Gerissene Rehe:Wenn der Wolf im Hund erwacht

Lesezeit: 3 min

Max Lederer ist Vorsitzender des Jägervereins. (Foto: oh)

Ein frei laufender Deutsch-Drahthaar beißt in einem Wald bei Kollbach ein Reh zu Tode. Solche Fälle häufen sich in letzter Zeit. Dachaus Jäger fordern Halter deshalb auf, ihre Tiere in freier Natur anzuleinen.

Von Tobias Roeske, Dachau

Beim Osterspaziergang durch einen Wald bei Kollbach macht eine Frau eine grausame Beobachtung: Ein mittelgroßer, schwarz-weißer Hund von der Rasse Deutsch-Drahthaar hetzt ein Reh durch den Wald und beißt es solange in Hals und Beine, bis es tot zusammenbricht. Vorfälle wie dieser sind längst keine Seltenheit mehr. "Die frei laufenden Hunde werden langsam, aber sicher zur Plage", sagt Max Lederer, Vorsitzender vom Jagdschutz- und Jägerverein Dachau. In den vergangenen zwei Jahren habe sich die Zahl der von Hunden verwundeten oder getöteten Wildtiere deutlich erhöht.

Die genaue Anzahl lässt sich nur schlecht ermitteln. Um zu beweisen, dass ein Reh tatsächlich von einem Hund gerissen worden ist, müsste es kriminaltechnisch untersucht werden. Die Kosten stünden aber in keinem Verhältnis zu dem wirtschaftlichen Schaden, den der Verlust eines getöteten Rehs mit sich bringt. Der beläuft sich rechnerisch nur auf 80 bis 120 Euro, je nach Größe des Tieres. "Ich persönlich erstatte immer Anzeige, sofern es Zeugen gibt oder ich es selbst gesehen habe", sagt Johann Ostermair, Mitglied im Dachauer Jägerverband. Bei dem Angriff von Kollbach war es Ostermair selbst, der zusammen mit seinem Jägerkollegen Thomas Liebhart Anzeige gegen den Hundebesitzer erstattete. Der blieb nicht nur uneinsichtig, er wurde auch noch aggressiv und beleidigte den Jäger. "Normalerweise sollte das Reißen eines Wilds den Tatbestand der Wilderei erfüllen", erklärt der Pressesprecher des Bayerischen Jagdverbands (BJV), Thomas Schreder. "Allerdings erfolgt meistens nur eine Anzeige wegen Sachbeschädigung."

Die Rechtslage ist kompliziert

Die Rechtslage in solchen Fällen ist kompliziert. Laut Strafgesetzbuch muss für den Tatbestand der Wilderei der Angeklagte unter Vorsatz gehandelt haben. Da es in Bayern aber keine allgemein vorgeschriebene Leinenpflicht für Hunde gibt, reicht die unterlassene Überwachungspflicht des Besitzers nicht aus, um als Vorsatz zu gelten. Das stellt die Jäger jedoch vor ein Problem: Nach dem Bundesjagdgesetz ist der Jäger dazu verpflichtet, seinen Wildbestand vor Wilderei zu schützen. Wenn ein Jäger beobachtet, wie ein Hund seine Rehe oder andere Wildtiere attackiert, hat er die Erlaubnis, das angreifende Tier zu erschießen. "Es muss jedoch offensichtlich sein, dass der Hund das Wild gerade jagt, beziehungsweise reißen wird", sagt Schreder. "Außerdem sind wir Jäger meist selbst Hundebesitzer. Daher würden wir es lieber vermeiden, einen Hund zu erschießen." Und das ist nicht der einzige Grund: "Wenn ich einen Hund erschießen würde, nur um mein Reh zu beschützen, gäbe es einen Aufschrei in der Öffentlichkeit. Stellen Sie sich mal vor, was los wäre, wenn ich den Hund meines Nachbarn erlegen würde", sagt Ostermair.

Die Aufgabe der Jäger ist es unter anderem, einen ausgeglichenen Wildbestand zu gewährleisten. Von etwa März bis Juni befinden sich die Tiere in ihrer Brut- und Setzzeit. In dieser Phase sind viele der Wildtiere trächtig oder kümmern sich um ihre Jungen. Gerade dann benötigen sie besonderen Schutz. Deswegen appellieren sowohl der BJV, als auch der Dachauer Jagdschutzverein an die Hundehalter, ihre Tiere in diesem Zeitraum anzuleinen. "Am besten wäre natürlich, wenn sowohl Hund als auch Besitzer eine bessere Ausbildung in Sachen Hundeerziehung bekämen", sagt Schreder. Wie die Statistiken belegen, nimmt die Zahl der Hundebesitzer stetig zu. So gab es laut Kämmerei Dachau im vergangenen Jahr 1742 steuerpflichtige Hunde, etwa 100 mehr als im Jahr 2013. Dieser Aufwärtstrend ist im gesamten Landkreis zu verzeichnen.

Der Hund bleibt ein wildes Tier

Die Jäger sorgen sich allerdings eher wegen des immer größer werdenden Anteils an Jagdhunden, wie beispielsweise dem English Cocker Spaniel oder dem Deutsch-Drahthaar, der beim Angriff in Kollbach das Reh gerissen hat. Gerade diese Rasse benötige ein konsequentes Training, um ihren Jagdtrieb unter Kontrolle zu bringen. Gefahr bestehe nicht nur für die Tiere selbst: Falls ein Hund seinem Jagdinstinkt erliegt, kann er unter Umständen seine Beute auf eine Landstraße hetzen und einen Verkehrsunfall verursachen. Wenn ein Reh über eine Straße hetze, könne man davon ausgehen, dass es gerade gejagt wurde, erklärt Jäger Liebhart.

Der Hund bleibt trotz allem ein wildes Tier. Den wissenschaftlichen Namen des Haushundes, Canis lupus familiaris, könnte man mit "der gezähmte Wolf" übersetzen. Es benötigt zum Teil eine jahrelange, ausgiebige Erziehung durch erfahrene Hundetrainer, wie sie auch im Landkreis zu finden sind. Dass einigen Besitzern die nötigen Mittel oder schlicht die Zeit dazu fehlen, ist den Jägern bekannt. Ostermair bittet die Hundehalter wenigstens um etwas mehr Umsicht: "Es würde uns schon reichen, wenn Herrchen ihre Tiere in Jagdrevieren anleinen würden."

© SZ vom 02.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: