Rückkehr nach dem Grauen:"Bewahrte Betroffene"

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Die ersten beiden Pfarrer der Versöhnungskirche, Christian Reger und Hans-Ludwig Wagner, waren selbst Verfolgte der Nazis

Der erste Pfarrer der evangelischen Versöhnungskirche war selbst ein Dachau-Häftling, Nummer 26661, gewesen. Christian Reger, damals Pfarrer in Stieglitz, wurde wegen "staatsfeindlicher Äußerungen" verhaftet und im Juli 1941 in das Konzentrationslager Dachau verschleppt. Fast vier Jahre lang war er dem Terror der SS ausgeliefert - und musste nach Kriegsende mit den feindseligen oder auch teilnahmslosen Reaktionen der meisten Menschen in Dachau fertig werden. Die KZ-Gedenkstätte war zwei Jahre vorher, 1965, eröffnet worden.

"Am meisten Widerstand gegen die Arbeit an der Versöhnungskirche leisten alte Dachauer Einwohner und mit ihnen - uni sono - etwa der evang. Pfarrer von Dachau-Ost..." schrieb Reger im Mai 1967 in einem Brief an seinen früheren Mithäftling, Pfarrer Ernst Wilm. Kirchenrat Björn Mensing, der seit 2005 in Dachau ist, hat die Geschichte der Versöhnungskirche in ihren Anfängen in einem Aufsatz beschrieben. Ablehnung erfuhr die seelsorgerische Arbeit aber auch in der Kirche selbst: Vorübergehend wurde Reger von dem pensionierten Generalsekretär des evangelischen Jugendverbandes CVJM in Würzburg abgelöst. Dieser Mann, Oskar Zeiss mit Namen, hatte selbst so seine Probleme mit der Aufklärungsarbeit der Gedenkstätte. "Es sollte alles getan werden, dass die schrecklichen Photos aus dem Museum entfernt werden...Kein Volk der Welt stellt seine dunkelste Geschichte für andere aus..." Interessanterweise werden auch heute wieder solche Forderungen - wenn auch anders begründet - im Gedenkstättenumfeld laut. Ernst Wilm, 1948 zum Präses der Evangelischen Kirche von Westfalen gewählt, gab darauf die Antwort: "Aber das ist ja gerade die Haltung der Selbstrechtfertigung und Unbußfertigkeit, die wir in unserem Volk so reichlich vertreten finden und bei der es zu keiner Versöhnung, aber auch zu keiner Buße und Neuwerdung kommen kann."

Von August 1970 bis 1978 übernahm wieder Pfarrer Reger den Dienst an der Versöhnungskirche. Er bewohnte die Nebenräume des Kirchenbaus und besuchte die Stundengebete der Karmelitinnen im Kloster nebenan, wo er auch die für ihn zubereiteten Mahlzeiten einnahm. Pfarrer Reger setzte sich selbstkritisch mit der Rolle seiner Kirche im Nationalsozialismus auseinander. "Im Unterschied zu den Männern und Frauen des klaren politischen Widerstands gegen Hitler, wie sie die alte KPD und SPD aufzuweisen hatte - vom demokratischen Widerstand der Juden ganz zu schweigen - hat die Evangelische Kirche in Deutschland Hitler mit offenen Armen aufgenommen." Ein Zeitgenosse beschrieb Reger so: "Er ist mir haften geblieben als ein hochsensibler, tief verwundeter, von Bedrückungen geplagter, aber in seiner Lebendigkeit nicht zerstörter Mensch von großer Schlichtheit, innerer Kraft und sehr dünner Haut, dem leicht die Nerven rissen..." Kaum verwunderlich angesichts der Dachauer, die bis in die 1990er Jahre jede Verbindung ihrer Stadt zum KZ leugneten.

Sein Nachfolger Hans-Ludwig Wagner kam im März 1981 nach Dachau. Auch er war von den Nazis verfolgt gewesen, wurde von seiner Kirche nach dem Examen wegen seiner jüdischen Abstammung nicht in den Dienst übernommen und flüchtete 1938 nach Kanada. "Ich fand es auch ein bisschen, ja, wie soll ich sagen, einen Witz der Weltgeschichte, dass ich damals Dachau hab' entrinnen können, und auf diese Weise wieder dahinkam." Wagner, der sich selbst als "bewahrter Betroffener" beschrieb, baute die Erinnerungsarbeit der Versöhnungskirche aus, besonders kümmerte er sich um vergessene NS-Verfolgte wie Sinti und Roma, Kommunisten und Homosexuelle in Zusammenarbeit mit den Freiwilligen der Aktion Sühnezeichen, die in den 1980er Jahren weitgehend das Programm an der Versöhnungskirche gestalteten.

Barbara Distel, Leiterin der KZ-Gedenkstätte von 1975 bis 2008, schätzte Wagner sehr: "Ich bin in den Jahrzehnten, die ich beruflich hier tätig bin, niemals einem ebenso offenen Menschen begegnet, der jedem Gegenüber gleichermaßen ungeschützt und unvoreingenommen entgegen trat." Doch Wagner vertrat seine Überzeugungen und scheute keinen Konflikt - davon gab es in jenen Jahren genug, als Gedenkstätte und Versöhnungskirche den Dachauern als eine Negativeinrichtung erschien. Reger und Wagner bereiteten den Weg zu der gesellschaftlichen und politischen Anerkennung der Versöhnungskirche. Mensing sieht sich in der Tradition seiner Vorgänger und erklärt: "Als Zeichen der Hoffnung für die Zukunft sollen von der Versöhnungskirche auch weiter Impulse ausgehen, auf die Würde des Menschen zu achten und sich für seine unveräußerlichen Grundrechte einzusetzen, wo immer diese bedroht sind."

© SZ vom 18.04.2017 / hz - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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