Landschaftarchitektur im Wandel der Zeit:Ein kleines Stück vom Paradies

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Lilo Malkmus von der Bayerischen Schlösser- und Seenverwaltung führt 40 Besucher durch den Dachauer Hofgarten. Sie kennt die Geschichte und die Geschichten der Anlage am Schloss von der Entstehung bis heute

Von Thomas Altvater, Dachau

Obwohl er seinen 600. Geburtstag schon hinter sich hat, ist er immer noch bestens in Schuss: keine einzige kahle Stelle und überaus gepflegt. Trotz seines hohen Alters begeistert der Hofgarten am Dachauer Schloss seine Besucher immer wieder aufs Neue. Einmal im Jahr veranstaltet die Bayerische Schlösser- und Seenverwaltung eine Führung durch die Anlage, in diesem Jahr sogar kostenlos. Für Christa Reiner ist das ein besonderer Moment. Sie war bereits in Dachau auf der Berufsschule, über den Hofgarten und seine Historie weiß sie jedoch wenig. Immer wenn die 60-Jährige in Dachau zu Besuch ist, parkt sie so, dass sie durch den Hofgarten spazieren kann. Aus einem einfachen Grund: "Ich finde den Park einfach faszinierend." Ungefähr 40 Interessierte, jung und alt, ließen sich in von Lilo Malkmus die alte Geschichte des wunderbaren Gartens erzählen.

Zu Beginn des 15. Jahrhunderts wurde der Dachauer Hofgarten erstmals urkundlich erwähnt. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Der Graf von Scheyern baute im 12. Jahrhundert die erste Burg in Dachau. Die Lage auf dem Schlosshügel war aufgrund seiner Höhe von besonderer geopolitischer Bedeutung. Dort reicht noch heute der Blick über München, bis hin zu den Alpen. Zu Beginn des 15. Jahrhunderts, im Jahr 1409, wurde der Hofgarten erstmals urkundlich erwähnt. Hundert Jahre später baute die bayerische Adelsfamilie der Wittelsbacher das Schloss Dachau zu ihrer ersten und wichtigsten Sommerresidenz aus und ließ sich den Ausbau eine Menge Geld kosten. Und weil es bereits damals Trends gab, gestalteten die Wittelsbacher in den darauffolgenden Jahrhunderten den Hofgarten immer wieder um. "Der Garten war früher ein kleines Stück vom Paradies, er strahlte Sicherheit und Geborgenheit aus", sagt Lilo Malkmus. Auch deshalb errichtete man schon vor Hunderten von Jahren hohe Mauern um die Gärten.

Rund 40 Besucher folgten der Führung durch den Hofgarten und bewunderten die Pflanzenpracht. (Foto: Niels P. Joergensen)

"Vielen Menschen ist vermutlich gar nicht bewusst, dass die ersten Gärten sogar einen Einfluss auf die heutige Gartengestaltung haben", erklärt Lilo Malkmus. Wasser in Brunnen, Pflanzen und Blumen in Beeten, Haustiere auf dem Rasen, Kunst in Form verschiedener Skulpturen und unterschiedliche Spielmöglichkeiten: Bereits im Mittelalter bestand der Garten aus verschiedenen Elementen, die bis heute Anwendung finden.

"Dass in Dachau sowohl der mittelalterliche, als auch der Renaissance-, der Barock- und der Rokokogarten vereint sind, das ist für mich das Besondere hier", sagt die Referentin. Unter Herzog Sigismund wurde im 15. Jahrhundert der mittelalterliche Hofgarten errichtet. Damals war der Schlossgarten noch eine Art Nutzgarten. Ungefähr hundert Jahre später beeinflusste die Renaissance die Architektur der Schlösser und somit auch der Gärten. Die Antike kehrte zurück, sie wurde wortwörtlich wiedergeboren. "Typisch für die Renaissance-Gärten war die Kleinteiligkeit", zeigt Lilo Malkmus anhand eines historischen Plans. Der Garten war in viele kleine Beete unterteilt, antike Statuen säumten die Wege.

