Markt Indersdorf:Verona in Indersdorf

Markt Indersdorf: Wer will schon nach Verona, wenn er Indersdorf hat: Eine Szene aus Carmen in der Version von "Oper auf Rädern".

Wer will schon nach Verona, wenn er Indersdorf hat: Eine Szene aus Carmen in der Version von "Oper auf Rädern".

(Foto: Toni Heigl)

Kulturförderung pur: "Carmen" als "Oper auf Rädern"

Von Dorothea Friedrich, Markt Indersdorf

Ein Bilderbuchsommerabend. Beschwingtheit und fröhliche Erwartung liegen greifbar in der Luft, Melodien summen im Kopf. Beste Voraussetzungen für ein Open-Air der speziellen Art mit George Bizets Oper "Carmen". Leicht verzweifelte Parkplatzsuche geht dem Kulturgenuss voran, maulende Passanten inklusive. Die Zuschauer bewegen sich je nach Temperament gemächlich oder zielstrebig auf ihre Plätze. Versorgen sich noch mit Getränken, einem Snack oder haben gleich die Picknickausrüstung dabei. Sonnenhüte in allen Formen und Farben haben ihren großen Auftritt. Auch das Outfit ist, sagen wir mal, individuell: von der großen Abendrobe bis zur campingplatz-tauglichen Alternative.

Mehr oder weniger neugierig schauen die gemütlich auf ihren Stühlen hockenden Restaurantbesucher zur gegenüberliegenden Seite hin, Radler stoppen kurz, Jogger laufen selbstversunken vorbei. Straßensperren halten Autos und Bikes auf gehörigem Abstand. Musiker richten ihre Notenpulte. Und dann die ersten Töne: "Toréador, en garde! - Auf in den Kampf, Torero". Carmen eröffnet am Freitagabend in der Arena von Verona die Saison und wird zeitgleich auf dem Markt Indersdorfer Marienplatz gespielt. In Verona in der Uralt-Protz- und Prunk-Inszenierung von Franco Zefirelli, in Markt Indersdorf in einer puristischen und gekürzten Fassung von "Musik auf Rädern", einem Projekt der Internationalen Stiftung zur Förderung von Kultur und Zivilisation.

Um es gleich vorweg zu nehmen: Dieser Abend war Kulturförderung pur. Warum? Weil erst gar keine Berührungsängste mit einer Musik aufkamen, die in puncto Attraktivität nicht gerade mit Fußball und Co. konkurrieren kann. Weil der musikalische Leiter Johannes Erkes die hochdramatische Geschichte mit Empathie und Humor kommentierte. Nicht zuletzt kennen die Indersdorfer diese Art von "Oper im Taschenbuchformat", denn "Musik auf Rädern" war bereits zum dritten Mal zu Gast in der Marktgemeinde.

So vermissen sie weder die gefühlt tausend Statisten und sonstiges Verona-Chichi, das angeblich Oper erst zur Oper macht und sie allzu oft zum Event mit Adabeis auf sauteuren Plätzen degradiert. Sie erleben "Oper für alle" mit Konzentration auf das Wesentliche, die Musik, weltbekannte Arien inklusive. Mit sommerlicher Leichtigkeit und großem Können von einem fünfköpfigen Orchester und drei Solisten gespielt und gesungen. Das Bühnenbild liefern Schneiderturm, Mesnerhaus und Klosterensemble. Ein paar Steinstufen reichen fürs Arena-Gefühl, sind willkommene Sitzgelegenheit und Teil der Inszenierung. Wer von seinem Platz aus die Mariensäule sehen kann, verzichtet gerne auf ihr veronesisches Pendant auf der Piazza delle Erbe.

Er lehnt sich entspannt zurück und lässt sich vom Schicksal der selbstbestimmt lebenden Carmen (Ruxandra von der Plas-Voda), der zart-mädchenhaften Micaela (zauberhaft: Agnes Preis), dem testosterongesteuerten Don José (Harrie van der Plas) und dem Egomanen-Torero Escamillo (Thomas Schütz) in eine abgründige Gefühlswelt ziehen. Wen wundert es, dass sich immer mehr Neugierige einfinden, Stühle und Sessel anschleppen, dass selbst der Nachwuchs aufs Toben und Spielen verzichtet, zu Carmens unsterblicher "Habanera" tanzt und zusammen mit den begeisterten Erwachsenen den Hintergrund-Chor für den großen Auftritt des Toreros bildet?

Da wird der Marienplatz zur Spelunke, in der sich Carmens Schicksal letztendlich entscheidet. Sie wendet sich vom degradierten Habenichts-Soldaten José ab und baggert den materiell und körperlich wohl ausgestatteten Womanizer Escamillo an. Zurück bleibt ein gedemütigter José. Der merkt nicht einmal, dass ihn die naiv-unschuldige Micaela - sozusagen die bürgerliche Alternative zur emanzipierten Carmen - liebt. Es wird dunkel, auf dem Marienplatz und in den Seelen der Protagonisten. Wie passend für den finalen Auftritt von Carmen und José. Der krankhaft Eifersüchtige greift zum Messer. Sein Aufschrei nach der Bluttat ist der gespenstische Hilferuf eines in sich selbst Gefangenen. Und zeigt noch einmal, auf welch hohem künstlerischen Niveau sich "Musik auf Rädern" bewegt, wie sich Sänger und Musiker den örtlichen Gegebenheiten anpassen und selbst gegen gelegentlich über den Platz donnernde Flugzeuge gekonnt ansingen und -spielen.

Bleibt nur noch zu wünschen, dass es 2017 wieder heißt: Das wahre Arena-di-Verona-Feeling gibt es nur in Markt Indersdorf.

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