Plätzchenbacken im Flüchtlingsheim:Begegnung beim Backen

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"Zu einer Schlange rollen, rund machen, etwas platt drücken - fertig": Das versteht trotz Sprachbarriere jeder beim gemeinsamen Plätzchenbacken in der Unterkunft am Himmelreichweg. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Wie Bewohner der Unterkunft am Himmelreichweg zusammen mit Helfern des Arbeitskreises Asyl Nüsse knacken und Plätzchen formen - und dabei Integration leben

Von Anca Miruna Dunga, Dachau

Was ist der Unterschied zwischen Vanillekipferl, Nusstalern und Spitzbuben? Die meisten Bewohner des Flüchtlingsheims aus dem Himmelreichweg kennen den Unterschied nicht. Noch nicht.

Samstagnachmittag, kurz nach 15 Uhr - die Sonne draußen strahlt um die Wette mit der sauberen Arbeitsfläche drinnen, die darauf wartet, mit Mehl bestäubt zu werden. Der Arbeitskreis Asyl Dachau hatte zum Plätzchenbacken eingeladen. Noch sind nur einige Kinder der ehrenamtlichen Helfer am Tisch im schlichten Aufenthaltsraum, während ihre Eltern an den Türen im Heim anklopfen und erneut die Einladung aussprechen. "Manchmal wollen die Flüchtlinge einfach ihre Ruhe, oder nach München fahren", sagt Peter Johannsen-Klug. Der 57-Jährige war früher Führungskraft im Bankwesen, heute unterrichtet er zweimal die Woche Deutsch und kümmert sich als Koordinator um die Belange der Flüchtlinge. Das Soziale mache ihm wesentlich mehr Spaß als das Karrierekräftemessen in seiner früheren Firma, sagt er.

Als erstes erscheint Naima aus Somalia, 26, lilafarbenes Kopftuch, langes Blumenkleid, Flipflops zu bunten Socken. Sie wäscht sich die Hände und legt sofort los. In der nächsten Stunde wird sie mehr als 150 Vanillekipferl formen, so als hätte sie in ihrem Leben nichts anderes getan. Zunächst aber weist Sabine Weiß sie in die hiesigen Bräuche ein. "Zu einer Schlange rollen, rund machen, etwas platt drücken - fertig." "Warum platt drücken?" - "Sind schneller fertig", weiß Jaqueline Schink. Sie und Weiß haben sechs Kilogramm Teig vorbereitet. Wer diese Mengen verarbeiten soll, ist am Anfang noch ungewiss.

Inzwischen kneten auch Tamina und Afifa mit, die sechs und acht Jahre alten Schwestern stammen aus Afghanistan, gehen seit September in die erste Klasse. Mit der deutschen Sprache klappt es schon ganz gut. Manchmal verstehen sie die Hausaufgaben nicht, erzählt der Vater. Er und seine Frau können selten helfen. Dann gibt es einen Hefteintrag von der Lehrerin. "Hausaufgaben nachholen" steht darin. Knapp 20 Integrationspaten engagieren sich ehrenamtlich in der Einrichtung am Himmelreichweg. Sie unterrichten Deutsch und helfen den 65 Bewohnern bei der Jobsuche, Arztbesuchen oder beim Formulareausfüllen. Der Arbeitskreis könnte weitere Helfer gut gebrauchen.

Um kurz nach 16 Uhr platzt der Aufenthaltsraum aus den Nähten. Es wird geknetet, gewalzt und ausgestochen, die ersten Bleche mit Plätzchen sind fertig. Ikram, 20, aus Pakistan und Sadullah, 40, aus Afghanistan formen Nusstaler, während Damne, 24, aus Syrien für sie Haselnüsse knackt, sie quer über den Tisch schmeißt und ihnen dabei "Für dich, mein Bruder", zuruft. Noch vor einem Jahr reisten sie auf überfüllten Booten und versteckten sich auf Lkw, jetzt verteilen sie Plätzchen auf Backpapier, während aus den Lautsprechern Weihnachtsevergreens trällern. Rike Sindbert sticht gemeinsam mit ihrem vierjährigen Sohn Schokoherzen aus und versucht herauszufinden, warum Ikram am Freitag nicht wie besprochen gekommen ist, um ein BAMF-Formular auszufüllen. Ikram versteht die Frage nicht, Sadullah übersetzt. Er habe den Termin vergessen, gibt Ikram etwas geknickt zu. Sindbert schaut ein wenig streng, dann lächelt sie. Die 35-jährige Musikpädagogin ist Integrationspatin für das Zimmer 15. Ein wenig unterschätzt habe sie die Arbeit, zwei Stunden pro Woche hätten es sein sollen, doch sie wird viel mehr gebraucht.

Sadullah musste in Kabul seine Apotheke aufgeben. Sindbert hat ihm dabei geholfen, einen Praktikumsplatz bei einem hiesigen Apotheker zu bekommen. Nachts verteilt er Zeitungen, tagsüber absolviert er sein Praktikum, dreimal die Woche lernt er abends Deutsch. Unterschiedliche Lebensläufe kommen an diesem Nachmittag zusammen. Und während man den 30 Menschen zuschaut, wie sie backen, lachen, sich um die Kinder kümmern, kommt unweigerlich der Gedanke: So muss wohl gelebte Integration aussehen.

© SZ vom 12.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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