Kunsthistorikerin Lilo Malkmus: "Dass in Dachau sowohl der mittelalterliche, als auch der Renaissance-, der Barock- und der Rokokogarten vereint sind, das ist für mich das Besondere hier". (Foto: Niels P. Joergensen)

Unter Max Emanuel, seiner Zeit bayerischer Kurfürst, wandelte sich das Bild des Hofgartens wieder. Im Barock sollte die Gartenkunst einen absolutistischen Anspruch zeigen, doch dafür war der Hofgarten in Dachau zu klein, acht Hektar waren zu wenig. Zum Vergleich: Der Schlosspark in Max Emanuels Residenz in Nymphenburg ist mit einer Fläche von 180 Hektar um das 22-fache größer als der Dachauer Hofgarten. Auch die krumme Anordnung gefiel Max Emanuel nicht, da gerade die Symmetrie eines der wichtigsten Stilmerkmale des Barock war. "Der Hofgarten war unter Max Emanuel einfach nicht beliebt", resümiert Malkmus. Weitere Jahrzehnte später, im Rokoko, wich die Kunst der Natur. Der Garten wurde natürlicher und verspielter, Wasserspiele, Schaukeln, Bänke passten sich in die Natur ein. So entstand der englische Garten auf dem hinteren Dachauer Schlossgelände. "An dieser Stelle sitzen Sie auf einer Bank, sehen Blumenkörbe an den Bäumen hängen, hören Vogelgezwitscher." Lilo Malkmus versucht anhand verschiedener historischer Augenzeugenberichte ihre Zuhörer auf die Reise in den Rokoko-Garten mitzunehmen. Denn von den vielen Spielereien, die damals den Garten geprägt haben, ist kaum noch etwas erhalten. Die Bänke und Blumenkörbe gibt es nicht mehr, das Vogelgezwitscher wird vom Lärm aus dem angrenzenden Freibad übertönt.

Unter Herzog Sigismund wurde im 15. Jahrhundert der mittelalterliche Hofgarten errichtet. Damals war der Schlossgarten noch eine Art Nutzgarten. (Foto: Niels P. Joergensen)

"Die Hofgärten waren auch immer ein politisches Zeichen, ein Zeichen der Macht", sagt Lilo Malkmus. Denn Obst- und Gemüsegärten waren im Mittelalter und der frühen Neuzeit eine Rarität. Viele der heute in jedem Garten genutzten Pflanzen waren damals noch nicht entdeckt oder gezüchtet. Die Herrscher schickten ihre Gärtner auf teure Reisen um die halbe Welt, sie sollten neue Samenarten aufspüren. "So wollte jeder Herrscher zeigen, dass er auch exotische Pflanzen zum Blühen bringen kann."

Lilo Malkmus, Kunsthistorikerin mit dem Schwerpunkt Gartenkunst, erläuterte den Besuchern ihrer Führung, wie sich die Anlage am Schloss im Laufe der Zeit gewandelt hat. (Foto: Niels P. Joergensen)

Zu Zeiten der französischen Revolution im späten 18. Jahrhundert ließ der renommierte Gartenplaner Friedrich von Sckell, Architekt des englischen Gartens in München, ein Haus für die Gärtner bauen. Außerdem erleichterte er ihnen durch eine neue Wegeführung die Arbeit. Revolutionär für damalige Verhältnisse sei das gewesen und "ein erstes leises Anzeichen von Demokratie", sagt Lilo Malkmus.

Die Führung ist auch für Peter Reiz vom Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club (ADFC) in Dachau die erste dieser Art im Dachauer Hofgarten. "Ich bin einfach privat interessiert, weil ich selbst einen Garten habe." Und was ist das besondere an den Gärten? Dass diese gerade in Zeiten des Klimawandels eine "echte Alternative" sein können, sagt er, "eine Art natürliche Belüftung".

Von den vielen Veränderungen des Hofgartens, die dieser all die Jahrhunderte über erlebt hat, ist heute nicht mehr viel zu sehen. Skulpturen, Bänke, Gartengebäude aus der Blütezeit des Gartens sind kaum erhalten geblieben. Anhand von Grabungen und historischen Plänen konnte man jedoch vieles rekonstruieren und verifizieren. Heute arbeiten sechs Gärtner auf dem acht Hektar großen Gelände - die Beete, der Rasen, die Bäumen sind hervorragend gepflegt. Der Garten besticht durch seine Fülle an verschiedenen Farben und Gerüchen, so wie das wahrscheinlich schon vor einigen hundert Jahren gewesen ist. Für Christa Reiner hat sich der Ausflug gelohnt. "Die Führung war wunderbar", sagt sie danach.

Lilo Malkmus erzählt bereits seit sechzehn Jahren ihren Zuhörern die Geschichte und Geschichten rund um die Schlösser und Schlossgärten in Bayern, und das tut sie ehrenamtlich. Zu den Gärten hat Lilo Malkmus eine ganz besondere Beziehung. "Durch mein Studium der Kunsthistorik mit dem Schwerpunkt Gartenkunst ist das natürlich meine Leidenschaft." Es ist also gut möglich, dass der ein oder andere Lilo Malkmus in einem weiteren bayerischen Hofgarten zuhören wird.

Der Dachauer Hofgarten kann täglich und kostenfrei von 8 bis etwa 20 Uhr besucht werden.

© SZ vom 16.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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