Kandidat für den Tassilo 2018:Die Befreiung der Kunst

Kandidat für den Tassilo 2018: Künstler Johannes Wirthmüller möchte Menschen zum Nachdenken anregen. Sein Werk auf dem Gelände der Dachauer MD-Papierfabrik ist beispielsweise dem Thema Gewalt gegen Frauen gewidmet.

Künstler Johannes Wirthmüller möchte Menschen zum Nachdenken anregen. Sein Werk auf dem Gelände der Dachauer MD-Papierfabrik ist beispielsweise dem Thema Gewalt gegen Frauen gewidmet.

(Foto: Toni Heigl)

Der Sprayer Johannes Wirthmüller gerät immer wieder mit dem Gesetz in Konflikt. Jetzt hat er in Dachau den Verein "Outer Circle" gegründet und hofft auf mehr Verständnis für Graffiti als gestalterische Ausdrucksform.

Von Jacqueline Lang, Dachau

Es ist ein ständiger Kampf: Johannes Wirthmüller sprayt Graffiti, seit er 13 ist - mal mehr, mal weniger legal. Der 26-Jährige ist deshalb in der Vergangenheit schon häufig mit der Polizei aneinandergeraten und musste bereits mehr als 20 000 Euro Strafe zahlen. Wirthmüller, der leise spricht und seine Worte mit Bedacht wählt, ist niemand, der anderen bewusst schaden will. Am liebsten würde er einfach nur die, ihm häufig so trist erscheinenden Wände verschönern, etwas Farbe in den Alltag der Menschen bringen. Er könne gar nicht anders. Es sei seine Bestimmung, sagt er. Doch leider steht das im großen Widerspruch zu dem, was die Stadt und viele ihrer Bewohner wollen. Manchmal ist dieser ständige Kampf um Anerkennung ermüdend und doch hat er für Wirthmüller einen tieferen Sinn. Es geht ihm um die Befreiung der Kunst. Um nicht mehr und nicht weniger.

Akzeptanz für die Kunst fördern

Vor gut einem Jahr haben er und sein Kollege Adrian Till deshalb den gemeinnützigen Dachauer Verein "Outer Circle" ins Leben gerufen. Mit seiner Hilfe wollen sie die Akzeptanz für ihre Kunst fördern und den Jugendlichen, die gerade mit dem Sprayen angefangen haben, eine Anlaufstelle bieten. Der Verein wolle eine Schnittstelle schaffen zwischen den Sprühern und der Öffentlichkeit, so Wirthmüller. "Mit 16 wissen die meisten nicht, wie man mit Architektur und öffentlichem Raum umgeht", sagt er. Die Jugendlichen bräuchten deshalb jemanden, der sie führt und sie den Umgang mit öffentlichen Raum lehrt. Mit 16 Jahren hatte sich Wirthmüller noch nicht mit Architektur auseinandergesetzt. Heute würde er nicht mehr wahllos jede freie Fläche besprühen, denn er weiß, auch der Architekt hat sich möglicherweise etwas bei seinem Werk gedacht. Dieses Verständnis will der Verein den Jugendlichen vermitteln. Trotzdem ist Wirthmüller niemand, der anderen verbieten würde, Züge oder Wände anzusprühen. Das müsse jeder selbst entscheiden, sagt er.

"Als ich angefangen habe, gab es keine Sprayer-Szene in Dachau", sagt der junge Mann, an dessen schwarzer Jogginghose und Händen noch Farbe klebt. Auch heute noch seien die meisten Sprayer in Dachau aus dem Umland, und es werden ständig mehr. Das merkt Wirthmüller an der großen Nachfrage an den Veranstaltungen, die der Verein anbietet.

Sketch-Circle im Freiraum

Neben klassischen Workshops, "du kriegst eine Sprühdose und malst eine Wand an", findet in den Räumlichkeiten des Dachauer Vereins Freiraum alle zwei Wochen ein sogenannter Sketch-Circle statt. Hier können die Jugendlichen zeichnen und in ungezwungener Umgebung Fragen stellen, sich austauschen. Dasselbe will "Outer Circle" in den kommenden Monaten auch in München anbieten. Obwohl der Verein einen pädagogischen Anspruch hat, geht es Wirthmüller nicht in erster Linie um die Erziehung der jungen Sprüher, sondern vielmehr um eine Beziehung zu ihnen, eine Begegnung auf Augenhöhe. Immerhin weiß Wirthmüller nur zu gut, wie schnell die Null-Toleranz, die den Sprayern in den meisten Städten entgegengebracht wird, zur Frustration führen kann. "Dann beginnt ein Kampf zwischen Polizei und den Künstlern. Nicht mit Gewalt, sondern mit Farbe", sagt Wirthmüller. Dafür, dass einige Sprayer wegen ihrer Kunst sogar schon mehrere Jahre ins Gefängnis gewandert sind, hat er kein Verständnis: "Obwohl wir nur Wände bemalen, werden wir von manchen Polizisten behandelt wie absolute Schwerverbrecher."

