Im Wasserturm:Was Menschen bewegt

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Christian Deutschmann greift in seiner Ausstellung "Frontwheeldrive" Motive aus Magazinen der Zwanziger- und Dreißigerjahre auf. In seinen Ölgemälden spürt er auch dem Schicksal und den besonderen Lebensbedingungen der abgebildeten Personen nach

Von Jacqueline Lang, Dachau

1925 bis 1935. Auf den ersten Blick die Blütezeit einer modernen, weltoffenen Gesellschaft in Deutschland - doch was sich dahinter verbirgt, ist häufig eine "erschreckende Grimasse", sagt der Künstler Christian Deutschmann. Die große Diskrepanz zwischen dem, was auf den ersten Blick sichtbar ist und dem, was für Geschichten und Schicksale sich dahinter verbergen, thematisiert der 52-jährige Künstler aus Murnau auch in seiner neuesten Ausstellung "Frontwheeldrive".

Ausgangspunkt für die 40 Werke sind Zeitschriften und Magazine aus den späten Zwanziger- und frühen Dreißigerjahren. Durch Zufall sind sie ihm auf dem Speicher eines Einfamilienhauses in die Hände gefallen. Sie hatten als Baumaterial für die Zwischenböden des Hauses gedient und waren längst in Vergessenheit geraten.

Die Schwarzweiß-Fotografien, die größtenteils noch gut erhalten sind, warfen für Deutschmann beim Durchblättern viele Fragen auf. Wer sind diese Menschen auf den Fotos? Was haben sie gedacht und gefühlt? Deutschmann hat es sich zum Ziel gesetzt, diesen Fragen nachzugehen. Dafür hat er die Fotografien abgemalt, in Farbe, und um das Zwanzigfache vergrößert. Um möglichst nah am Original zu bleiben, hat er schwer erkennbare Details und mögliche Farben recherchiert, Informationen zu den abgebildeten Menschen und Situationen gesammelt. Langsam hat sich so aus den einzelnen Mosaikteilchen ein Bild der damaligen Gesellschaft ergeben. Ein Bild, das aus Deutschmanns Sicht in vielen Fällen auch auf die heutige Gesellschaft übertragbar ist.

Da gibt es zum Beispiel ein Bild von Antonie Strassmann, einer jüdischen Sportfliegerin aus Berlin. Als eine der wenigen Frauen in der Branche war sie zum damaligen Zeitpunkt, um 1932, so erfolgreich, dass eine amerikanische Firma sie anheuerte, um Flugzeuge zu verkaufen. Mit dem Geld, das sie damit verdiente, wollte sie ihre Familie in die USA holen. Den Deutschen gefiel es überhaupt nicht, dass ausgerechnet eine Jüdin so erfolgreich war. Sie ließen sie bespitzeln. Strassmann wurde zwar nicht, wie viele andere Juden unter Hitler, ermordet, dennoch ist ihre Geschichte ein Beispiel dafür, dass sich hinter der Fassade eines schönen Bildes etwas ganz anderes, Abgründiges, verbergen kann.

Vor allem alte ADAC-Zeitschriften aus der Zeit zwischen 1925 und 1935 dienen als Grundlage für Christian Deutschmanns Werke. Entsprechend präsent ist das Thema Automobil. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Dann gibt es da aber auch noch das titelgebende Bild: das Foto von einem Oldtimer, damals eines der ersten Autos mit einem vor den Kühler gesetzten Grill, der so mehr Spielraum beim Design bot und zudem eines der ersten Autos mit Vorderradantrieb war. Daher auch der Titel der Ausstellung "Frontwheeldrive", der sich sowohl auf die neue Technik als auch den damit vermeintlich verbundenen Fortschrittsgedanken der damaligen Zeit bezieht. Mit der Wirtschaftskrise fand dieser ein jähes Ende.

Wie auch seine Bilder hat auch der Titel mehr als nur eine Ebene. "Frontwheeldrive" ist doppelbödig. Mindestens. Neben den Bildern hat Deutschmann auch einige Gefühlsbilder geschaffen. Als Mensch, der Farben hören, Worte schmecken und der Gefühle visualisieren kann - Deutschmann ist Synästhet - hat die Auseinandersetzung mit den Fotografien und seinen eigenen Arbeiten verschiedene Gefühle in ihm ausgelöst. Ekel zum Beispiel. Gleichzeitig hat er auf dargestellte Gefühle Bezug genommen, etwa auf die Gier. Diese farbenfrohen Bilder komplettieren die Ausstellung.

Doch auch wenn die dargestellten Gefühle größtenteils negative sind, so ist es dem Künstler doch wichtig, dass durch die großformatigen Ölgemälde keine Schuldzuweisung erfolgt. Für ihn ist die Ausstellung trotz allem positiv konnotiert. All die Fragen, die er sich selbst beim Betrachten der Fotografien gestellt hat, will er an den Besucher der Ausstellung weitergeben, sie zum Nachdenken über die heutigen Verhältnisse anregen. "Die Zeitungen berichten über Situationen und Menschen, denen ich auch heute im privaten und beruflichen Alltag begegnen könnte", sagt Deutschmann. "Die Frage nach ihren Gefühlen, Gedanken, ihrer politischen Haltung und ihren Entscheidungen drängt sich auf. Jeder einzelne von uns hat Teil an dem Gesichtsausdruck der Gesellschaft, in der er lebt. Im Kleinen oder im Großen."

Bis zu 40 Stunden hat der Murnauer Künstler an den Ölgemälden gearbeitet. Viel Zeit verwendet er auch darauf, die Geschichte hinter den Bildern zu recherchieren. (Foto: Niels P. Joergensen)

Folgerichtig spendet Deutschmann zehn Prozent vom Erlös seiner verkauften Bilder an den Münchner Verein Welcome Help. Der Verein führt EU-weit Hilfsfahrten durch, er begleitet Flüchtlinge, bietet aber auch in den Einrichtungen IT-Lösungen für eine bessere Organisation und Vernetzung der Helfer an: außerdem stellt er Computerräume für Flüchtlinge zur Verfügung. Das erklärte Ziel: Hilfe für Menschen in Not - niederschwellig und vorurteilsfrei. Außerdem unterstützt er die neu gegründeten Partei Mut. Die bayerische Partei setzt sich unter anderem für soziale Gerechtigkeit, ökologische Vielfalt und lebendige Demokratie ein. Für Deutschmann zwei positive Beispiele dafür, wie man die Gesellschaft, in der man lebt, mitgestalten kann.

"Frontwheeldrive". Die Ausstellung von Christian Deutschmann ist noch bis 22. April zu sehen, jeweils samstags von 15 bis 20 Uhr und sonntags 11 bis 18 Uhr im Wasserturm, Dr.-Gerhard-Hanke-Weg 19.

© SZ vom 14.04.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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