Sanitätsdienst an der Mittelschule Karlsfeld:Mit Herz und Verband

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Ein Team für alle Fälle: Sascha Eichelmann ist bei seinen Schulsanitätern Marco Russo und Isabella Anthofer in den besten Händen. (Foto: Toni Heigl)

Wenn der Piepser ertönt, wissen die Karlsfelder Schulsanitäter, dass ein Mitschüler Hilfe braucht. Sie schnappen sich ihren Notfall-Rucksack und rennen los. Jeden Tag haben zwei Schüler Bereitschaft, ein dritter steht als Ersatz bereit. Obersani Marco teilt sie ein

Von Gregor Schiegl, Karlsfeld

Helden haben es nicht leicht, vor allem nicht, wenn sie noch zur Schule gehen. Manchmal witzeln die anderen auch: "Da kommt er ja, unser Obersani." Aber wenn wirklich was passiert, wenn das Blut in Strömen fließt, weil sich einer beim Sport verletzt hat, oder der Kreislauf bei Hitze kollabiert, dann sind sie heilfroh, dass Marco da ist und weiß, was zu tun ist. Der 18-Jährige ist einer von zwölf Sanitätern an der Mittelschule Karlsfeld. Er hat den großen Erste-Hilfe-Kurs gemacht wie die anderen Schulsanis. Marco arbeitet aber auch noch ehrenamtlich als Rettungssanitäter beim Roten Kreuz. "Von den Symptomen könnte ich auch Schlaganfall oder Herzinfarkt diagnostizieren."

Im Sekretariat hängt der Dienstplan. Meistens erstellt ihn Marco, der "Obersani". Jeden Tag haben zwei Schüler Bereitschaft, ein Dritter steht als Ersatz bereit. Einsatzgebiet ist nicht nur die Mittelschule, sondern auch die Grundschule nebenan. Dort hängen Plakate mit den Fotos der jungen Sanitäter, damit die Kinder Bescheid wissen, wer im Notfall kommt und hilft. In den ersten acht Monaten des Schuljahres hatten die Schulsanis bereits 134 Einsätze. Alle sind minutiös in Protokollbögen dokumentiert, wie sie auch professionelle Rettungskräfte verwenden.

Adrenalin pur

"Wenn einer zusammenbricht, habe ich mein Schema, das ich abarbeite", sagt Marco. "Es ist Adrenalin pur. Aber man wächst ja auch mit den Aufgaben." In ernsten Fällen rufen die Sanitäter auch den Rettungswagen zu Hilfe und geben den Einsatzkräften nach dem Eintreffen ihre ausgefüllten Formulare. Dann wissen sie schon mal, wen sie da behandeln und was die Ersthelfer bereits getan haben.

"Transparenz ist sehr wichtig", sagt Sascha Eichelmann. Im Ernstfall muss es schnell gehen, da bleibt keine Zeit für lange Erklärungen. Der junge Lehrer hat den Sanitätsdienst binnen eines Jahres zu der professionellen Einsatzgruppe geformt, die sie jetzt ist: gut ausgebildet und gut ausgerüstet. Die Schule hat sich das einiges kosten lassen. Jeder Sani hat einen Rucksack mit allen nötigen Gerätschaften, mit Verbänden, Pflastern, Stethoskop und Atemmaske. Im Einsatz tragen die Schulsanitäter rote Warnwesten und haben eigene Ausweise. Inzwischen hat auch jeder einen Piepser am Gürtel, der vom Sekretariat aus angefunkt werden kann.

"Ich will anderen helfen"

Bei Verletzungen ist Isabella eine der geschicktesten Sanitäter. Keiner an der Schule kann Verbände so sauber und schön anlegen wie sie. Isabella ist erst 13 und eine der Jüngsten im Team. "Ich will anderen helfen", erklärt sie ihr Engagement. An der Schule habe sie Freunde, aber auch schon ein paar Feinde. Denen würde sie ganz genauso helfen. Denn wer Hilfe braucht, den lässt man nicht im Stich. "Einzelkämpfer haben bei uns nichts verloren", sagt Eichelmann. "Wir müssen uns aufeinander verlassen können." Auf Isabella ist Verlass, das hat sie schon mehrfach bewiesen.