Kandidat für den Tassilo 2018: Der Graffiti-Künstler Adrian Till ist mit Johannes Wirthmüller im Vorstand des gemeinnützigen Vereins "Outer Circle".

Der Graffiti-Künstler Adrian Till ist mit Johannes Wirthmüller im Vorstand des gemeinnützigen Vereins "Outer Circle".

(Foto: Toni Heigl)

Wirthmüller, der seine Haare beim Reden mit seiner Hand immer wieder bedächtig unter seine schwarze Mütze schiebt, ist deshalb froh, dass die Stadt Dachau einen anderen Weg gewählt hat. "Wir haben das Glück, dass es in Dachau Menschen gibt, die unsere Kunst verstehen." Er meint Menschen wie den Dachauer Kulturamtsleiter Tobias Schneider, der mit den Künstlern in den Dialog getreten ist.

Bereits mit 16 hat Wirthmüller seinen ersten Auftrag vom Dachauer Verein Brücke bekommen und dort eine Fassade besprüht. "Aus heutiger Sicht ziemlich schlecht", wie der sonst so ernste Mann mit einem Schmunzeln zugibt. Der Wendepunkt sei jedoch ein gemeinsam mit der Künstlerveinigung Dachau (KVD) gestellter Antrag für die Nutzung der ehemaligen Papierfabrik gewesen. Seitdem dürfen Künstler dort in Absprache mit der Stadt sprayen - ganz legal. Doch obwohl Wirthmüller mittlerweile viele Aufträge bekommt und von seiner Arbeit als Graffiti-Künstler leben kann, stattet ihm die Polizei noch regelmäßig Besuche ab. Vielleicht nicht immer grundlos, aber häufig mit übertriebener Härte, wie Wirthmüller findet. Es bleibt ein Katz-und-Maus-Spiel.

Kinderzimmer besprühen auf Bestellung

Weil Wirthmüller seine Kunst sehr ernst nimmt, differenziert er stark zwischen Aufträgen, für die er Geld bekommt und seinem künstlerischen Schaffen. "Ich verkaufe mich 50 Prozent der Zeit, aber da lass ich meine Seele dann raus", sagt Wirthmüller. Ein Konzept, das für ihn funktioniert. Wenn er Aufträge bekommt und Kinderzimmerwände oder Supermärkte besprüht, hat das für ihn nichts mit Kunst im eigentlichen Sinne zutun. Es mag hübsch anzusehen sein, aber es hat keine tiefere Bedeutung.

Graffiti

Name: Johannes Wirthmüller

Alter: 26 Jahre

Genre: Graffiti-Kunst mit besonderem Fokus auf Style-Writing

Wo findet man seine Kunst im Alltag? An der MD Papierfabrik Dachau, an Bahnunterführungen in und um Dachau und München und an Spielplätzen und Kindergärten im Dachauer Stadtgebiet

Welche Projekte stehen als nächstes an? Vom 20. bis 22. Juli findet zum zweiten Mal in Folge das "Outer Circle"-Festival auf dem Gelände der Dachauer Papierfabrik statt.

In welchen Galerien stellt Wirthmüller aus? Die nächste Ausstellung ist eine große Gruppenausstellung beim "Outer Circle"-Festival gemeinsam mit 20 anderen Künstlern. jala

In diesen Momenten ist seine Arbeit nichts weiter als ein Handwerk, mit dem er seine Rechnungen bezahlen kann. Dennoch erscheinen ihm diese Aufträge manchmal sinnlos. Es ist die freie Kunst, für die Wirthmüller lebt, für die er kämpft. In reizt das sogenannte Style-Writing, die Bedeutung der Schrift. Wirthmüller glaubt an die Macht von Worten. Doch davon leben will er nicht müssen. "Ich will gar nicht abhängig sein von meiner Kunst, sonst hört sie auf, frei zu sein", sagt er. Und seine Freiheit, sie ist sein höchstes Gut.

Neben der regelmäßigen Vereinsarbeit ist, wie schon im vergangenen Jahr, vom 20. bis 22. Juli ein Graffiti-Festival geplant. Auf dem Gelände der alten Papierfabrik soll es stattfinden. Kooperieren will "Outer Circle" in diesem Jahr mit den Veranstaltern des "Riding Higher"-Benefizfestivals, dem Verein "Move together". Neben zahlreichen Workshops und Ausstellungen soll neben der Kunst der Fokus in diesem Jahr auf der Musik liegen. Wichtig ist Wirthmüller aber vor allem, dass es keine kommerzielle Veranstaltung wird. "Die Idee des Vereins ist: Du gibst etwas und erwartest dafür nichts zurück", sagt er. Der gesamte Gewinn soll deshalb direkt in den Verein fließen - und damit in die Kunst.

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