Ortsentwicklung Erdweg:Wie man seine Heimat modernisiert

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In Erdwegs Ortsentwicklung sehen die Bürger noch großen Nachholbedarf, gleichzeitig wollen sie den dörflichen Charakter ihrer Gemeinde bewahren

Von Benjamin Emonts, Erdweg

Die 6000-Einwohner-Gemeinde Erdweg will in den kommenden Jahren durchstarten, nachdem sie in der Vergangenheit so manche Entwicklung verschlafen hat. Nun will sie ihre Sportplätze umsiedeln, ein Gewerbegebiet und bedarfsgerechten Wohnraum schaffen. Mitglieder des Gemeinderats, Vertreter örtlicher Gruppen und ein beauftragtes Planungsbüro haben dazu in mehreren Workshops ausgearbeitet, in welche Richtung sich die Gemeinde und insbesondere der Hauptort Erdweg entwickeln sollen. Die Ergebnisse wurden den Bürgern am Mittwochabend vorgestellt. Die Erdweger sollen Anregungen liefern und mitreden im Ortsentwicklungsprozess.

Wohnen

Die vorherrschende Gebäudeform in der Gemeinde sind Einfamilienhäuser, die auf vergleichsweise großen Grundstücken stehen. Mietwohnungen sind kaum verfügbar. In etlichen Gebäuden stehen Wohnungen leer. Grundstücke, auf die Baurecht besteht, werden zum Teil nicht bebaut oder für die nachkommende Generation aufgespart. Ungewöhnlich viele Gebäude bleiben zudem ungenutzt, Bauruinen und Grundstücke dümpeln seit Jahren vor sich hin und verschandeln das Ortsbild. "Das Thema ist brisant", sagt die Erdwegerin Brigitte Mayer. "Man muss eine Lösung finden mit den Grundstücksbesitzern, sonst vergammelt uns die ganze Ortschaft." Die Gemeinde ist sich des Problems bewusst. Der zweite Bürgermeister Christian Blatt (CSU) räumt ein: "Es ist kein gutes Bild, das die Gemeinde abgibt." Er betont, dass man schon mehrfach versucht habe, auf die Grundstücksbesitzer einzuwirken. "Aber unsere Handlungsbefugnis hält sich in Grenzen." Barrierefreie Wohnungen sind quasi nicht vorhanden in der Gemeinde, ebenso wenig eine dringend notwendige Einrichtung für Senioren. Die Baulandpreise sind - wie überall im Ballungsraum München - so hoch, dass es für normale Arbeiter ohne Grundeigentum aussichtslos ist, ein Haus zu bauen. Der Kleinberghofener Bürger Hans Lochner fordert, kein Bauland mehr für den freien Markt auszuweisen, sondern erst die Einheimischen zu möglichst günstigen Konditionen zu bedienen. "Sonst müssen unsere Jugendlichen wegziehen und unsere Dorfstruktur wird zerschlagen." Die Gemeinde hat sich das übergeordnete Ziel gesetzt, bedarfsgerechten Wohnraum zu schaffen.

Der Hauptplatz der Erdweger Fußballer grenzt direkt an die Wohnbebauung an. (Foto: Toni Heigl)

Mit ihrem neuen Baulandmodell geht die Gemeinde neue Wege, um an Grundstücke für Einheimische oder sozialen Wohnungsbau zu gelangen. Die Gemeinde behält künftig 40 Prozent der Flächen ein, die sie als neues Bauland ausweist. Sie zahlt für die Flächen den gutachterlich bestimmten Verkehrswert. Den Grundstücksbesitzern setzt die Kommune eine Frist von fünf Jahren, innerhalb der die Flächen bebaut werden müssen. Das Baulandmodell sieht Flächenneuausweisungen für sozial ausgerichtete Wohnbauprojekte vor; die Bauleitplanung soll den Bau von Mehrfamilienhäusern unterstützen. Durch Nachverdichtung sollen die Potenziale der besiedelten Bereiche besser ausgeschöpft werden. Die Gemeinde soll moderat wachsen, die zahlreichen Ortschaften ihren dörflichen Charakter behalten und nicht zusammenwachsen.

Handel und Versorgung

Bis auf einen Hofladen und eine Metzgerei in Kleinberghofen befinden sich alle Einkaufsmöglichkeiten im Hauptort Erdweg. Der Edeka am Ortseingang ist der einzige Supermarkt. Die Ansiedlung eines Einkaufsmarktes im Niedrigpreissegment scheiterte in der Vergangenheit an fehlenden Flächen, sodass zahlreiche Gemeindebürger auch nach Indersdorf oder Schwabhausen zum Einkaufen fahren. Die Versorgung der Bewohner aus den umliegenden Ortschaften, die nicht mobil sind, erfolgt maßgeblich über die Unterstützung durch Familie, Bekannte und Nachbarschaftshilfe oder über Verkaufswagen. Die Gemeinde gibt das Ziel aus, vorrangig den Handel im Hauptort Erdweg zu sichern. Da eine Ansiedlung von Geschäften in den anderen Ortsteilen als unrealistisch eingeschätzt wird, sollen andere Wege der Versorgung entwickelt oder intensiviert werden, beispielsweise durch Lieferservice und breitere Sortimente in den Verkaufswagen.

