Jugendtheater am Stadtwald:Die inszenierte Gesellschaft

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Datenmissbrauch, virtuelle Parallelwelten, kulturelle Abschottung: Das neue Stück des Jugendtheaters am Stadtwald "2030 - Einigkeit und Recht und Freiheit" zeigt das zukünftige Leben in der Bundesrepublik als beängstigende Farce

Von Jacqueline Lang, Dachau

Der Countdown läuft, die Menge johlt: Das Jahr 2030 hat begonnen. Doch statt einer Gruppe von Freunden, die gemeinsam feiern und das neue Jahr begießen, sieht man nur eine junge Frau, in der Hand eine Flasche Sekt, auf dem Kopf eine VR-Brille. Die johlende Menge ist nur auf einer Leinwand zu sehen, die Frau tanzt alleine auf der Bühne. Es ist nur eine sehr kurze Frequenz, wie eine Art Intro, doch sofort drängt sich beim Zuschauer die Frage auf: Leben und feiern wir in zwölf Jahren nur noch in der virtuellen Realität? Diese und weitere Fragen wirft das Stück "2030 - Einigkeit und Recht und Freiheit" des Jugendtheaters am Stadtwald in Dachau auf - ohne den erhobenen Zeigefinger, dafür mit einer guten Portion Ironie.

Insgesamt zehn Szenen spielen die zehn Jugendlichen, die dabei in immer neue Rollen schlüpfen. Statt einem einzigen Handlungsstrang zu folgen, wird der Zuschauer in immer neue Szenen geworfen, die sich an Absurdität überbieten und gleichzeitig doch erschreckend nah an der Realität sind.

Eine Szene spielt in einer bayerischen Behörde für Migration. Der Einwanderungsbeamte, ein Mann mit starkem bairischen Dialekt und dem obligatorischen Trachtenjanker, begrüßt das Ehepaar Dschamilia und Buruk Rahimi. Er hat schwarze Locken, sie trägt ein Kopftuch. Die beiden sollen ganz offensichtlich zwei Flüchtlinge darstellen. Der Beamte sagt, er wolle ihr Deutsch prüfen und bittet den Mann, sich vorzustellen. Dieser antwortet fehlerfrei. Doch statt ihn zu loben, sagt der Einwanderungsbeamte nur: "Den Nachnamen kannst du dir sparen, denn auf dem Bau spricht dich sowieso niemand mit dem Nachnamen an". Am Ende wird aus dem korrekten Deutsch der grammatikalisch falsche Satz: "Alter, bin ich Buruk und komme aus dem Land, in dem Milch und Honig fließen". Der Beamte zwingt das Paar außerdem, Weißwürste zu essen, Bier zu trinken und Lederhose und Dirndl zu tragen. Den Einwand von Buruk, dass er in seinen zwei Jahren in Deutschland noch niemanden in Tracht gesehen habe, entgegnet der Beamte nur: "Den Fehler, den wir damals mit den Preißen gemacht haben, den mach ma ned no mal." Schließlich schickt er sie weg mit einer Duldung und den Auflagen, eine Brauerei, einen Kochkurs für Hausmannskost und einen Kurs im Volkstanz zu besuchen.

Ein anderes Thema des Jugendtheaters: Die Rente mit 85 und die Entsorgung derer, die nicht so lange arbeiten können und deshalb eine Belastung für die Gesellschaft sind. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Eine andere Szene zeigt die zwei jungen Youtuber, Fritz und Eric von Höhenfels, die ihre Community im Netz mit auf ihre Shoppingtour nehmen. Als sie schließlich das Kaufhaus verlassen, sehen sie eine obdachlose Frau auf der Straße. Einem der beiden jungen Männer kommt die Idee, der Frau die neu gekauften Schuhe zu schenken - allerdings nicht aus Großzügigkeit, sondern für noch mehr Clicks und Likes. Als sie die Szene mit ihrem Handy gedreht haben, fordern sie die Frau auf, ihnen die Schuhe wiederzugeben. Als die sich anfangs weigert, weil sie sagt, man habe ihr die Schuhe doch gerade geschenkt, sind es die beiden Jungs, die die Dreistigkeit der Obdachlosen kritisieren. Verkehrte Welt?

Die Szenen, die das Jugendtheater dargestellt, sind so vielseitig und komisch wie erschreckend. Hier: Selfies mit Obdachlosen für mehr Klicks. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Wieder eine andere Szene zeigt eine junge Frau, die unbedingt Influencerin werden möchte. Ihr Opa hingegen sagt, er habe dem Internet im Jahre 2012 nach dem Onlinecrash entsagt und ermahnt seine Enkelin, nicht all ihre Daten preiszugeben. Als sie gegen seinen Willen ein Selfie mit ihm macht und dieses auf Instagram hochlädt, steht plötzlich der Sicherheitsdienst vor der Tür. Eine Person, über die keinerlei Daten vorliegen, sei auf dem Bild zu sehen, sagen sie. Die Beamten nehmen den Opa fest. Dieser ruft seiner Enkelin noch zu, dass sie sich wehren müsse gegen die Überwachung des Staates. Das Licht im Zuschauerraum geht an und die junge Frau spricht das Publikum direkt an. Sie fragt: "Was macht den Staat so mächtig?" Nur ein paar wenige melden sich, fühlen sich offensichtlich unangenehm berührt, von der Rolle als passive Beobachter in den Fokus der Beobachtung gerückt zu sein. Die Frau bleibt beharrlich: "Wir können nur eine eigene Meinung entwickeln, wenn wir eigene Gedanken haben." Mit diesen Worten verlässt sie die Bühne und lässt das Publikum für einen Moment mit seinen Gedanken allein.

Integration spielt in der Aufführung ebenfalls eine Rolle. Hier: Ein Prosit der Gemütlichkeit auf der Blockflöte als Beweis für eine vermeintlich gelungene Integration. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Die Themen, die die Jugendlichen ansprechen, sind vielseitig. Es geht um die großen Themen der heutigen Zeit: Digitalisierung und politische, aber auch gesellschaftliche Verantwortung. Doch so unterschiedlich die Themen auch sein mögen, eines haben sie doch gemeinsam: Sie stellen, die Art, wie wir leben in Frage. Viele der Szenen sind komisch, bringen das Publikum zum Lachen. Und gleichzeitig bleibt einem als Zuschauer dieses Lachen manchmal fast im Hals stecken. Denn: Ist diese Zukunft, die das Theaterstück präsentiert, wirklich die Realität, in der wir irgendwann aufwachen wollen?

Die letzte Aufführung findet am Donnerstag, 10. Mai, um 19 Uhr im Theatersaal des ASV Dachau statt. Der Eintritt kostet sechs Euro.

© SZ vom 09.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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