Für Zivilcourage:Dachau ehrt Jan-Robert von Renesse

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Sozialrichter Jan-Robert von Renesse hat Zivilcourage gezeigt. (Foto: dpa/David Young)

Der Zivilcourage-Preis 2017 geht an einen Sozialrichter aus Nordrhein-Westfalen, der für die Ghettorenten von Holocaust-Überlebenden gestritten hat und dabei politischen Druck und berufliche Nachteile in Kauf nahm

Von Helmut Zeller, Dachau

Der Sozialrichter Jan-Robert von Renesse hat um Ghettorenten für Holocaust-Überlebende gekämpft - und ist deshalb selbst zum Gejagten geworden. Die Stadt Dachau ehrt nun mit ihrem Zivilcourage-Preis 2017 den 51-Jährigen aus Nordrhein-Westfalen, der "auch unter Inkaufnahme von gravierenden beruflichen Nachteilen" (Jury) in seinem Einsatz für die Rechte von Holocaust-Überlebenden nicht nachgelassen hat. Als Richter am Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen in Essen wurde er in seiner Arbeit behindert und gemobbt. Schließlich strengte der damalige Justizminister Thomas Kutschaty (SPD) eine Disziplinarklage gegen von Renesse an, die nach vier Jahren, im September 2016, eingestellt wurde. Für die Jury des im zweijährigen Turnus ausgelobten Zivilcouragepreises gehört Jan-Robert von Renesse zu den Menschen, "die sich mit Mut, Fantasie und Engagement für die Rechte von Verfolgten und diskriminierten Minderheiten einsetzen".

In seiner Sitzung bestätigte der Stadtrat am 30. Mai den Vorschlag der Jury: Die Journalistin und Dokumentarfilmerin Sybille Krafft, der Historiker und ehemalige Leiter des Zentrums der Antisemitismusforschung an der TU Berlin, Wolfgang Benz, und der Künstler Martin Schmidl votierten für den Sozialrichter. Sein Wirken und seine Geschichte beeindruckten auch den Stadtrat: Im Juli 2006 verabschiedete der Bundestag ein Gesetz, durch das Holocaust-Überlebende, die in einem Ghetto gearbeitet hatten, eine Arbeitsrente erhalten sollten. Etwa 80 000 Anträge gingen vor allem aus Israel und den USA ein. Die allermeisten wurden von der Rentenversicherung jedoch abgelehnt. Einige Überlebende klagten dagegen, einzelne Klagen kamen auf den Tisch des Richters Jan-Robert von Renesse. Er brach mit der üblichen Praxis, flog mehrfach nach Israel und ließ sich den Ghetto-Alltag von 120 Überlebenden schildern. Bei etwa sechzig Prozent der Fälle sah er nach dieser sorgfältigen Prüfung einen Anspruch als begründet an - das brachte ihm den Groll seiner Richterkollegen ein. Auf der Grundlage von Formularen wiesen sie neunzig Prozent der Klagen ab. Der damals 39 Jahre alte Richter stand am Anfang einer großen Justizkarriere. Die Holocaust-Überlebenden und ihre Rechte waren ihm aber wichtiger - Jan-Robert von Renesse bearbeitete seine etwa 100 Fälle weiter, nachdem die Richter auf Wunsch der beklagten Rentenversicherung Rheinland die Bearbeitung von fast 1.500 Ghettorenten für ein halbes Jahr stoppten. Jan-Robert von Renesse galt als Querulant, alle seine Einwände wurden ebenso zurückgewiesen wie auch sein Vorwurf, gemobbt zu werden, nachdem man ihn in ein kleines Zimmer mit defekter Heizung abgeschoben hatte. 2010 wurde er von den Ghettorenten-Fällen abgezogen. Er reichte daraufhin eine Petition an den Bundestag ein - der Durchbruch. Als Folge davon änderte Berlin 2014 das Gesetz zugunsten der Holocaust-Überlebenden. Sie - sofern sie noch am Leben waren - erhielten Nachzahlungen in fünfstelliger Höhe. Für Jan-Robert von Renesse brachte die Petition eine Disziplinarklage "wegen Verletzung der Wahrheitspflicht in dienstlichen Angelegenheiten (...) und der Verpflichtung zu achtungs- und vertrauenswürdigem Verhalten im Dienst." Die Klage wurde im September 2016 eingestellt.

Der mit 5000 Euro dotierte Zivilcourage-Preis wird Jan-Robert von Renesse am Sonntag, 10. Dezember, bei einem Festakt im Dachauer Rathaus verliehen. Die Medaille gestaltet der Dachauer Künstler Heinz Eder. Mit dem Dachau-Preis soll das Vermächtnis der Opfer der Konzentrationslager und des Widerstandes gegen das NS-Regime lebendig erhalten werden, erklärt Oberbürgermeister Florian Hartmann (SPD). Der Preisträger soll Vorbilder für ein couragiertes Auftreten gegen Ausgrenzung und Unterdrückung sein. Die bisherigen Preisträger: Maria Seidenberger (2005), Lina Haag (2007), Mirjam Ohringer (2009), Stanislav Zámecník (2011), Jörg Wanke, stellvertretend für die Initiative "Zossen zeigt Gesicht" (2013) und Gülsen Celebi (2015).

© SZ vom 01.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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