Zu einem Problem könnte bald die ärztliche Versorgung werden, weil davon ausgegangen wird, dass einer der beiden ortsansässigen Ärzte bald in Ruhestand gehen könnte. Der Gemeinde schwebt deshalb vor, ein Gesundheitshaus mit mehreren Ärzten in Erdweg anzusiedeln, das den Standort auch für junge Ärzte interessant macht. Für ältere Menschen soll eine Tagespflege angesiedelt werden. Bürgermeister Georg Osterauer (Freie Wähler) bekräftigt: "So wie den Kindergarten für die Kinder brauchen wir auch eine Einrichtung für die älteren Menschen."

Gewerbe

Gewerbe ist ein Dauerthema in der Gemeinde. Während benachbarte Kommunen wie Sulzemoos oder Markt Indersdorf längst ein großes zusammenhängendes Gewerbegebiet haben, kann Erdweg nichts dergleichen vorweisen. Unter der Ägide des Altbürgermeisters Michael Reindl, der bis 2014 mehr als drei Jahrzehnte im Amt war, sei die Entwicklung verschlafen worden, so beklagen Bürger. Der einzige große Arbeitgeber im Ort mit 240 Angestellten ist die japanische Firma U-Shin, die Zugangssysteme für Automobile herstellt. Freie Gewerbeflächen sind kaum vorhanden und wurden in den vergangenen Jahren auch nicht ausgewiesen.

Der einzige Supermarkt der Gemeinde und vereinzelt Gewerbe finden sich am Ortseingang. (Foto: Toni Heigl)

Franz Lesti, der stellvertretende Vorsitzende des Erdweger Gewerbeverbandes, kritisiert: "Alle Gemeinden im Umkreis sind in allen Belangen weiter. Wir haben starken Nachholbedarf." Mehrere Gewerbetreibende seien bereits abgewandert, weil ihnen keine Flächen zum Expandieren angeboten worden seien. "Und der Trend nimmt zu." Lesti fordert die Gemeinde auf, zügig zu handeln. "In Erdweg wird immer nur geplant und geplant. Aber es müssen auch mal Projekte sofort gemacht werden", mahnt er. Erdwegs zweiter Bürgermeister Christian Blatt (CSU) stimmt Lesti grundsätzlich zu. Er weist allerdings daraufhin, dass die Ausweisung eines Gewerbegebietes einer "strategischen Vorbereitung" bedürfe, die leider Zeit koste.

Auf dem Arbeitspapier des Planungsbüros heißt es, die Gemeinde wolle die Situation der ortsansässigen Betriebe verbessern und ihnen Möglichkeiten schaffen, im Ort zu bleiben. Neu ausgewiesene Flächen sollen ihnen vorbehalten werden. An solche zu kommen, gelingt der Gemeinde bislang offensichtlich aber nicht. Um kurzfristige Potenziale auszuschöpfen, will die Gemeinde deshalb auch kleinere Flächen aktivieren, etwa am Ortsrand oder auf ehemals landwirtschaftlich genutzten Grundstücken. Sie will auch Flächen zur Pacht oder Erbpacht anfragen. Die Zusammenarbeit von Verwaltung und Gewerbeverband soll intensiviert werden.

Organisierter Sport

Die Spielvereinigung Erdweg hat neun Abteilungen und eine rasant steigende Mitgliederzahl. Der Verein ist die zentrale Organisation in der Gemeinde, er ist sozialer Treffpunkt, stiftet Identität und verbindet die Bewohner der insgesamt 18 Ortsteile. Die durchaus ansehnlichen Sportanlagen an der Jahnstraße werden insbesondere der florierenden Fußballabteilung allmählich zu eng ebenso wie das gut besuchte Vereinsheim. Die Kapazitätsgrenzen sind erreicht. Das größere Problem ist allerdings, dass die Fußballplätze unmittelbar neben der Wohnbebauung liegen und sich Anwohner über die Lärmbelästigung beschweren. Eine Lärmschutzwand müsste zwischen sieben und neun Metern hoch sein, hat der zweite Bürgermeister Blatt in Erfahrung gebracht. Rudolf Mader, der neben dem Sportplatz eine Praxis für Physiotherapie betreibt, drohte, halb im Spaß, die Mauer eigenhändig in die Luft zu sprengen, sollte sie gebaut werden.

Doch die Mauer steht sowieso nicht zur Debatte. Ein Gutachten, das die Gemeinde in Auftrag gegeben hat, kam zu dem Schluss, dass eine Umverlagerung der Sportanlage sinnvoll sei. Eine entsprechende Absichtserklärung hat der Gemeinderat bereits einstimmig beschlossen. Als neue Heimat für den Verein wurde ein Gebiet östlich der Bahnlinie ausgesucht. Wie und wann der Umzug vollzogen werden soll, ist noch völlig unklar. Die Gespräche mit den Grundstücksbesitzern stecken noch im Anfangsstadium.

Die Entwicklung des Hauptortes Erdweg, darin sind sich alle einig, hängt stark mit der Umsiedelung des Vereins zusammen. Auf den jetzigen Sportflächen könnte Wohnraum entstehen. Der zweite Bürgermeister Blatt: "Diese Frage will der Gemeinderat sehr, sehr dringlich klären." Die Erdweger Bürgerin Brigitte Mayer gab zu bedenken, dass das Areal östlich der Bahn wegen der Schönheit der Landschaft als Erholungsgebiet so erhalten bleiben sollte.

© SZ vom 08.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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