Karlsfeld:Hintergründige Wasserspiele

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Der Kunstkreis Karlsfeld feiert die Freilichtausstellung "Seh am See" mit Fanfarenklängen und viel Ironie

Von Bärbel Schäfer, Karlsfeld

Hinter dem Witz und Aberwitz der Komik verbirgt sich nicht selten der grausame Schrecken. Die Performance von Ulf Sparre und Helmut Schmidt im Wasser über die sinnlose Völlerei unserer Wohlstandsgesellschaft war eine bissige Ergänzung zu den künstlerischen Beiträgen, die sich mit der Flüchtlingskrise beschäftigten. Die diesjährige "Seh am See"am Karlsfelder See bot sich als natürliche Bühne für diese kritischen Bespiegelungen politischer und gesellschaftlicher Probleme ideal an. 17 Mitglieder des Karlsfelder Kunstkreises und 18 Gastaussteller stellten heuer aus.

Die Freiluftausstellung des Karlsfelder Kunstkreises findet alle zwei Jahre statt- - Sie wurde vom Posaunenchor der Dachauer Gnadenkirche unter der Leitung von Christine Hänsel eröffnet. Festliche Fanfaren begrüßten die rund sechzig Besucher zur Vernissage, unter denen sich auch die frühere SPD-Bundespolitikerin und ehemalige Karlsfelder Gemeinderätin Uta Titze-Stecher und Altlandrat Hansjörg Christmann befanden. Der Vorsitzende Dieter Kleiber-Wurm blickte in seiner Ansprache auf die erste Ausstellung der "Seh am See" 1986 zurück. Die Freiluftausstellung war damals noch eine eintägige Veranstaltung, und die Künstler präsentierten ihre Bilder an Stellwänden, die sie zum See transportierten. In den folgenden Jahren wanderte die "Seh am See" an verschiedene Plätze: zur Sommerstockbahn, auf die sogenannte Ochsenwiese und zum Hügel am gegenüberliegenden Ufer, bis sie schließlich ihren festen Standort am Nordostufer fand. Bürgermeister Stefan Kolbe würdigte die "Seh am See" für ihren großen Stellenwert im kulturellen Leben der Gemeinde und lobte die überregionalen Beziehungen zu den vielen Gastausstellern.

Die Kunst blickt auf die Flüchtlingspolitik: mit einer Performance über den Überfluss von Ulf Sparre und Partner Helmut Schmidt. (Foto: Toni Heigl)

Der Karlsfelder Ulf Sparre und sein Partner Helmut Schmidt gaben ein bizarres Duo aus rabiatem Kellner und großspurigem, Zigarre rauchendem Gast. Der Kellner flößte dem Gast Sekt ein und fütterte ihn mit Kaviar, stopfte ihn zuletzt gewaltsam mit einem Trichter. Der Gast floh, und der Kellner stach in seinen fetten Bauch, einen Luftballon. Mit ihrem ironischen Beitrag schlugen sie den Bogen vom sinnlosen protzigen Überfluss zu den oft todbringenden Fahrten der Flüchtlinge über das Meer mit nichts als den Kleidern am Leib.

Klaus Kühnlein aus Kottgeisering weist in diesem Zusammenhang auf die Macht der Bilder hin, die wir nur aus dem Fernsehen kennen. Somit ist die Katastrophe auch weit weg von uns. Der Künstler stellte drei bunte Bilderrahmen in das Wasser, der See ist die Bildfläche. Im ersten Rahmen ist die aus Draht geformte Silhouette eines Flüchtlingsbootes zu sehen, im zweiten recken sich verzweifelte Hände in die Luft. Der dritte Rahmen bleibt leer, denn das Boot und die Menschen sind untergegangen. Hanne Wölfle aus Maisach baute ein "Hoffnungsboot" aus Landkarten, das jedoch nicht wirklich Hoffnung verspricht, denn sein Rumpf ist ein unvollständiges Gerippe, und Gerard Cornioley aus der Schweiz stellte als Readymade einen gelben Koffer ans Ufer.

Oder mit dem fraglichen Flüchtlingsboot von Hanne Wölfle. (Foto: Toni Heigl)

Friedo Niepmanns Reiterstandbild auf dem Wasser stößt die hehre Kunst von ihrem Sockel. Das fragile Standbild aus Holzstäben mit einem dicklichen Reiter auf einem müden Pferd nimmt die monumentale, öffentliche Darstellungsform des Herrscherbildnisses auf den Arm. Auffallend waren Ernst Lüttringhaus weißes Riesen-Origami nach japanischem Vorbild, aus großen steifen Milchtüten gefaltet, und die surreale Installation der Kunstkreis-Mitglieder Aysim Woltmann, Otti Patzelt und Benno Herrmann. "Die maßlose Eifersucht der Schwengelpumpe" besteht aus einem Brunnen, aus dem ein dicker gelber Schlauch in einen Bottich mit gelben Chrysanthemen führt. "Die schönen Blumen saufen ab", erläuterte Aysim Woltmann.

Zusammen mit Stefanie Reiser und Otti Patzelt inszenierte sie eine weitere Installation, "Nie faul in der Sonne gelegen". Ein wunderbarer Beitrag zur Kunst am See. Um eine Mitte aus ländlichen Arbeitsgeräten wie Mistgabel und Besen liegen sternförmig angeordnet sieben Handtücher. Darauf befinden sich Frauenschürzen mit dem Schwarz-Weiß-Foto eines Gehöftes und einem Kurzlebenslauf, der alles über diese Frauengeneration aussagt: "Sofie, 91, musste immer schwer arbeiten", "Agathe, 79, sah nie das Meer", "Karoline, 90, durfte nie heiraten", "Cilli, 87, hat neun Kinder großgezogen". Fröhlich und ironisch ist hingegen Lotte Helbigs Kunst - und gleichzeitig eine Hommage an 100 Jahre Dada: Sie bot männlichen Besuchern aus einer Blechdose die Köpfe von Barbiepuppen als "Herrenpralinen" an und überraschte Herbeitretende mit einer "Zürcher Umarmung".

© SZ vom 19.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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