Im Hoftheater:Der Traum von Freiheit

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Die Spritztour durch die ostdeutsche Provinz funktioniert im Hoftheater auch ohne Lada. Patrick Brenner (links) spielt den leicht verpeilten Maik, Lisa Wittemer die rotzfreche Isa und Neuzugang Jonathan Kramer den abenteuerlustigen Außenseiter Tschick. (Foto: Toni Heigl)

In der Bühnenfassung von Wolfgang Herrndorfs Erfolgsroman "Tschick" vermittelt das Hoftheater glaubhaft die Perspektive seiner jugendlichen Helden - dank umwerfend guter Darsteller

Von Dorothea Friedrich, Bergkirchen

Wie bringt man einen Lada auf die Bühne? Schließlich hat dieses Fortbewegungsmittel aus längst vergangenen DDR-Zeiten den tragenden Part als rollendes Requisit in "Tschick". Die Antwort lieferte Regisseur und Schauspieler Ansgar Wilk bei der Premiere der jüngsten Produktion des Hoftheaters Bergkirchen am vergangenen Samstag: Man nehme zwei fabelhafte Darsteller, die aus zwei Holzkisten dank ihrer Schauspielkunst in den Köpfen der Zuschauer ein Auto zaubern.

Für alle, die "Tschick" womöglich noch nicht kennen: Sie werden ihn lieben. Sei es als wunderbaren Roman von Wolfgang Herrndorf, als Pflichtlektüre in Schulen, als Bildungsroman für Erwachsene, als sehenswerten Film von Fatih Akin oder eben als Theaterstück von Robert Koall im Hoftheater. "Tschick" ist die Geschichte zweier Jugendlicher, die mit einem geklauten Lada durch die ostdeutsche Pampa touren und dabei das Leben und sich selbst jenseits ihrer bisher engen Welt entdecken. Germanisten sprechen in diesem Fall von einem Entwicklungsroman, was schon etliche Schüler von der Lektüre desselben abhielt. Wer liest als Jugendlicher schon freiwillig "Aus dem Leben eines Taugenichts" (Joseph von Eichendorff, 1826) oder "Die Verwirrungen des Zöglings Törleß" (Robert Musil, 1906) mit ihrer so gar nicht mehr zeitgemäßen Sprache?

Doch "Tschick" ist anders. Auf der Bühne geht es sprachlich ziemlich robust zu, was den älteren Zuschauern bei der Premiere schon mal ein verlegenes Lachen entlockt. Schließlich redet und agiert "Taugenichts" Tschick auf den ersten Blick wie ein typischer Vertreter des Prekariats, ist bildungsfern und von ungeheurer Lässigkeit. Jonathan Kramer spielt diesen Typen, den eine Hubschraubermutti niemals ins Haus lassen würde, überzeugend, mit Charme und Verve.

Für Kramer selbst erfüllt sich gerade ein Traum. Wollte er doch schon als Kind Schauspieler werden und ist nun erstmals in einer Hauptrolle zu sehen. Sein Counterpart ist der angepasste Einzelgänger Maik (Patrick Brenner). Brenner scheint die Figur des "Zöglings" Maik auf den Leib geschrieben zu sein. Er geht völlig darin auf, ist ein bisschen "Psycho", ein bisschen verhinderter Freigeist - und wechselt souverän die diversen Handlungs- und Erzählebenen.

Maik ist Teil einer zerrütteten Mittelstandsfamilie mit Haus, Pool, einer Alkoholikerin als Mutter (Lisa Wittemer) und einem Schlägertypen als Vater (brutal: Ansgar Wilk). Dieser leistet sich zu allem Überfluss auch noch eine jugendliche Geliebte, während die Mutter mal wieder auf der Beauty Farm, sprich in der Entzugsklinik, ist. Maik bleibt in den Ferien allein zu Haus und träumt von der unerreichbaren Klassenschönheit Vanessa. Bis plötzlich Tschick samt Lada vor der Tür steht, und das große Abenteuer beginnt. Die beiden machen sich auf die Suche nach Tschicks Großvater in der Walachei, immer in Sorge, in ihrem Uralt-Vehikel von der Polizei erwischt zu werden. Sie kleben sich Hitlerbärtchen an, um erwachsener zu wirken. Sie landen auf einsamen Feldern, auf Müllhalden und grandiosen Aussichtsplattformen, lernen die ausgeflippte Isa kennen und bauen den einen oder anderen Unfall.

Das alles wird in den bunten Kulissen von Ulrike Beckers mit einem fantastischen Sound- und Light-Mix von Jonathan Kramer, Max I. Milian, Gudrun und Ansgar Wilk untermalt - Richard Clayderman's Schmachtfetzen "Ballade pour Adeline" inklusive. Der beste Sommer von allen endet hollywoodreif mit einem Big Bang und gar nicht mal so schlechten Zukunftsperspektiven.

Regisseur Wilk hat Maiks und Tschicks Reise als glaubhaften, lustigen, manchmal verstörenden Blick in die Welt junger Menschen inszeniert. Mit Kramer, Brenner und Lisa Wittemer hat er zudem drei Darsteller mit starker Bühnenpräsenz ausgesucht - eine gute Wahl, wie auch Lisa Wittemer zeigt: Sie spielt in einer Doppelrolle die alkoholsüchtige Mutter sowie die rotzfreche, freakige Isa umwerfend gut. Wilk selbst ist in "Tschick" einmal nicht der Sunnyboy; in seiner Rolle als Lehrer Wagenbach ist er ein Zuchtmeister der Pädagogik, als Maiks Vater agiert er mit Fäusten statt mit Argumenten und ist zum Fürchten gut. Doch der Fiesling findet in seinem endlich widerspenstigen Sohn seinen Meister - auch das macht "Tschick" zu einem in jeder Beziehung guten Stück Theater.

Das Stück ist noch mal zu sehen am Sonntag, 26. November, um 17 Uhr und am Samstag, 9. Dezember, um 20 Uhr

© SZ vom 23.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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