Inklustionsdorf Schönbrunn:Weitsicht mit Herz

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Das Franziskuswerk startet die entscheidende Planungsphase für die Konversion von Schönbrunn nach der UN-Behindertenrechtskonvention. Bezirkstagspräsident Josef Mederer und Landrat Stefan Löwl unterstützen Generaloberin Schwester Benigna Sirl und ihre Geschäftsführung

Von Wolfgang Eitler, Schönbrunn

Helmut ist Ausgangspunkt und Ziel all dessen, was Schönbrunn umtreibt. Helmut ist 75 Jahre alt. Er ist dort aufgewachsen und hatte nie etwas anderes kennengelernt, als eben dieses Dorf mit ungefähr 700 geistig behinderten Menschen. Vor zwei Jahren sagte er plötzlich, er möchte in eine Wohngemeinschaft im Nachbarort Großinzemoos einziehen. Da fragte ihn Generaloberin Schwester Benigna Sirl: "Helmut, warum?" Er antwortete: "Ich will's versuchen." Der sanfte alte Mann, der heute noch ministriert und jede kulturelle Veranstaltung in seiner Gemeinde mit Interesse besucht, hatte den Mut zur Inklusion, den Mut, rauszugehen mitten in die Gesellschaft hinein, den Mut, die beschützte Umgebung seines Dorfs zu verlassen. Er ist zurückgekehrt, nicht weil er musste, sondern weil er es sich wünschte. Dass er beides konnte, dass er diese Wahlfreiheit hatte, ist für die Generaloberin die zentrale Botschaft über die Zukunft Schönbrunns.

Helmut ist das personifizierte Sinnbild dafür, welches Ziel die Franziskanerinnen gemeinsam mit der Geschäftsführung des Franziskuswerks unter Markus Tolksdorf anstreben. Schönbrunn soll sich öffnen. Die Menschen dort sollen selbst entscheiden, wo sie leben und arbeiten möchten. Viele von ihnen können es bereits. Das gemeinnützige Franziskuswerk und der Orden der Franziskanerinnen als alleiniger Gesellschafter des Unternehmens haben eine große Zahl an Wohngemeinschaften im Landkreis und darüber hinaus gegründet. Aber all diese Unternehmungen waren nur der Anfang. Am Donnerstag beginnt eine neue Zeitrechnung.

Schönbrunn blickt in die Zukunft. Wie Helmut Rötzer von der Malgruppe nach der besten Perspektive. (Foto: Sigrun Wedler)

An diesem Donnerstag beschäftigt sich der Gemeinderat von Röhrmoos - Schönbrunn gehört zu der Kommune - erstmals öffentlich mit dem Wunsch des Franziskuswerks, eine komplett neue Schule zu bauen. Und im Weiteren geht es schon bald um die Frage, wie sich der gesamte Ort verändern wird. Noch im August bereitet Markus Tolksdorf, Geschäftsführer des Franziskuswerks, einen internationalen Wettbewerb vor, wie Schönbrunn sich entwickeln soll.

Aber bevor es ins planerisch Technokratische geht, ist es wichtig, Generaloberin Benigna zuzuhören: Es war einmal ein Dorf, das der Orden der Franziskanerinnen vor mehr als 150 Jahren übernommen hatte, um geistig behinderte Menschen aufzunehmen. Bis in die späten achtziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts waren sich Politik und Gesellschaft darin einig, dass diese Menschen in solchen Einrichtungen am besten untergebracht seien. Es war das Zeitalter der Ausgliederung. Jetzt soll endlich das Zeitalter der Eingliederung beginnen.

Generaloberin Benigna beruft sich nicht nur auf die Menschenrechte. Sie pocht auf sie. Sie spricht von Würde. "Der Mensch soll sich entfalten können." Also erleben, "was er ist und was er werden kann". Erst die UN-Behindertenkonvention hat den Befürwortern der Inklusion die nötige Autorität und Überzeugungskraft verschafft. In deren Sinn fordert die Generaloberin aus ihrer christlichen Überzeugung heraus die bedingungslose Wahl- und Wunschfreiheit. Der einfach wirkende Satz hat es in sich: "Wir sind Menschen." In solch offensiver Klarheit hat sich die Generaloberin noch nie öffentlich geäußert. Damit gibt sie als Vertreterin des Ordens die Richtung vor. Sie will Weitsicht mit Herz. Deshalb erzählt sie von Helmut und dessen Experiment mit sich selbst.

Auch Generaloberin Schwester Benigna Sirl gehört dem Beirat für die Inklusion Schönbrunn an. So wie...

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(Foto: Niels P. Jørgensen)

...Franziskuswerk-Geschäftsführer Markus Tolksdorf...

