Markt Indersdorf:Willkommen auf der rettenden Insel

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Kultusminister Spaenle zollte den Überlebenden großen Respekt. Musikalisch begleitet wurde die Feier vom Orchester der Realschule Vinzenz von Paul. (Foto: oh)

17 ehemalige Bewohner des Indersdorfer Kinderzentrums nehmen an der Eröffnung der Ausstellung "Zurück ins Leben" teil

Von Robert Stocker, Markt Indersdorf

Es ist ein bewegender Moment, als der Sohn von Ella Braun am Ende der Feier einen Brief seiner Mutter vorliest. Sie hat dieses Schreiben verfasst, weil sie selbst nicht nach Indersdorf kommen konnte, wo sie als Jugendliche prägende Erfahrungen machte. Aus den Zeilen geht auch hervor, dass sie damals im Kloster den Mann ihres Lebens kennenlernte. Er war wie Ella Braun von seinen Angehörigen getrennt, heimatlos und völlig entwurzelt. Im Kloster schöpften sie neue Hoffnung und schmiedeten Pläne für ein gemeinsames Leben.

Der Brief von Ella Braun führt deutlich vor Augen, dass die Bewohner des ersten internationalen Kinderzentrums in der US-Besatzungszone nach dem Krieg nicht nur traumatische Erlebnisse verarbeiten mussten, sondern hier auch Kraft für ihr künftiges Leben schöpften. Von Juli 1945 bis Juli 1946 lebten im Kloster Indersdorf mehr als 600 jüdische und nichtjüdische Kinder verschiedener Nationalitäten. Von August 1946 bis September 1948 waren dort jüdische Flüchtlingskinder aus Zentral- und Osteuropa untergebracht. Sie hatten während des Kriegs in ihrer russischen oder polnischen Heimat furchtbare Gräueltaten der Nationalsozialisten erlebt, wurden in Konzentrationslagern inhaftiert und waren nach der Befreiung auf sich allein gestellt. Seit Jahren kommen ehemalige Bewohner des Kinderzentrums auf Einladung der Weichser Zeitgeschichtsforscherin Anna Andlauer in ihren einstigen Zufluchtsort Indersdorf, um die Erinnerungen aus dieser Zeit wach zu halten. 70 Jahre nach Kriegsende und der Befreiung Nazi-Deutschlands sind jetzt 17 Überlebende mit Verwandten aus Israel, USA, England oder Polen nach Markt Indersdorf gereist, um an der Eröffnung der Ausstellung "Zurück ins Leben" im Barocksaal des Klosters teilzunehmen. "We have so much respect for you", würdigte der bayerische Kultusminister Ludwig Spaenle die internationalen Gäste bei der Eröffnung der Ausstellung am Dienstagabend. "Sie haben erlebt, was bis dahin für zivilisierte Menschen undenkbar war", unterstrich der Kultusminister. Er erinnerte an den industriellen Massenmord, an die Ausgrenzung von Menschen und die Missachtung humaner Grundregeln. Das mache die heutigen Repräsentanten des Staates fassungslos und gebe Anlass, weiter wachsam zu sein. "Es kann hier keinen Schlussstrich geben", sagte Spaenle. Landrat Stefan Löwl würdigte das Kinderzentrum als eine Institution, in der es Herzlichkeit gab. Das einstige Kinderzentrum sei ein Beweis dafür, was Menschen schaffen können, "wenn sie von einem guten Geist beseelt sind".

Auch Jugendliche haben sich mit den damaligen Ereignissen auseinandergesetzt. Mit einer von historischen Fotos begleiteten Lesung begaben sich Neuntklässler der Realschule Vinzenz von Paul bei der Ausstellungseröffnung auf eine "Spurensuche im Kloster Indersdorf". Sie berichteten von der Kinderbaracke, in der 60 Kinder nahezu ohne Versorgung dahin vegetierten. Viele starben und wurden auf dem Bezirksfriedhof hinter dem Kloster bestattet. Fünf Bewohner aus der Kinderbaracke wurden später im Kinderzentrum betreut. Eindrucksvolle Aufnahmen zeigt auch der Begleitfilm zur Ausstellung "The Rage to Live" von Anna Andlauer und Wil Boettger. "Indersdorf war wie eine rettende Insel", bekennt einer der Überlebenden in dem zeitgeschichtlichen Dokument. Auch Greta Fischer, die "Mutter des Kinderzentrums", kommt in dem Film ausführlich zu Wort. "Der Überlebenswille der Kinder drängte alles zurück", schildert sie ihre damaligen Erlebnisse. Und für alle stellte sich die Frage: Wo können wir hin? Einige leben heute in einem Kibbuz bei Jerusalem, wie Kibbuz-Sprecher Nachum Bogner erzählte. "Doch das, wonach sie sich am meisten sehnten, konnte ihnen keiner geben: ihre Eltern", sagte Kuratorin Anna Andlauer.

© SZ vom 30.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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