Puch Open Air:Das Tanzen der Lämmer

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Beim Puch Open Air nutzen "Die Goldenen Zitronen" eine Panne, um fast vergessene Punk-Tugenden zu beschwören: Aufmüpfigkeit und Krawall!

Von Manuel Kronenberg, Markt Indersdorf

Es ist so ein Ort, an dem nichts passiert, wo weit und breit niemand anzutreffen ist. Ein Ort mitten im Nirgendwo, an dem man sein Handy auf der Suche nach Empfang vergeblich in alle Himmelsrichtungen streckt. Doch einmal im Jahr ist hier mächtig was los. Wenn das Puch Open Air stattfindet, das vielleicht wichtigste Independent-Festival Oberbayerns, verwandelt sich der Biobauernhof von Hubert Lehmair zu einer großen Bühne für Subkultur. Es ist sicher gar nicht so einfach, an so einem Ort ein eintägiges Festival quasi aus dem Nichts aus dem Acker zu stampfen. Aber die Veranstalter gehen die Sache gelassen an und legen Wert auf eine professionelle Unprofessionalität. Das ist charmant, wird später aber noch zu einigen Ärgernissen führen.

Es ist Samstagnachmittag, die Sonne scheint, keine Wolke steht am Himmel. Perfektes Sommerwetter für ein Open Air. Die Besucher sitzen auf ihren mitgebrachten Decken, erfrischen sich mit kühlen Getränken. Die meisten Leute sind zwischen dreißig und vierzig Jahren alt, außerdem viele Familien mit kleinen Kindern. Ein buntes Publikum. Eröffnet wird das Festival von Animal Crakers und Monostars. Jetzt herrscht hier reges Treiben, die Leute feiern, genießen die Musik. Hektik kommt nicht auf, das ist das Besondere am Puch-Open-Air: die entspannte, familiäre Atmosphäre. Direkt vor der Bühne ist es relativ leer. Noch sitzen die Leute lieber auf dem Hügel gegenüber der Bühne.

Mit Trümmer betritt eine Band aus Hamburg den Schauplatz. Sie schaffen es, am frühen Abend, die ersten Leute vor die Bühne zu holen. Sänger Paul Pötsch, ein schmächtiger junger Mann, trägt trotz des warmen Wetters eine Lederjacke. Auf den ersten Blick wirkt er fast brav, doch fangen Trümmer erst an zu spielen, dreht er so richtig auf, auch seine Bandkollegen sind voller Energie. Ihr punkiger Sound spielt mit Gefühlen, vermischt Wut, nostalgische Sehnsucht und Melancholie. Der beste Teil des Auftritts ist ihr Song "Wo ist die Euphorie?", ein eher langsames Stück, bei dem dennoch alle mittanzen. Ein erster Höhepunkt an diesem Abend, der noch viele weitere bringen wird.

Weniger gute Momente gehören zu so einer Veranstaltung leider auch dazu. Aloa Input, die nach Trümmer auf der Bühne stehen, haben Schwierigkeiten, in Fahrt zu kommen. Schon der erste Song wird begleitet von Rückkopplungen, auch der Gesang ist schief. Die drei Jungs von Aloa Input sind Tüftler, sie machen sehr intelligente Musik. Bei diesem Auftritt fällt es ihnen allerdings schwer, diese Musik in ihrer vollen Qualität zu präsentieren. Am meisten stört, dass der zweistimmige Gesang von Marcus Grassl und Florian Kreier nicht harmoniert. Das Publikum quittiert das mit Unaufmerksamkeit, es wird viel geredet und wenig zugehört. Schade, denn Aloa Input kriegen ab der zweiten Hälfte ihres Auftritts doch noch die Kurve, spätestens ihr Song "Another Green World" sitzt.

Nach einer Umbaupause betritt Polly Lapkovskaja, ganz in rosa gekleidet, mit ihrer Band Pollyester die Bühne. Wer Pollyester bereits live erlebt hat, weiß, dass bei ihren Konzerten getanzt wird. Immer. Der Disko-Punk kommt auch beim Pucher Publikum sehr gut an. Die Sonne ist inzwischen untergegangen, der Platz vor der Bühne ist brechend voll. Selbst die, die immer noch auf dem Hügel sitzen, fangen an, im Sitzen mitzuwippen

Der absolute Höhepunkt des Abends ist das Konzert der Goldenen Zitronen. Die Musiker der Hamburger Band treten in völlig verrückten Kostümen auf: Turban, ärmelloses Hemd, bunte Umhänge. Sänger Schorsch Kamerun trägt einen Samtmantel mit einem Ausschnitt, der bis zum Bauchnabel reicht. Genauso schräg wie ihre Kostüme ist ihr Konzert. Die Musiker springen durch die Gegend, albern herum, nehmen sich selbst auf die Schippe. "Ich habe gerade ein tolles Gesicht von einem jungen Mann im Publikum gesehen", sagt Kamerun auf der Bühne. "Er hat mich so angeguckt und mit dem Kopf geschüttelt, als wollte er sagen: Die Band gibt es seit 30 Jahren und es ist einfach Schrott!"

Ein grandioser Schrott! Mit ihren gesellschaftskritischen Texten und ihrem punkigen Sound bringen die Goldenen Zitronen das Publikum zum Toben, die vorderen Reihen fangen an, Pogo zu tanzen. Doch dann, mitten im Auftritt, fällt der Strom aus, alles wird dunkel. Die Band steht ratlos da, verlässt schließlich die Bühne. Die Zuschauer harren brav aus. Zehn Minuten dauert es, bis die Technik wieder läuft.

Die Hamburger kommen zurück, Kamerun sagt: "Jetzt müssen wir leider von vorne anfangen." Ted Gaier spielt den Aufgebrachten: "Ich bin enttäuscht! Was ist das für ein Publikum? Ihr habt das geduldet wie eine Herde Schafe. Früher hätte man hier alles kaputt gemacht." Kamerun steigt spontan darauf ein: "Wir ziehen jetzt aus Enttäuschung alle unsere Schuhe aus." Gesagt, getan. Der Sänger schmeißt seine Treter ins Publikum. "Könnt ihr für einen Euro auf Ebay versteigern."

Nach diesem Schauspiel ist die ausgelassene Stimmung sofort wieder da, der Blackout vergessen. Bene und Jakob von der Münchner Band Schlachthofbronx runden das vielseitige Programm ab. Ihre elektronische Musik mit ihren wuchtig wummernden Bässen bildet den perfekten Abschluss dieser sauguten Veranstaltung.

© SZ vom 20.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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