Prozess am Amtsgericht Dachau:900 Schlaftabletten gegen Epilepsie

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Eine 31-jährige Frau bestellt im Ausland große Mengen Medikamente. Das Gericht verurteilt sie zu einer Bewährungsstrafe

Von Benjamin Emonts, Dachau

Zolpidem ist ein schnell wirkendes Schlafmittel. Schon 15 bis 20 Minuten nach der Einnahme schleichen sich beim Konsumenten ein beruhigendes Gefühl und Müdigkeit ein, die in einen tiefen und längeren Schlaf führen. Doch wie die meisten Medikamente birgt auch Zolpidem seine Risiken: Weil es psychisch und physisch rasch abhängig machen kann, soll es nur kurzzeitig und nur bei schwerwiegenden Schlafstörungen eingesetzt werden. Es soll keinesfalls als dämpfendes Rauschmittel missbraucht werden. Auch deshalb fällt der Wirkstoff unter das Betäubungsmittelgesetz und ist als solches verschreibungspflichtig.

Einer 31-jährigen Münchnerin wurde das nun zum Verhängnis. Aus ihrer slowakischen Heimat ließ sie sich im Sommer vergangenen Jahres 900 Tabletten des Schlafmittels nach Röhrmoos schicken, wo sie damals noch lebte. Das Paket wurde vom Zoll am Frankfurter Flughafen abgefangen. Nun musste sich die Frau vor dem Dachauer Schöffengericht wegen Anstiftung zur Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge verantworten. Das Strafgesetz sieht dafür eine Freiheitsstrafe zwischen zwei und 15 Jahren vor.

Doch die Münchnerin ist offenbar krank. Mehrere ärztliche Atteste, unter anderem vom Münchner Max-Planck-Institut für Psychiatrie, bestätigen, dass sie seit Anfang 2016 unter Epilepsie leidet. Ihre Krankheit wird mit einem dafür gängigen Medikament namens Lamotrigin behandelt. Das Schlafmittel Zolpidem bekam sie die Frau zusätzlich gegen ihre Schlafstörungen verschrieben. Dem Mittel soll eine beruhigende, angstvermindernde und muskelentspannende Wirkung haben. Der Angeklagten, so erzählt sie, habe es ein Gefühl der Sicherheit gegeben, wenn es ihr körperlich wieder schlechter gegangen sei. "Ich brauche diese Pillen", sagt sie.

Vieles deutet darauf hin, dass die 31-Jährige bereits abhängig von dem Medikament sein könnte. Pro Tag nimmt sie nach eigenen Angaben bis zu vier Tabletten à zehn Milligramm, das entspricht der vierfachen empfohlenen Tagesration für einen Erwachsenen. Durch die hohe Dosierung der Tabletten hat ihr Körper womöglich schon eine gewisse Toleranz für das Medikament entwickelt.

In der Slowakei war es für sie offenbar noch etwas leichter, an die Tabletten zu kommen. "Die Ärzte haben je nach Laune verschrieben." Als die junge Mutter im Frühjahr 2016 nach Deutschland kam, geriet sie dann in einen Engpass. Anfangs habe sie hier weder einen Arzt noch eine Krankenversicherung gehabt. In einer Münchner Bereitschaftspraxis habe sie stets lediglich zehn Tabletten verschrieben bekommen. Sie haben dann über Facebook einen Mann, angeblich einen Arzt kennengelernt, der ihr die Tabletten aus der Slowakei zuschickte. Allerdings will die Münchnerin nur 200 bis 300 bei dem Händler, der sich hinter einer Scheinfirma verbarg, bestellt haben. Und sie beteuert: "Ich wusste nicht, dass es unerlaubt ist, die Tabletten nach Deutschland einzuführen." Ihr Verteidiger fordert dementsprechend einen Freispruch.

"Eine Schutzbehauptung", glauben Amtsrichter Christian Calame und die Schöffen. Sie sind der Überzeugung, dass der Angeklagten bewusst war, dass es sich bei dem Medikament um ein Betäubungsmittel handelt, das nur per Rezept und in kleinen Dosen erhältlich ist. Ihre Einlassung, die Tabletten über einen Arzt bekommen zu haben, halten sie für "unglaubwürdig". Die 9000 Milligramm des Wirkstoffs Zolpidem übersteigen die nicht geringe Menge um das 1,8-Fache. Sowohl der Vertreter der Staatsanwaltschaft als auch die Richter erkannten jedoch einen minder schweren Fall, für den eine Freiheitsstrafe zwischen drei Monaten und fünf Jahren vorgesehen ist. Die gebürtige Slowakin ist weder in Deutschland noch in ihrem Heimatland jemals zuvor straffällig geworden. Sie hat studiert, ist verheiratet und hat ein vierjähriges Kind; Juristen sprechen in solchen Fällen von einer günstigen Sozialprognose.

Zudem erkannte das Gericht, dass die Frau die Tabletten bestellte, um gegen ihre Krankheit anzukämpfen und nicht etwa mit harten Drogen handelte. Richter Calame und die Schöffen verurteilten sie zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten zur Bewährung und 90 Sozialstunden. "Ihre Dosierung wird oder hat schon zu einer Abhängigkeit geführt", mahnt Amtsrichter Christian Calame.

© SZ vom 17.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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