Künstlervereinigung Dachau:Nur nicht verloren gehen

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Die Skulpturen von Matthias Rodach und die Malereien von Annunciata Foresti in der Galerie der Künstlervereinigung Dachau treffen sich in der Sehnsucht, im Leben Präsenz zu zeigen.

Bärbel Schäfer

Der Fährmann von Matthias Rodach sieht aus, als wäre er aus Bronze, ist aber tatsächlich aus Plastik. (Foto: © joergensen.com)

Bei Vergil ist der Fährmann Charon ein alter Mann mit glühenden Augen und schlohweißem Haar. Thomas Mann lässt ihn als venezianischen Gondoliere auftreten, der einen midlifecrisis-gestressten Schriftsteller durch die Kanäle schippert. Matthias Rodachs Charon ist weder alt noch furchterregend noch trägt er eine gelbe Schärpe wie bei Thomas Mann. Er hat etwas von der sicheren Balance eines indianischen Einbaumfahrers, von dessen Lautlosigkeit und natürlicher Würde. Die Plastik, die Rodach in der Gemeinschaftsausstellung mit der Malerin Annunciata Foresti in der Galerie der Künstlervereinigung Dachau (KVD) zeigt, heißt "unterwegs" und legt zumindest dem Titel nach ihre Bestimmung nicht fest. Und doch weckt sie die Assoziation an den Fährmann, der in der Mythologie die Seelen der Toten übersetzt, damit sie in den Hades gelangen. Rodachs Plastik rührt am schwer zu greifenden Zustand zwischen Diesseits und Jenseits.

Rodach und Foresti, beide aus Dießen am Ammersee, kündigen für die Ausstellung mit Skulpturen und Malereien eine Beschäftigung über die Interaktion von Figur und Abstraktion an. Aber Matthias Rodachs eigentliches Thema ist die Vergänglichkeit. Dabei geht es nicht nur um den Tod, der jeden, ob arm, reich, jung oder alt, eines Tages trifft, sondern um die Vanitas-Symbolik, wie sie schon die Alten Meister kannten: Die Eitelkeit ist nichts als leerer Schein, alles ist endlich, der Mensch hat keine Gewalt über das Leben. Die Materialien tragen dazu bei.

Matthias Rodachs Fährmann hat die Anmutung von Bronze. Bei genauerem Hinsehen entlarvt er sich als ein leichtgewichtiges Amalgam aus Polyester, Rupfen und Asche. Alles nicht von Dauer. Beschädigungen und Fehlstellen sind zu erkennen. Die Figur ist hohl. Das Boot, in dem der Fährmann steht, ist nicht fahrtauglich, denn es besteht aus alten Dachlatten, die nur mehr dürftig zusammenhalten. Der Schiffer ist also eine leere Hülle, seine physische Präsenz, seine Materialität nur Schein. Es handelt sich um eine optische Täuschung - und das ist gut so, denn wäre Rodachs Charon tatsächlich aus schwerer Bronze, dann wäre er nichts anderes als ein ziemlich langweiliges Abbild der Natur.

"Boris", die lebensgroße, realistische Figur eines nackten Mannes, steht mit gefalteten Händen über dem dicken Leib da. In seiner schutzlosen Nacktheit, seinen körperlichen Defiziten ist er Abbild unserer selbst. Eigentlich ist es ein realer Augenblick menschlicher Existenz, doch auch hier konterkariert das Material glücklicherweise diesen Gedanken. Boris ist nicht aus Stein, sondern aus Pappmaschee, genau gesagt aus Tetrapack. Nichts als leere Hülle ist auch der "Gameboy" aus Polyester. Er hockt selbstvergessen in der Ecke, mit tief über den Kopf gezogener Kapuze und ist ganz aufs Spiel konzentriert.

