Fünf Jahre Kriseninterventionsteam:Wenn auf einmal die Welt zusammenbricht

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Das Kriseninterventionsteam der Malteser Dachau kümmert sich seit fünf Jahren professionell um Freunde und Angehörige von Unfallopfern

Von Richard Möllers, Dachau

Wenn Betroffene seelische Erste Hilfe bei plötzlichen Todesfällen, Suiziden oder ähnlichen Gewaltverbrechen benötigen, schlägt die Stunde des Kriseninterventionsteam (Kit). Ziel der Helfer ist es, den Angehörigen das Unmögliche möglich zu machen, nämlich Geschehene zu realisieren, zu begreifen und damit überhaupt erst ein selbständiges Verarbeiten des Unglücks zu ermöglichen. Die beiden Teams vom Bayerischen Roten Kreuz (BRK) und den Maltesern Dachau (MHD) wechseln sich ab, um so eine Bereitschaft über 365 Tage, 24 Stunden am Tag zu gewährleisten. Einsätze dauern üblicherweise zwischen zwei und drei Stunden, in Extremfällen auch mal deutlich länger. Das Kriseninterventionsteam der Malteser in Dachau feiert am Wochenende zusammen mit der Hundestaffel ihr fünfjähriges Bestehen.

Die Arbeit des 13-köpfigen Teams der Malteser Dachau beginnt mit der Versorgung der Betroffenen am Unfallort, wo es für Beteiligte besonders wichtig ist, einen professionellen Ansprechpartner zu haben, der in erster Linie zuhört. Angehörige sind schlicht überfordert, wenn im Angesicht eines schier unbegreiflichen Unglücks auch noch Polizei, Feuerwehr, Notarzt, Krankenwagen und eventuell die Kriminalpolizei auftauchen, sagt Gabrielle Lutter, die selbst Quereinsteigerin in der Leitung des Kits ist. Da helfe es sehr, wenn Familienmitglieder oder Freunde der Verunglückten sich in das Einsatzauto des Kriseninterventionsteams zurückziehen könnten, wo sie vor Schaulustigen in Sicherheit sind. Die Ehrenamtlichen versuchen dann, Struktur in das Geschehen zu bringen. Sie fordern die Betroffenen auf, sich aktiv mit dem Unglück auseinanderzusetzen. Dazu gehört beispielsweise das Aussprechen des Geschehens, es sollte auf keinen Fall weggeschaut werden.

Für Angehörige ist das sehr hart, aber so ist eine Verarbeitung möglich, und es kann verhindert werden, dass die Betroffenen später traumatisiert werden. Bei Todesfällen oder Suiziden wird auf Wunsch zusätzlich ein Pfarrer oder Einsatzkräfte von der kirchlichen Notfallseelsorge angefordert, damit Angehörige sich vom Verunglückten verabschieden können.

Doch wie schafft man es als Ehrenamtlicher, selber von solchen Einsätzen nicht zu sehr mitgenommen zu werden und mit dem Erlebten abzuschließen? Erwin Heinzinger arbeitet hauptberuflich beim ADAC hat bereits viele Jahre bei der Freiwilligen Feuerwehr mitgeholfen. "Erst mal ist es wichtig, dass wir zu zweit unterwegs sind und uns austauschen können", sagt der 51-Jährige. "Außerdem lege ich die Dienstkleidung ab und dusche erst mal. Andere gehen Joggen oder hören bestimmte Musik, das ist ganz individuell." Zusätzlich führt ein ausgebildeter Psychologe regelmäßig Supervisionen mit dem gesamten Team durch, was nach Bedarf intensiviert werden kann. Trotzdem steht es Mitgliedern des Teams frei, bei zu großer psychologischer Belastung auch Pausen einzulegen.

Bei dem Einsatzteam handelt es sich um einen stillen Dienst. Das heißt, dass er lediglich durch Einsatzkräfte der Polizei, des Rettungsdienstes und der Feuerwehr angefordert wird, nur selten erfolgt eine Primär-Alamierung durch Lokführer der Deutschen Bahn. Dabei freut sich die Leitung der Dachauer Malteser, dass die Sensibilität der Einsatzkräfte gestiegen ist, wodurch die Hilfe des Kits inzwischen deutlich mehr wahrgenommen wird. So wurde in diesem Jahr bereits im Juni die Anzahl der Einsätze erreicht, die im gesamten Jahr 2016 anfiel.

Drei bis vier neue Aspiranten wählt das Leiterteam jedes Jahr aus, die eine dreistufige Ausbildung durchlaufen. Gabrielle Lutter ist froh, dass sie auf Nachwuchs im Ehrenamt wie Friederike Fischer setzen kann. Trotzdem wird nicht jeder zugelassen: Die Bewerber müssen mindestens 23 Jahre alt sein, emotional und körperlich stabil und eine ordentliche Portion Empathiefähigkeit und Nächstenliebe mitbringen. Friederike Fischer war früher in der Verwaltung der Malteser tätig, als sie das Interesse am Ehrenamt gepackt hat.

Was sie durch diese außergewöhnliche Tätigkeit gelernt hat? "Es erdet mich auf eine gewisse Weise, weil ich einfach sehe, was da draußen alles los ist," sagt die 53-Jährige. Und ihr Kollege Erwin Heinzinger fügt an: "Der Blickwinkel auf das Leben verändert sich, weil man alles mit ein paar Schritten Abstand betrachten kann."

Heinzinger ist froh, dass inzwischen ein ausgeglichenes Verhältnis von Männern und Frauen im Team besteht und dass die Mitglieder, auch was ihren Hauptberuf angeht, ein kunterbunt gemischter Haufen sind. Trotzdem oder gerade deswegen ist eine gute Harmonie und eine Verbundenheit im Team eine absolute Voraussetzung für die Einsätze. Nur gemeinsam ist man stark.

© SZ vom 22.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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