfen, Wölfen und Kobras" jagen, so vermuten die Kinder. Dann aber stürzt Solfi plötzlich über einen Baumstamm und verletzt sich an der Hand. Oh nein! Was machen wir jetzt bloß?

Andreas (5) aus Vierkirchen präsentiert stolz seine Pflaster und Verbände. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Die richtige Antwort schallt Emilie Rückert lauthals entgegen: "Verarzten!" Was noch? "Trösten", ruft ein kleines Mädchen. "Hilfe holen", ein anderes. Um zu verstehen, wie das funktioniert, haben die Kindergartenkinder mit Emilie Rückert mehrere Stunden lang gelernt, was zu tun ist, wenn sich jemand verletzt hat. Man muss den Betroffenen trösten und so schnell wie möglich Hilfe holen bei "Mama, Papa, Opa, Oma, Onkel oder Kindergärtnerin", so sagen die Kinder.

Darüber hinaus haben sie einen Notruf-Song einstudiert. Der fünfjährige Vincent will ihn zwar nicht vorsingen, aber "irgendwas mit Tatü-Tata" muss darin wohl vorgekommen sein. Dann setzt Vincent aus Nummernkarten gedankenschnell die Notrufnummer "112" zusammen. Auch sie ist anscheinend hängengeblieben.

Wobei die Kleinen eigentlich schon kundige Ersthelfer sind, wie sie eindrucksvoll unter Beweis stellen. "Die Wunde nicht abschlecken", "nicht reinfassen", "nicht kratzen", nichts draufschmieren", kommt es wie aus der Pistole geschossen. In Zweiergruppen legen sie sich die Kinder stattdessen fachmännisch Verbände über ihre imaginären Wunden.

Leonie braucht keine Minute, bis der Verband an der Hand ihrer Freundin Lucia ordentlich sitzt. Der fünfjährige Maurice-Maxim erklärt derweil: "Nicht auf die Wundauflage fassen", und zieht sich Gummihandschuhe über. "Wenn man andere verarztet, muss man Handschuhe anziehen, damit man sich nicht wehtut. Sonst ist der ganze Dreck auf den Händen", so sagt er.

Weil helfen so viel Spaß macht, schnappen sich die Nachwuchssanitäter gleich noch einige kindergerechte Pflaster, mit denen sie sich gegenseitig tapezieren. Andreas, der strahlende Bub mit dem verletzten Bauchnabel, bläst den Gummihandschuh derweil auf wie einen Luftballon. Auch das gehört natürlich zum spielerischen Helfen.

© SZ vom 12.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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