Premiere im ausverkauften Haus:Mauern einreißen

Lesezeit: 3 min

Bunte Vögel reißen im Hoftheater Bergkirchen die Weltherrschaft an sich. Das Wolkenkuckucksheim in der Inszenierung von Herbert Müller ist auch an den Samstagen, 28. Oktober, und 11. November, zu sehen, sowie Freitag, 24. November, und 1. Dezember; zusätzlich Donnerstag, 7. Dezember. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Das Hoftheater Bergkirchen liefert mit seiner ersten Premiere der neuen Spielzeit einen scharfsinnigen Kommentar zu bewegten politischen Zeiten. "Wolkenkuckucksheim" begeistert und stimmt nachdenklich

Von Dorothea Friedrich, Bergkirchen

Wer im "Wolkenkuckucksheim" zu Hause ist, lebt dem Duden zufolge in einer "Fantasiewelt von völliger Realitätsferne, in die sich jemand eingesponnen hat". Ganz und gar in der Realität lebte allerdings der Erfinder dieser Behausung, der antike griechische Dichter Aristophanes. Seine politische Komödie "Die Vögel" ist eine noch heute gültige Parabel auf Machtmissbrauch und Unterwerfung. Und damit gewissermaßen eine Steilvorlage für Theatermacher in Zeiten von Populismus und Fremdenfeindlichkeit. Herbert Müller hat die Aristophanes-Komödie bearbeitet, aktualisiert und sie den Gegebenheiten des Hoftheaters Bergkirchen angepasst. Entstanden ist "Wolkenkuckuckheim", ein Stück, in dem befreites Lachen und Beklemmung dicht beieinander liegen. Am Samstag war Premiere. Sie löste sowohl Begeisterung als auch Nachdenklichkeit im ausverkauften Hoftheater aus.

Und so geht die Geschichte von der subversiv-perversen Machtergreifung der Vögel in der Müllerschen Version: Die beiden Athener Ratefreund (Herbert Müller) und Hoffegut (Ansgar Wilk) sind auf der Flucht und landen zwischen Himmel und Erde im idyllischen Vogelreich. Dort herrscht die zwischen Naivität und Dominanz changierende Königin Wiedehopf (Janet Bens) mehr mit Zuckerbrot als mit der Peitsche. Die blöden Menschen jedoch haben aus ihren schlimmen Erfahrungen nichts gelernt. Gerade erst vor dem sich abzeichnenden Terror geflüchtet, reden sie Majestät Wiedehopf ein, sie solle um ihr Zwischenreich eine hohe Mauer ziehen, die Verbindung zwischen Menschen und Göttern kappen, an Zöllen heftig verdienen, militärisch aufrüsten - das ganze bekannte Programm des Schreckens eben. Dabei hatten sie Athen verlassen, weil es dort "nur noch ums Geld ging" und die Athener "als mächtigsten Mann einen Trumpen wählten". Wiedehopf fällt auf die Verführer herein - und kommt im letzten Moment wieder zur Besinnung. Das verdankt sie dem als Mediator auftretenden Feuerbringer Prometheus (Ansgar Wilk). Nun heißt es nicht mehr "State of Birds first", sondern "International responsibility first", Gleichberechtigung inklusive.

Klingt zu schön, um wahr zu sein? So ein bisschen nach Martin Luther King's "I have a dream"? Stimmt, entspricht aber der aktuellen Situation aller, die nicht länger zusehen wollen, wie ein paar Möchtegern-Diktatoren, und Xenophobie-Phrasendrescher die Welt in den Abgrund von Nationalismus und Egoismus stürzen - siehe die Rede des ehemaligen Präsidenten Bush vor ein paar Tagen. Müller zerpflückt scharf und scharfzüngig die hohlen Parolen und (Wahl-)Versprechen der Politiker-Kaste, überzeichnet seine Charaktere ganz im Sinne der klassischen Definition einer Komödie und gibt sie so der Lächerlichkeit preis. Trotz etlicher zeitgenössischer Zitate, wie beispielsweise aus Willy Brandts Regierungserklärung von 1968: "Wir wollen mehr Demokratie wagen ... Wir sind keine Erwählten, wir sind Gewählte", hält sich Müller eng an das Original in der Übersetzung von Ludwig Seeger, respektive die Bearbeitung durch Johann Wolfgang von Goethe. Diese kontrastreiche Mixtur aus klassische Versmaß und moderner Sprache trägt viel zum ungebrochenen Spannungsbogen dieses Theaterabends bei. Den hält souverän - und gerne auf hohem Podest stehend - Janet Bens als unbedarfte, aber durchaus selbstbewusste Queen im Wolkenkuckucksheim.

Bens spielt sie mit Verve und Drive, begeisternder Leidenschaft und einer gehörigen Portion Frechheit. Die Athener Müller und Wilk sind zwei opportunistische alte Männer, die endlich auf der Sonnenseite des Lebens stehen wollen. Umwerfend komisch sind sie, wenn sie sich in die bei einer Staatsgründung fast unverzichtbare Entourage der künftigen Herrscherin verwandeln. Da werfen sie mit verbalen Schmankerln nur so um sich, wie etwa der berühmt-berüchtigten Stoibersche Transrapid-Rede oder allem, was einen Statistiker so auszeichnet. Total abgefahren wird es, wenn Wilk im Fellmantel, mit Cowboyhut, japanischem Sonnenschirmchen und Macho-Allüren den Prometheus gibt.

Umflattert werden sie von drei bunten Vögeln: Annalena Lipp spielt die Dienerin Papagei. Jessica Dauser und Mona Weiblen sind die "Chorvögel". Sie gurren und zwitschern, trällern und tirilieren, verspeisen genussvoll gefakte Mäuse und Würmer, bringen mit Kopfnicken und Flügelschlagen ihre Gefühle zum Ausdruck und mischen das ohnehin bunte Geschehen mit ihrer ausdrucksstarken Körpersprache und ihren fabelhaften Kostümen gehörig auf. Für die vogelwilden Kostüme und das Bühnenbild ist Ulrike Beckers zuständig. Sie hat sich in dieser Inszenierung selbst übertroffen. An die Wände und Decken des kleinen Theaters projiziert sie herrliche Bilder von mystischen Berglandschaften, fröhlichen Vogelwelten und bedrückenden Mauern. Max I. Milian hat eine passgenaue Bühnenmusik komponiert, die sensibel Worte und Gesten in Töne übersetzt - mit Anleihen bei "Freude, schöner Götterfunke" aus Beethovens Neunter.

"Die Menschen bauen zu viele Mauern und zu wenige Brücken" sagt die Vogelkönigin an dieser Stelle fast beiläufig. Dabei ist das die wichtigste Botschaft von "Wolkenkuckucksheim": Sind die inneren Mauern erst eingerissen, ist Verständigung auf allen Ebenen möglich. Aristophanes sah die Zukunft eher trübe. Bei ihm droht das Machtstreben über die Vernunft zu siegen. Aber das ist 2400 Jahre her.

© SZ vom 23.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: