Medienkunst:Der Impulsgeber

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Johannes Karl versteht sich als Künstler, der vorherrschende Bildsprachen auflöst und durch neue ersetzt. Sein Metier ist der Film. Als KVD-Vorsitzender will er die Professionalität in der Kunstszene erhöhen und deren Durchschnittsalter senken

Von Johannes Korsche, Dachau

Software statt Farbe, Bildschirm statt Leinwand: Dort, wo bei anderen Künstlern eine Staffelei steht, nimmt bei dem Dachauer Künstler Johannes Karl ein Computer den zentralen Platz im Atelier ein. Kein Wunder, denn Karl ist vor allem für seine Videoanimationen bekannt. Seit 2013 ist er außerdem Vorsitzender der Künstlervereinigung Dachau (KVD). Kürzlich hat er sein Atelier in München aufgegeben, um zum Leben und Arbeiten zurück in seine Geburtsstadt Dachau zu ziehen. Er hat eine Familie gegründet und ist Vater geworden.

"So viel hat sich gar nicht geändert. Ich habe den Bezug zu Dachau nie verloren. Als ich in München gewohnt und gearbeitet habe, war ich immer drei oder vier mal in der Woche hier, alleine schon wegen des Sports." Karl spielt bei den Eishockey-Woodpeckers des ASV Dachau. Aus dem Sportverein kommt auch sein Künstlername "Ed Water". Er erzählt: "Als ich bei meinem ersten Training bei der Herrenmannschaft war, kannte niemand meinen Namen und ich hatte eben ein T-Shirt mit "Add Water"-Schriftzug an. Seither ziehe ich das als Spitz- und Künstlername mit mir rum."

Bildausschnitt aus der neuen Videoanimation von Johannes Karl, die in der KVD-Ausstellung zu sehen sein wird. (Foto: Johannes Karl/oh)

Ein Künstlername aus dem Eishockeytraining passt zu Karls Kunst. Sie ist durchaus mit einem Tackling vergleichbar, also dem regelkonformen, konsequenten Körpereinsatz. Karl sagt über sich: "Mir geht es darum, bereits bestehende Kunstwerke mit einer gewissen Respektlosigkeit neu und ungewöhnlich miteinander zu kombinieren." Dafür arrangiert er einzelne Figuren und Hintergründe aus bekannten Kunstwerken verschiedenster Kunstepochen miteinander und lässt sie in Animationen in Dialog treten. So entstehen überraschende, auch absurd anmutende Kurzfilme, die einen ungewöhnlich, oft sehr komischen Blick auf kanonische Werke der Kunstgeschichte eröffnen.

Ein gutes Beispiel für Karls "Lust an der konstruktiven Zerstörung", wie er es selbst nennt, ist die Animation Tambosi (2011), die von der Bayerischen Staatsgemäldesammlung angekauft worden ist. Für Tambosi durchforstete Karl die Alte Pinakothek nach Figuren, die er über alle Epochengrenzen hinweg in eine Kaffeehauskulisse setzt. Mit der Zeit, das Video dauert 8.41 Minuten, wird die anfängliche Ordnung zunehmend ins Chaos aufgelöst. Bis nur noch ein bunter runder Kreis, bestehend aus Figurfragmenten der Kaffeehausbesucher, über den Bildschirm läuft. Nicht nur das Genre auch seine Herangehensweise ist stark von Internet und Computer geprägt: "Wenn ich eine Idee habe, google ich erst einmal und suche nach geeigneten Bildern. Über das Internet kann ich mir jedes beliebige Bild herunterladen und am Computer nachbearbeiten." Er versteht seine Animationen als bewussten Kommentar zur heutigen Zeit und zum medialen Umgang mit Kunst. In den Kurzfilmen steckt enorm viel Zeit: "Mein Ziel ist ein Video pro Jahr. Mehr ist einfach nicht zu schaffen."

Johannes Karl ist Künstler und Vorsitzender der KVD. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Gerade arbeitet er an Sinnbildern über den Fortschrittsglauben kapitalistischer Gesellschaften: Vor einer aus verschiedenen Landschaftsgemälden zusammengestellten Kulisse läuft ein Pferderennen. Den Hintergrund bilden beispielsweise Gemälde von David Hockney, Edward Hopper und der berühmte Goethe in der Campagna von Johann Tischbein. Ob Goethe im Bild bleibt, ist aber noch nicht entschieden: "Bei den Figuren geht es immer darum, ob sie optisch ansprechend sind und zu meiner Aussage passen oder ob sie eher davon ablenken." Das Video soll noch für die Jahresausstellung der Künstlervereinigung Dachau (KVD) im August fertig werden, die am Sonntag, 2. August, auf dem Gelände der ehemaligen MD-Papierfabrik eröffnet wird.

Karl leitet die KVD. Sein kollegialer Führungsstil unterscheidet sich enorm von dem Tackling des Eishockey-Künstlers. Er ist einer der jüngsten Vorsitzenden in der Geschichte der Künstlervereinigung, die bis ins frühe 20. Jahrhundert zurückreicht. In der historischen Reihe der Vorsitzenden liegt er auf der Skala, die von Provokateuren bis zu kulturpolitisch zurückhaltenden Vorsitzenden reicht, leicht links von der Mitte. Karl sieht sich als Repräsentant der bildenden Künstler in Stadt und Landkreis.

Das MD-Verwaltungsgebäude wird zur KVD-Galerie. (Foto: Niels P. Joergensen)

Sein Ziel ist es, Atelier- und Ausstellungsbedingungen zu verbessern. Sein Hauptaugenmerk legt er vor allem darauf, mehr professionell tätige Künstler nach Dachau zu locken. Dabei kann er mit einem Pfund wuchern. Kaum eine Stadt in der Größenordnung von Dachau verfügt über ein solch großes Reservoir an jungen bildenden Künstlern mit Akademie-Abschluss. Unter dem Titel "Vorgarten" hatte sie Karl zu mehreren Ausstellungen versammelt. Zwei von ihnen haben in den vergangenen Jahren den SZ-Tassilopreis erhalten: Agnes Jänsch und Nico Kiese. Karls Kriterium für Professionalität ist dabei nicht der materielle Erfolg, sondern "der Grad der intellektuellen Auseinandersetzung mit der Kunst".

Der KVD-Vorsitzende erwartet von sich und seinen Kollegen, dass sie Kunstwerke und Ausstellung schaffen, die den Betrachter herausfordern, mitunter auch überfordern können: "Künstler sehen und machen Dinge manchmal anders als andere. Diese neue Perspektive auf ganz Alltägliches, diese Heterogenität tut einer kleinen Stadt wie Dachau gut." Solche Provokationen nimmt Karl dabei bewusst in Kauf, um ein modernes Kunstverständnis zu vermitteln: "Es geht darum zu zeigen, was Kunst alles sein kann. Es hört eben nicht beim dekorativen Gemälde auf. Performance und Video kann auch Kunst sein, die man ebenso fördern sollte."

Zu diesem Anspruch passt die Wahl des Standorts für die neue große Jahresausstellung der KVD. Traditionellerweise findet sie im Renaissancesaal des Dachauer Schlosses statt. Dieses Jahr verlässt die KVD diesen pompösen Rahmen und geht hinunter in die MD-Industriebrache, einen Ort voller kommunalpolitischer Brisanz. Karl erzählt: "Diese Idee gab es schon länger und jetzt haben wir sie umgesetzt. Der Saal im Dachauer Schloss ist sehr schön aber auch sehr opulent, da tritt der Raum oft zwischen Kunstwerk und Besucher." Das 17 Hektar große Areal soll auf eine Konversion vorbereitet werden.

Traditionell werden rund die Hälfte der Künstler aus der KVD kommen, die anderen werden Gäste sein - "hauptsächlich aus München." Das Motto nimmt Bezug auf einen Roman von George Orwell: 1984. Es ist, wie Karls gesamte Kunst, wohl überlegt: "Das Interessante ist, dass es sich in dem Buch um die Vision einer Zukunft handelt, die aus heutiger Sicht vergangen ist. Außerdem sind die sehr aktuellen Themen Überwachung und Big Data in dem Roman schon angesprochen." Nicht zuletzt begann in diesem Jahr der Umbruch der KVD zur Vertretung zeitgenössischer Kunst.

© SZ vom 30.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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