Jobcenter Dachau:Vom Arbeitsvermittler zum Sozialpädagogen

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Leiter Peter Schadl berichtet, wie sich die Tätigkeit des Jobcenters ändert, weil seine Klientel teilweise erst noch lernen muss, was es heißt, einer geregelten Beschäftigung nachzugehen

Von Wolfgang Eitler, Dachau

Nach dem mit Zahlen und Datengespickten Vortrag von Peter Schadl über das von ihm geleitete Jobcenter in Dachau ist vor allem eines klar: Er und seine Mitarbeiter haben es mit Menschen zu tun, die sich dem Schubladendenken entziehen. Arbeitsunwillig? Was soll man von jungen Menschen halten, die freiwillig nach Köln fahren, um sich vorzustellen - und sich dann nicht zum Personalgespräch trauen? Sie sagen: "Ich hab's verkackt." Was ist mit Jugendlichen, die keine Struktur haben, weil sie so etwas wie Familie nie erlebt haben? Und wie soll man einen Mann einordnen, der sein ganzes Leben gearbeitet hat, dem die Familie wegbricht, der alles aufgibt, um seiner schwangeren Tochter im Alltag zu helfen?

Auf ihn ist Peter Schadl übrigens stolz, weil der Mann mit Hilfe des Jobcenters zurück in die Arbeitswelt gefunden hat. Nicht minder freut er sich über fünf junge Syrer, die mit einer festen Anstellung rechnen können. Die nackten Zahlen indes wirken bedrückend. Bei ungefähr 3200 Bewerbungen vermochte das Jobcenter beispielsweise gerade mal 56 Menschen im vergangenen Jahr in Arbeit bringen.

Viele sind für die offenen Stellen nicht geeignet

Aber was sagen sie tatsächlich aus? Peter Schadl war vom Kreistag zu einem Bericht über die Tätigkeit seiner Behörde gebeten worden, weil die SPD-Fraktion genau wissen wollte, ob und wie es der Behörde gelingt, vor allem Jugendliche bei der Arbeitssuche zu unterstützen. Das ernüchternde Fazit von Schadl lautet: Das Jobcenter kann viele seiner Schützlinge nicht vermitteln, weil sie erst in die Lage versetzt werden müssen, überhaupt eine Arbeit annehmen zu können. Die aus gesamtwirtschaftlicher Sicht positive Nachricht hingegen lautet: "Im Landkreis gibt es "keine strukturelle Arbeitslosigkeit". Will heißen: Die Unternehmen haben genügend zu tun, es gibt offene Stellen, aber der vom Jobcenter betreute Personenkreis ist bedauerlicherweise dafür nicht geeignet und kann die Anforderungen nicht erfüllen.

Das Dachauer Jobcenter betreut auch Menschen, die nicht in der Lage sind, eine Arbeit anzunehmen. Bei ihnen helfen die üblichen Bewerbungsverfahren und Vorbereitungsgespräche nicht mehr. (Foto: dpa)

ÖDP-Kreisrat Georg Weigl nutzte Schadls Vortrag, um ihn zu bitten, den Asylhelferkreisen doch keine Angebote zu unterbreiten, die für den Kreis der Flüchtlinge von vorneherein ausgeschlossen seien. So nütze es nichts, sich für eine Tätigkeit zu bewerben, für die es einen Führerschein braucht. Das weiß auch Schadl. Aber die Vorschriften zwingen ihn nach seiner Darstellung, jedem Unternehmen mindestens zehn Personen pro offener Stelle vorzuschlagen. Da kommt man im Laufe eines Jahres schnell auf 3200 Bewerbungsverfahren.

"Manche haben nicht einmal eine Tagesstruktur"

Aber die Mühsale des Jobcenters liegen woanders. Zurzeit überlegt Schadl, ob er die aufsuchende Tätigkeit nicht ausbauen soll. Denn sie sei erfolgreich. Dann gehen Jobcenter-Mitarbeiter in die Wohnungen beispielsweise von jungen Leuten, reden mit ihnen, unterstützt von Psychologen. Sie wollen herausfinden, wie Arbeitslosen so geholfen werden kann, dass eine Bewerbung auch aussichtsreich ist. "Manche", sagt Schadl, "haben nicht einmal eine Tagesstruktur."

Seinen Bericht versteht Schadl auch als einen Beleg für die hinlänglich bekannte These, dass Bildung vor Arbeitslosigkeit schützt. 54 Prozent der jungen Leute ohne Arbeit haben keinen schulischen Abschluss. Auf 68 Prozent aller Arbeitslosen trifft dies ebenfalls zu. Zwei Prozent aller Arbeitslosen sind im Landkreis Dachau Akademiker. Schadl sagt: "Ich kenne jeden einzelnen." Bei ihnen lägen erhebliche psychische Probleme und Erkrankungen vor. Nach dem Vortrag im Kreistag sagte er der SZ auf die Frage, wie er die Tätigkeit des Jobcenters einschätzt: "Sie ist mittlerweile Sozialarbeit."

© SZ vom 03.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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