Regierungsbildung:Durch die SPD geht ein Riss

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Die Jungsozialisten lehnen weitere Gespräche mit CDU/CSU ab, weil sich die Sozialdemokraten nicht verbiegen dürften. Ältere Genossen plädieren dagegen für eine Neuauflage der großen Koalition

Von Viktoria Großmann und Andreas Ostermeier, Dachau/Fürstenfeldbruck

Keine neue große Koalition, das ist die Haltung der Jungsozialisten im Bund und auch in Dachau. Sören Schneider, Stadtrat und stellvertretender Kreisvorsitzender der Jusos, möchte gerne eine Minderheitsregierung in Berlin sehen. Die SPD dürfe sich nicht weiter verbiegen. Sie habe in den Sondierungsgesprächen die Bürgerversicherung nicht durchgebracht und auch nicht das Anliegen der Sozialdemokraten, die sogenannte sachgrundlose Befristung von Arbeitsverträgen abzuschaffen. Also die Befristung von Verträgen, ohne dass dafür ein zwingender Grund, etwa Vertretung oder Projektdauer vorliegen. "Die Schnittmengen sind nicht groß genug", sagt Schneider. Die SPD habe in den vergangenen Jahren schon zu viele ihrer Positionen verwässert. Klare Bekenntnisse, eindeutige Haltungen, gerade danach würden doch Politiker derzeit immer gefragt, befindet Schneider. Bei den Themen Mindestlohn und Mietpreisbremse habe die SPD nicht genug erreicht, sagt der 31-jährige Stadtrat. "Wir haben viel zu große Kompromisse gemacht." Schneider fordert den Mut, einen neuen Weg zu gehen - den der Minderheitsregierung.

Schrodi wird für die Aufnahme der Koalitionsgespräche stimmen

"Es ist das Vorrecht der Jugend, zu träumen", kommentiert der Landtagsabgeordnete Martin Güll. Der 64-jährige bildungspolitische Sprecher der Landtagsfraktion befürwortet eine weitere große Koalition. Vielleicht ist es das Vorrecht des Alters, pragmatisch und kompromissbereit zu sein. Man möchte gern die Diskussionen im Hause Güll hören. Tochter Anja Güll war bis vor Kurzem Kreisrätin und Delegierte für den Bezirk Oberbayern und hätte am Samstag in Bonn über die Frage, ob die SPD Koalitionsgespräche mit der CDU und CSU aufnehmen soll, mitgestimmt. Allerdings zog die Dachauer Juso-Kreisvorsitzende kürzlich nach Würzburg. Der einzige einheimische Delegierte ist damit der neu gewählte Bundestagsabgeordnete für Dachau und Fürstenfeldbruck, Michael Schrodi.

SPD-Abgeordneter Michael Schrodi will wieder für den Bundestag kandidieren. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Schrodi wird für die Aufnahme der Koalitionsgespräche stimmen. Er hat, wie auch die Spitzenpolitiker seiner Partei, seine Haltung inzwischen radikal geändert. In den ersten Reaktionen auf das Ergebnis der Bundestagswahl Ende September sprach er von einer Existenzkrise der SPD und kritisierte das "Rumgeeiere" in der großen Koalition. Wie dem Parteivorsitzenden Martin Schulz erschien auch ihm der Gang in die Opposition als richtige Konsequenz aus dem Stimmenverlust bei der Wahl. Durch das Scheitern der Verhandlungen zwischen Union, Grünen und FDP habe sich die Lage jedoch verändert, sagt Schrodi. Nun müsse die SPD ausloten, welche ihrer Anliegen sie umsetzen könne und dürfe "nicht auf halbem Weg stehen bleiben". Martin Güll sagt pragmatisch: "Es ist besser, vier Jahre lang wenigstens einige SPD-Positionen durchzusetzen als gar keine."

Die SPD habe sich schlecht verkauft

Eine Minderheitsregierung hält Güll für gefährlich: "Wir würden kein einziges SPD-Thema durchsetzen." Im Gegenteil würde womöglich mit Unterstützung der AfD eine reine Mitte-Rechts-Politik gemacht. Davor graut es Güll mindestens so sehr wie vor Neuwahlen, die er als wahrscheinlich ansieht, wenn sich CDU/CSU und SPD nicht einigen können. "Das wäre fatal." Die SPD würde dabei "am stärksten unter die Räder kommen", befürchtet Güll. Einigen können sich Jung und Alt darauf, dass die Genossen ein Kommunikationsproblem haben. "Wir haben uns schlecht verkauft", räumt Schneider ein und gehört wohl auch deshalb zu jenem Parteiflügel, der erst einmal in der Opposition alle wieder auf echte sozialdemokratische Positionen einschwören will. Das Sondierungsergebnis sei "so schlecht nicht", befindet hingegen Güll. Die Delegiertenversammlung solle schließlich der CDU/CSU "keinen Freibrief" ausstellen. "Man sollte erst einmal verhandeln". Das Kommunikationsproblem der SPD könne man lösen, sagt er zuversichtlich. Aus seiner Sicht könnten die Spitzenpolitiker damit gleich anfangen. Bei denen sehe er besorgniserregend wenig Elan, die Ergebnisse der Sondierungsgespräche der Basis näherzubringen.

Die Jusos im Nachbarlandkreis Fürstenfeldbruck, der zum Wahlkreis gehört, bezeichnen das Sondierungsergebnis als "Schlag ins Gesicht" all der jungen Menschen, die sich für ein gerechtes, nachhaltiges und solidarisches Deutschland in Europa einsetzten. Auch hier verstehen jüngere und ältere Sozialdemokraten unter Verantwortung recht verschiedene Dinge. Während sich die Jusos in erster Linie den eigenen sozialdemokratischen Zielen verpflichtet fühlen, sprechen die stellvertretende Brucker Kreisvorsitzende Svenja Bille und Landtagskandidat Peter Falk von der Verantwortung gegenüber der Bevölkerung. Falk ist der Ansicht, dass das Anstreben von Neuwahlen, ohne verhandelt zu haben, bei der Bevölkerung nicht auf Verständnis stoßen würde. Nachdem sich die "bürgerlichen Parteien" als nicht regierungsfähig gezeigt hätten, solle die SPD über eine Regierung verhandeln, sagt er. In Schuldzuweisungen an die vorhergehenden Sondierer sind sich die Genossen einig. "Die FDP wollte doch regieren", sagt Güll. Nur eben nicht mit den Grünen, wie sich gezeigt habe. Das Erstarken anderer Parteien allerdings, das habe die SPD wohl mitverursacht, räumt Güll ein.

© SZ vom 17.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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