Im Gespräch:Schweres Erbe

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Diskussion über Gedenken und Alltag in Dachau und Oświęcim

Von Felix Wendler, Dachau

"Ist das überhaupt eine Stadt?", ist häufig die erste Reaktion, wenn Leszek Szuster erzählt, wo er herkommt. "Wie kann man dort leben? Dort Hochzeiten feiern? In die Disco gehen?" Szuster ist Leiter der Internationalen Jugendbegegnungsstätte (IJBS) in Oświęcim und dort geboren. Doch die meisten Menschen verbinden ausschließlich Tod und Leid mit dieser Stadt, die sie mit dem ehemaligen Konzentrationslager Auschwitz gleichsetzen. Wie geht man damit um, tagtäglich von der Vergangenheit umgeben zu sein? Diese Frage steht im Mittelpunkt der ersten Deutsch-Polnischen Kulturtage im Landkreis. Und wer sonst hätte mehr darüber berichten können, als die Mitarbeiter der KZ-Gedenkstätten in Oświęcim und Dachau? Davon erzählt auch der Film "Am Ende kommen Touristen". Regisseur Robert Thalheim thematisiert in ihm Geschehnisse im Umfeld der Gedenkstätten, die außerhalb des Blickfelds der Besucher liegen.

Der Protagonist Sven kommt als Zivildienstleistender nach Oświęcim, um in der Gedenkstätte in der pädagogischen Abteilung der IJBS zu arbeiten. Er soll sich um den ehemaligen Häftling Stanisław Krzemiński kümmern. Dieser konserviert alte Häftlingskoffer, gibt sich wortkarg und will eigentlich keine Hilfe. Der weitere Verlauf des Filmes ist klassisch. Sven verliebt sich in die junge Dolmetscherin und Museumsführerin Ania, entwickelt Sympathien für den KZ-Überlebenden, möchte überstürzt abreisen und kehrt doch zurück.

Einerseits ist die Vergangenheit allgegenwärtig, andererseits wird im Film eine Art Gedenkindustrie angedeutet und kritisiert. Geheucheltes Interesse und Fototermine für PR-Zwecke dominieren gegenüber echter Erinnerungskultur. In einer Szene wird der Zeitzeuge sogar bei einer Erzählung unterbrochen. Das ist einer der Punkte, an dem Szuster, der Thalheim vor Veröffentlichung des Films Änderungsvorschläge gab, Realitätsnähe abspricht. In Hunderten Zeitzeugengesprächen sei das nie vorgekommen.

Die Stärke des Films, da waren sich auch die Teilnehmer der Diskussion einig, liegt in den unterschiedlichen Sichtweisen auf eine Stadt, die mehr ist, als ihre Vergangenheit. Als Sven die Frage stellt, wie man hier leben könne, antwortet Ania: "Ich bin hier geboren. Ich wohne halt hier." Diese Selbstverständlichkeit veranschaulicht der Film. "Wir als Einwohner haben das Recht, ganz normal zu leben", bestätigt Szuster. "Plötzlich habe ich gemerkt, das ist eine Stadt", sagt Klaus Schultz, der Diakon der evangelischen Versöhnungskirche in Dachau. Zeit ist von großer Bedeutung, um sich nicht nur mit der Gedenkstätte, sondern auch dem Umfeld auseinanderzusetzen. Gedenkstättenreferentin Andrea Heller zweifelt daran, dass eine Führung auf Jugendliche viel Einfluss habe. "Jeder der nur zwei Stunden da ist, trägt seinen Teil zur Erinnerung bei", sagte indes Andrzej Kacorzyk, der stellvertretende Leiter der KZ-Gedenkstätte Auschwitz.

© SZ vom 27.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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