Bei einem ihrer ersten Einsätze war sie ganz allein, Isabella musste den Rettungswagen holen. "Ich hatte schon etwas Angst", gibt sie zu. "Ich wollte nichts falsch machen." Es war Winter, in der Aufregung lief sie ohne Jacke und ohne Schuhe auf die Straße. Danach musste sie selbst erst mal in warme Sachen gepackt werden. Sascha Eichelmann hat den aufopferungsvollen Einsatz zum Anlass genommen, den jungen Sanitätern zu erklären, dass sie nie die Eigensicherung vergessen dürfen. Dass auch der Notarzt sich erst die Schuhe anzieht, bevor er losstürmt, um Leben zu retten. "Die eigene Sicherheit geht vor."

Große Verantwortung auf kleinen Schultern

Die Schüler tragen eine große Verantwortung auf ihren kleinen Schultern, das weiß Eichelmann. Er passt auf seine Sanitäter auf, er redet mit ihnen über ihre Einsätze. Es gab schon einige Fälle, die die Jugendlichen beängstigen und belasten können: der Junge von der Grundschule, der sich das Bein so übel aufgerissen hat, dass darunter die Muskelstränge zum Vorschein kamen; die Schülerin, die nach einer Überdosis Cannabis bewusstlos zusammenbrach; das Mädchen, das einen epileptischen Anfall hatte und alle dachten, jetzt müsste sie sterben.

"Wenn ich das Gefühl habe, dass das notwendig ist, habe ich auch kein Problem, mit den Schülern mal eine Stunde wegzugehen und eine Cola zu trinken", sagt Eichelmann. Er weiß, was er den Schülern zumutet. "Aber sie wachsen daran und sie sind stolz darauf." Und er ist es am allermeisten. "Was die leisten, ist unglaublich."

Wenn Marco schon zum zweiten Mal in einer Stunde aus dem Unterricht zum Einsatz stürmt, sind die Lehrer schon manchmal genervt. Andererseits können sie froh sein, dass es die Schulsanis gibt. "Das ist eine enorme Entlastung für die Kollegen", sagt Eichelmann. Wenn einem Schüler schlecht ist, kümmert sich der Sanitätsdienst um ihn. Damit er im Fall der Fälle auch schnell Rettungsdienst und Notarzt alarmieren kann, sind die diensthabenden Sanitäter die einzigen, die im Unterricht das Handy nicht abgeben müssen. Lernen müssen die Schulsanitäter aber genau so wie die anderen, und wenn sie wegen eines Einsatzes nicht mitbekommen haben, was im Unterricht durchgenommen wurde, gilt das auch nicht als Entschuldigung. In einer Selbstverpflichtungserklärung müssen sie unterschreiben, dass sie den Stoff selbständig nachholen.

"Wenn man sich Zeit nimmt, hat man sie auch"

Marco hat seine Rolle als Schulsani trotzdem nie bereut. "Früher hatte ich kein richtiges Hobby, ich war eher der Gamer." Aber irgendwann wurden ihm die Computerspiele zu langweilig. Er wollte was Richtiges machen, etwas Sinnvolles. Marco findet es schade, dass es so wenige Schüler gibt, die sich ehrenamtlich engagieren. Die Belastung durch die Schule lässt er als Ausrede nicht gelten. "Wenn man sich die Zeit nimmt, hat man sie auch." Er selbst schaffe das ja auch. Und es bringt ihm auch noch etwas für seine Zukunft. Der Einsatz als Sanitäter wird den Schülern extra bescheinigt, und Arbeitgeber honorieren Bewerber, die sich über das übliche Maß engagieren. Obersani: Diesen Titel muss man sich auch erst mal verdienen.

© SZ vom 14.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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