Premiere in Bergkirchen:Die Tücken des Tangos

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Sie legen allmählich ihre Maskeraden ab: Lily Harrison (Yvonne Brosch) und Tanzlehrer Mike Minetti (Ansgar Wilk) kommen sich näher. (Foto: Jørgensen)

Amüsant und nachdenklich: Die Komödie "Sechs Tanzstunden in sechs Wochen" im Hoftheater

Von Dorothea Friedrich, Bergkirchen

Tanzen kann lästige Pflicht oder vergnügte Kür sein. Das lässt sich trefflich beim Ball der Bälle, dem Wiener Opernball, beobachten. Dort tummelte sich am vergangenen Donnerstag jede Menge B- und C-Prominenz, während das Jungdamen- und Jungherrenkomitee gekonnt mit einem wahrhaft flotten Auftritt den Ball eröffnete. Was nicht weiter wundert, denn eine Voraussetzung, um in diese illustre Gruppe von Debütanten aufgenommen zu werden, sind "sehr gute Linkswalzerkenntnisse", wie die Wiener Staatsoper schreibt. Von der wohlgefüllten (elterlichen) Brieftasche für das teure Vergnügen mal ganz abgesehen.

Was das alles mit der jüngsten Produktion des Hoftheaters Bergkirchen zu tun hat? Eine ganze Menge, denn am Freitagabend war Premiere von "Sechs Tanzstunden in sechs Wochen", einer wunderbar amüsant-nachdenklichen Komödie des Amerikaners Richard Alfieri. In dem Zwei-Personenstück geht es natürlich um den (Paar-)Tanz, um die richtigen Schritte bei Foxtrott, Cha Cha Cha und Walzer, aber auch im wirklichen Leben. Und es geht darum, was Musik und Tanzen mit uns anrichten, in uns auslösen. Diese für beide überraschenden Erfahrungen machen der nicht mehr ganz junge schwule Tanzlehrer Mike mit seiner nur auf den ersten Blick unverwüstlichen Gute-Laune-Attitude (umwerfend: Ansgar Wilk) und seine Auftraggeberin, die wohlsituierte, elegante Mrs. Lily Harrison (eine Rolle, wie geschrieben für die bewundernswerte Grande Dame des Theaters, Yvonne Brosch). Lily lebt in einer typischen und vermutlich wahnsinnig teuren Rentnerresidenz in St. Petersburg Florida, Blick über den Golf von Mexiko inklusive. Unter ihr wohnt die unsichtbare Ida. Das aufregendste Erlebnis im Leben der beiden Frauen: eine geplante Fahrt nach Disneyland. So weit, so deprimierend eintönig. Doch dann bricht Mike in Lilys wohlgeordnetes Seniorinnenleben ein. Ein Temperamentsbolzen und sprudelnder Quell des Optimismus im knallblauen Kunstseidenhemd und mit schwarzen Lackschühchen an den Füßen. Eine aufdringliche, unverschämte ("Sie verknöcherte alte Schachtel"), dann wieder liebenswert-kindlich charmante ältliche Tunte. Ein Schock für Lily. Aber auch eine Art Lebensretter, dem sie ganz schnell Paroli bietet. Was wiederum längst verschüttet geglaubte Fähigkeiten in ihr weckt.

Und Mike? Der vertraut auf die Macht des Tanzes, führt Lily wortgewandt und in einer eigenwilligen Interpretation der historischen Gegebenheiten ("Der Tango stammt aus Argentinien, wo ein Gaucho in einer Spelunke nach einem langen Tag auf dem Pferd ein Flittchen über den Boden schleifte, bevor er sie endgültig flachlegte"), aber immer parkettsicher durch die Tücken von Swing, Tango und Modern Dance. Blöd nur, dass ausgerechnet in den erotisch knisternden Momenten das Telefon klingelt. Ida will wissen, was sich in der Oberwohnung abspielt. Das Gute daran: Lily und Mike entdecken, dass Tanzen ein Schlüssel zur Seele sein kann. Sie beginnen sich zu vertrauen, legen ihre Maskeraden ab. Die Konsequenz: Je ehrlicher sie miteinander umgehen, umso harmonischer und eindrucksvoll-ausdrucksvoller tanzt das Altdamen- und Herrenkomitee über die nur vier mal vier Meter große Bühne. Über die huscht auch immer mal wieder Regisseur Herbert Müller als stummer, aber tänzerisch durchaus gewiefter stummer Diener. Diese kleinen Slapstick-Einlagen sind im mit Sonnenauf- und Untergängen anspielungsgeladen spielenden Bühnenbild von Ulrike Beckers sozusagen das Tüpfelchen auf dem i einer Beziehungskiste der ganz eigenen Art. Sich gegenseitig Mut machen, Neues wagen, aber auch mit den nicht nur im Alter auftretenden Malaisen kreativ umgehen ("Wenn Sie nachtblind sind, schließen sie eben Freundschaften bei Tag"), das ist die ebenso witzig wie sinnig verpackte Botschaft dieser Komödie. Sie hebt sich - nicht zuletzt dank der beiden hervorragenden Schauspieler - richtig wohltuend vom oft seichten Plot anderer Vertreter dieses Genres ab.

Stellt sich nur noch die Frage, was eindrucksvoller in dieser Inszenierung ist: die gekonnten Tanznummern der zwei Protagonisten oder ihre schrittweise Annäherung an die glücklichen und unglücklichen Momente des eigenen Lebens in Gesprächen, deren Tonfall zunehmend lockerer wird ("Ein netter Mann in meinem Alter ist entweder noch verheiratet oder schon tot"). Beides schließt ein Happy End der anderen Art mit ein und lässt "Sechs Tanzstunden in sechs Wochen" vielleicht zu einem Renner der Jubiläumssaison zum zehnjährigen Bestehen des Hoftheaters werden.

© SZ vom 08.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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