...der Dachauer Landrat Stefan Löwl (CSU)...

...und der oberbayerische Bezirkstagspräsident Josef Mederer (CSU).

Aber wie soll Helmuts Weg für alle möglich werden? Wie einerseits geistig behinderten Menschen mitten in die Gesellschaft hineinlassen? Wie andererseits den Ort als Schutzraum bewahren? Geschäftsführer Markus Tolksdorf hat die "Vision 2030"ausgerufen und die Idee der Inklusion neu formuliert. Er will aus Schönbrunn ein Modelldorf entwickeln, in dem sich Familien, Mitarbeiter des Franziskuswerks, auch ältere Menschen ansiedeln. Dazu brauchen sie den Mut, den Helmut schon bewiesen hat: reinzugehen in ein solches Dorf und das Miteinander zu leben. Nüchtern betrachtet stellt sich die Lage so dar: Wenn das Franziskuswerk mit seiner Strategie Erfolg hat, dann leben in dem Dorf in ungefähr zehn Jahren statt 700 geistig behinderter Menschen noch an die 300.

Schönbrunn bietet künftig viel Platz für neue Wohnungen. Franziskuswerk, Orden, der Landkreis und der Bezirk Oberbayern als größter Geldgeber müssen die Konversion eines Dorfs, das baurechtlich als "Sondergebiet" gilt, in einen ganz normalen Ort mit besonderen Aufgaben bewältigen. Zumindest in Bayern hat sich noch keine der Einrichtungen an einen solch umfassenden Umbau gewagt. Deshalb spricht der oberbayerische Bezirkstagspräsident Josef Mederer (CSU) von einem "Pilotprojekt für den ganzen Freistaat". Er gehört einem Beirat an, der diesen Weg der Konversion beratend begleiten soll. Neben ihm, Generaloberin Benigna und Geschäftsführer Tolksdorf ist noch Landrat Stefan Löwl (CSU) dabei.

Josef Mederer empfindet die Konversion von Schönbrunn als die für ihn politisch und biografisch bedeutendste Aufgabe in seiner jahrzehntelangen Tätigkeit als Verwaltungsfachmann, Bürgermeister, Bezirkstagspräsident und ehrenamtlich sozial engagierter Bürger, vor allem im Bayerischen Roten Kreuz. Er fühlt, "wie all meine Erfahrungen zusammenfließen". Denn sie haben ihn zu einem offensiven Befürworter der Inklusion werden lassen, der sich vom CSU-Parteibuch nicht stoppen lässt: Erst kürzlich in Freising, wo der Bezirkstagspräsident den ehemaligen Schafshof als Kulturzentrum unterhält, kritisierte er vor allem das Kultusministerium wegen seiner zögerlichen Haltung für eine Bildungspolitik der Inklusion.

Für Markus Tolksdorf hängt an der erfolgreichen Konversion die gesamte Zukunft des Unternehmens mit mehr als 1500 Mitarbeitern. Deshalb ist für ihn der Donnerstagabend im Röhrmooser Gemeinderat so wichtig, auch wenn nicht das gesamte Projekt verhandelt wird, sondern nur ein kleiner Baustein, der Neubau der Schule. Faktisch stellt sich Tolksdorf darauf ein, dass sein Unternehmen in der Zukunft Leistungen organisiert und anbietet, die von den behinderten Menschen je nach Erfordernissen, finanziellen Vorgaben und der Beratung durch Betreuer abgerufen werden. Zusätzlich setzt er auf die Kompetenz des Franziskuswerks als Organisator sozialer Leistungen - von Kindergarten über Kindertagesstätten bis hin zur Altenbetreuung.

Damit tangiert das Franziskuswerk kommunale Aufgabenbereiche, weshalb sich Landrat Löwl gefordert sieht. Er versteht sich im Beirat als Bindeglied zur Verwaltung des Landkreises und der Gemeinde Röhrmoos. Denn beide müssen den Schönbrunner Plänen planungsrechtlich zustimmen. Ohne ihr Votum geht nichts. Deshalb zeigte sich Franziskuswerk-Geschäftsführer Tolksdorf nach einem Treffen mit den Röhrmooser Mandatsträgern vor ungefähr einer Woche erleichtert. Er hat den Eindruck: "Die ziehen mit."

Am Donnerstag, 30. Juni, 19.30 Uhr, stellt Franziskus-Geschäftsführer Markus Tolksdorf Idee und Bauplanung für eine neue Johannes-Neuhäusler-Schule und den Ideenwettbewerb zur Ortsentwicklung Schönbrunn im Gemeinderat Röhrmoos vor.

© SZ vom 29.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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