Mit diesen Arbeiten steht Matthias Rodach in der Nachfolge der Hyperrealisten der 1960er Jahre wie George Segal und Duane Hanson. Die Amerikaner stellten Gipsfiguren nach lebenden Modellen her, gliederten sie in eine ganz bestimmte Umgebung ein, um so auf gesellschaftliche Situationen aufmerksam zu machen. Matthias Rodachs Figuren allerdings stehen jede für sich alleine, isoliert und in sich versunken. Den Aspekt der Endlichkeit vervollkommnet er durch die Köpfe eines Mädchens und des eigenen Vaters, der 2006 starb. Totenmasken aus Erde. Es geht also um die existenzielle Bedeutung, "um den Wert des Lebens, der in der Konsumwolke, in der wir uns befinden, immer mehr verliert", sagt Rodach. Sein Vater war katholischer Pfarrer. Benedikt Rodach hatte gegen das nationalsozialistische Regime gepredigt und wurde wegen Kanzelmissbrauchs fünf Jahre lang ins KZ gesperrt. Drei Jahre davon verbrachte er im Priesterblock des KZ Dachau. Er überlebte und berichtete als Zeitzeuge, auch in Schulen. Diese biografische Besonderheit schwingt in den Plastiken mit.

Annunciata Forestis Bilder zeigen vielschichtige Strukturmuster aus haptisch begriffener Farbe. Streifen, Gitter, Netze, vertikale und horizontale Spuren in vielen lasierenden Schichten, ein Beziehungsgeflecht. Sie haben die dichte Verwobenheit textiler Oberflächen, wie unter dem Mikroskop betrachtet. Der Malprozess steht im Mittelpunkt, ist Inhalt. Die Gitter sind unregelmäßig, manchmal fadenscheinig. Auf diese Weise entstehen räumliche Effekte, in denen sich Tiefe entfaltet, aber auch der Eindruck von Brüchigkeit.

Aber da ist noch etwas. Unter der Oberfläche leuchten rote, weiße, gelbe Flecken hervor - es handelt sich um Verletzungen und Öffnungen - vom Gespinst teilweise verdeckt. "Im Malen wird die Wunde nicht geschlagen, im Gegenteil, sie wird aufgebaut, von innen heraus", sagt Annunciata Foresti. Sie wurde in Bergamo in Italien geboren und siedelte 1959 mit den Eltern nach Deutschland um: "Ich war eines der ersten Gastarbeiterkinder in Starnberg." Sie hatte eine entbehrungsreiche Kindheit, musste schon früh Verantwortung übernehmen. Sie beschäftigte sich mit Textilkunsthandwerk, bildete sich in Malerei und Fotografie weiter. Im Malen entdeckte sie eine Möglichkeit der Verarbeitung und Selbstvergewisserung. Ihre früheren Bilder sind expressiv, farbig, figürlich, lebensbejahend.

Vor fünf Jahren dann der Bruch in der Biografie und damit auch der Bruch in der Malerei. Seitdem malt Annunciata Foresti mit Gaze bedeckte Wunden, die nur schwer heilen. Die drei Landschaftsfotos mit fahlen Strukturen von Bäumen und Wasser stehen in verblüffendem Kontext zu den Gitterbildern. Wie ein dunkles Labyrinth vergittern die schwarzen Äste den Himmel. Und wo ist nun die Interaktion von Figur und Abstraktion? Es ist das bewusste Auslassen des natürlichen Kerns - bei Rodach ist es die fehlende Fleischlichkeit, bei Foresti der Verzicht auf einen realen Bezug. Und die Verletzbarkeit und Brüchigkeit: Bei beiden droht die Gefahr zerrissen zu werden. Der Kreis schließt sich in den Biografien: Die Hülle kann nicht vor Verletzung, Gefangenschaft, Krankheit und Tod schützen.

Die Ausstellung in der KVD ist bis 12. Mai zu sehen. Öffnungszeiten: Dienstag bis Freitag von 14 bis 20 Uhr. Samstag und Sonntag von 10 bis 18 Uhr. Zum Ausstellungsthema Interaktion wird der Dokumenta-Künstler Andreas Kloker eine Performance unter dem Titel "Kollateralveranstaltung" aufführen. Freitag, 26. April, 20.30 Uhr. Kloker malt Bilder, die nur aus Wasser und einer Tafel bestehen. Der BR-Journalist Franz Xaver Gernstl bezeichnete ihn als "Wassermaler vom Ammersee". Von dort kommen alle drei Künstler, die sich jetzt in der Galerie der KVD präsentieren. Kloker beeindruckte bereits durch eine Performance in der Gedenkstätte.

© SZ vom 25.04.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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