Hoftheater Bergkirchen:Sehnsüchtig knistert der Schellack

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Sopranistin Janet Bens und Tenor Bernhard Schneider bringen mit den Liedern von Paul Abraham flirrende Ballhaus-Atmosphäre in die Kulturschranne. (Foto: Toni Heigl)

Paul Abraham schrieb großartige Schlager - bis die Nazis seine Karriere beendeten. Das Hoftheater erinnert an den Künstler

Von Dorothea Friedrich, Dachau

Die Sopranistin Janet Bens und der Tenor Bernhard Schneider sind das Traumpaar der musikalischen Inszenierungen des Hoftheaters Bergkirchen. Doch sie haben hauseigene Konkurrenz bekommen: Sopranistin Helena Schneider und Tenor Tobias Zick entzückten am vergangenen Mittwoch gleichfalls in der ausverkauften Kulturschranne Dachau in der "Biographie in Liedern und Texten des Operetten- und Filmkomponisten Paul Abraham"; sie hat den heutzutage möglicherweise etwas missverständlichen Titel "Ich hab ein Diwanpüppchen". Petra Morper begleitete das Sängerquartett am Flügel. Die Pianistin spielte die jazzigen Melodien Abrahams mit viel Spaß und Empathie. Hoftheater-Chef Herbert Müller las und erzählte einfühlsam und kenntnisreich aus dem Leben des Mannes, der in den 1930er Jahren einen kometenhaften Aufstieg und einen brutalen Absturz erlebt hatte. Was also hat es mit dem Diwanpüppchen in der Garconnière, der Junggesellenabsteige, auf sich? Diesen Song und unzählige weitere Melodien Abrahams pfiffen in den 1930er Jahren die Spatzen von den Dächern. Den in seiner Heimat Ungarn mäßig erfolgreichen Komponisten hatte es von Budapest nach Berlin verschlagen. Dort schien das Publikum auf diesen Mann förmlich gewartet zu haben. Der 1892 geborene Abraham war die verkörperte Weltläufigkeit, bewegte sich mit unnachahmlicher Eleganz auf dem Berliner Parkett, residierte im "Adlon", ganz egal, ob er Geld hatte oder kurz vor der Pleite stand.

Seine Musik war aufmüpfig. Sie changierte zwischen Jazz, dem Musical und klassischer Operettenseligkeit. Was für ein Kontrast zum braunen, völkischen Gedankengut der Nazi-Horden und ihrer deutschtümelnden Engstirnigkeit. Mit "Viktoria und ihr Husar", "Blume von Hawaii" und "Ball im Savoy" feierte Abraham in nur drei Jahren Riesenerfolge in ganz Europa und wurde zum seinerzeit erfolgreichsten Komponisten. Seine Heldinnen und Helden lebten und litten - zumindest auf der Bühne - in Russland, in Schanghai und auf Hawaii. Exotik, große Gefühle und die Stars der Operettenszene waren Abrahams Auslöser für Träumereien von einer besseren Welt jenseits von Armut, Unzufriedenheit und Ausbeutung. Doch Glück und Erfolg waren im Leben Abrahams ebenso wetterwendisch wie in der realen Welt.

Mit der Machtergreifung Hitlers war für ihn wie für alle jüdischen Kunstschaffenden der Traum ausgeträumt. Ihre Werke verschwanden von den Spielplänen. Abraham verließ Berlin. Und ließ im Geheimfach eines Schranks mehr als 200 Schlager zurück. Diese gelangten auf dunklen Wegen in die Hände von nazitreuen Komponisten, die sie als ihre eigenen verkauften und die während der Hitler-Diktatur gerne und oft gespielt wurden. Ein Treppenwitz. Nach Stationen in Wien und Budapest emigrierte Abraham letztlich in die USA. Dort allerdings war seine Musik ganz und gar nicht nach dem Geschmack der Zeit, sondern Schnee von gestern. Abraham verarmte und erkrankte schwer als Folge einer nicht behandelten Syphilis. Überliefert ist, dass er einsam auf einer New Yorker Kreuzung in vollem Ornat ein imaginäres Konzert dirigierte. Mehr als zehn Jahre verbrachte er elendig in einer New Yorker Klinik. 1956 holten ihn Freunde zurück nach Deutschland. Zur Begrüßung spielte ein Orchester ausgerechnet "Reich mir zum Abschied noch einmal die Hände", einen von Abrahams immer noch zu Tränen rührenden größten Erfolgen. 1960 starb Paul Abraham in Hamburg.

Was bleibt, ist seine Musik. Sie klingt immer noch frisch und frech, auch wenn die Texte bisweilen etwas aus der Zeit gefallen sind. Doch Janet Bens und Bernhard Schneider singen das "Diwanpüppchen" mit mehr als einem Augenzwinkern und im Falle Schneider so nasal wie seine Kollegen aus der Schellackplatten-Zeit. Helena Schneider und Tobias Zick machen aus "Meine Mama kommt aus Yokohama" ein Mini-Musical. Petra Morper lässt mit "Toujours l'amour" Ballsaal-Stimmung aufkommen. Herbert Müller erzählt vom "höflichsten Komponisten, den Berlin je gesehen hat". Gut möglich, dass dieser Komponist diese liebe- und respektvolle Verbeugung vor seinem Leben und seinem Schaffen mit einer seiner berühmt-berüchtigten Gulasch-Partys belohnt hätte.

Nächste Vorstellung: Mittwoch, 17. Januar 2018, 20 Uhr, Kulturschranne Dachau

© SZ vom 21.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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