Obdachlosigkeit :Wege gegen Wohnungsnot

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Die Stadt will prüfen, wo Platz ist für weiteren sozialen Wohnungsbau wie hier Am Rennplatz. (Foto: Toni Heigl)

Dachauer Stadträte diskutieren, wie sie preiswerte Appartements schaffen können. Die CSU plädiert für den Bau von Obdachlosenunterkünften, was SPD, Grüne und Bündnis für Dachau ablehnen. Sie befürchten Ghettobildung

Von Petra Schafflik, Dachau

Die Wohnungsnot in der Stadt wird immer gravierender. Das belegen Zahlen der Verwaltung, die jetzt im Familien- und Sozialausschuss vorgelegt wurden. So waren im vorigen Jahr 487 Singles und Familien für eine Sozialwohnung vorgemerkt. Umziehen in so ein preiswertes Appartement konnten aber nur 44 dieser Haushalte, sechs davon waren vorher obdachlos. Auch die Zahl der Dachauer, die ohne Dach über dem Kopf dastehen, steigt und hat sich seit 2010 auf 149 Bürger sogar verdreifacht. Weil die Kapazitäten erschöpft sind, werden Zimmer in städtischen Obdachlosenunterkünften doppelt belegt, zwei sich fremde Menschen müssen in einem Raum leben.

Angesichts dieser Entwicklung diskutierten die Stadträte im Familien- und Sozialausschuss ausführlich über Lösungsansätze. Die CSU hatte beantragt, rasch kleine Obdachlosenunterkünfte zu bauen. Doch SPD, Grüne und Bündnis für Dachau fürchten Ghettobildung und Stigmatisierung, setzen auf dezentrale Einzelwohnungen. Auch die Wohlfahrtsverbände Caritas, Arbeiterwohlfahrt und Paritätische sprechen sich in einer Stellungnahme für kleine Einheiten aus. In der Debatte wurde jetzt die Idee entwickelt, Sozialwohnungen zu bauen und diese zunächst für Obdachlose zu nutzen. Drei kleine städtische Areale werden nun als Standorte geprüft, bevor eine Entscheidung fällt. Caritas-Kreisgeschäftsführerin Heidi Schaitl plädierte dafür, die soziale Betreuung auszubauen, um Obdachlosigkeit zu vermeiden.

Die Stadt ist zuständig und muss sich kümmern, wenn einer ihrer Bürger auf der Straße steht. Aber auch wenn die Unterbringung von Obdachlosen eine Pflichtaufgabe ist, sieht Oberbürgermeister Florian Hartmann (SPD) die Stadt fast auf verlorenem Posten. Weil so viele Menschen in die Region um München drängten, werde mit dem Bevölkerungswachstum auch die Zahl der Bürger steigen, die eine Sozialwohnung benötigen oder ohne Obdach sind. "Egal was wir tun, wir werden immer nur an der Oberfläche kratzen und immer eine Warteliste haben", sagte der OB. Um großzügig Kapazitäten zu schaffen, "haben wir die Flächen nicht". Schließlich müssten wegen des Zuzugs auch Kitas, Schulen und Sportangebote gebaut werden. Trotz der schwierigen Ausgangslage wollen OB und Stadtrat der Entwicklung nicht tatenlos zusehen. Ein umfangreiches Bauprogramm für Sozialwohnungen wurde bereits aufgelegt. Wie mehr Raum für Menschen ohne Obdach geschaffen werden könnte, wurde nun intensiv diskutiert.

Dabei ging es erneut ums umstrittene Vorkaufsrecht: Die Not wäre nicht so groß, hätte die Stadt dieses Mittel bisher konsequent genutzt, betonte Michael Eisenmann (Bündnis für Dachau). Tatsächlich kann die Stadt Wohnungen oder Häuser, die früher einmal in ihrem Besitz waren, später bei einem erneuten Eigentümerwechsel zurückkaufen. 2015 hat der Stadtrat entschieden, jedes Objekt auch als Unterbringungsmöglichkeit für Obdachlose zu prüfen. Doch dieses Vorkaufsrecht wurde seitdem kaum genutzt, mehrfach lehnte der Stadtrat vorgeschlagene Objekte ab. Die CSU will nicht "privaten Käufern die Wohnung wegschnappen", betonte August Haas (CSU). Zudem seien einzelne Wohnungen überall im Stadtgebiet als Unterkunft für Obdachlose wenig sinnvoll, ergänzte Elisabeth Zimmermann (CSU). Gerade gut findet dezentrale Standorte der OB. "Weil wir damit die Durchmischung der Bevölkerung hinbekommen."

Aber selbst wenn das Vorkaufsrecht stets gezogen wird, fehlen Kapazitäten. Deshalb forderte die CSU in ihrem Antrag, Obdachlosenunterkünfte mit fünf bis 15 Einheiten zu erstellen. Platz wäre beispielsweise auf dem städtischen Grundstück an der Mittermayerstraße 33, schlägt August Haas (CSU) vor. "Gut erschlossen, direkt an der Altstadt, eine Gefahr der Gettoisierung besteht dort nicht." Ganz verschließen will sich die SPD angesichts der Notlage nicht. "Aber wenn überhaupt, dann maximal fünf Einheiten", erklärte Christa Keimerl (SPD). Vorrang habe "eine dezentrale Unterbringung". Gettos entstünden durch die "Zentralisierung von Missständen", warnte auch Sylvia Neumeier. Größere Anlagen sind deutlich einfacher zu bewirtschaften, findet die CSU. Wenn schon bauen, dann Sozialwohnungen und dort Menschen ohne Obdach unterbringen, findet der Oberbürgermeister. Denn sozialer Wohnungsbau werde deutlich stärker staatlich gefördert, eine Belegung der Anlagen mit Obdachlosen wohl akzeptiert, zumindest auf Zeit. Die Option, neue Sozialwohnungen als ganze Wohnung an nicht so finanzstarke Mieter oder Zimmer für Zimmer an Obdachlose zu vergeben, fand breite Unterstützung.

Der CSU-Antrag zum Neubau von Unterkünften wurde daher vertagt. Die Stadtverwaltung prüft für städtische Grundstücke an der Mittermayer-, Geheimrat-Stoß- und Wilhelm-Leibl-Straße, ob sie für sozialen Wohnungsbau geeignet sind. Untersucht wird auch, wie viele Einheiten jeweils Platz finden, die auch als Obdachlosenunterkünfte genutzt werden könnten. Diesen Fahrplan billigte der Ausschuss mit großer Mehrheit, mit Nein votierte Anke Drexler (SPD).

© SZ vom 29.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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